verändert werden kann und ablegbar ist. Bereits 1949 konstatierte Simone de Beauvoir (vgl. 2000 [1949]), dass Frauen nicht als Frauen geboren, sondern zu ihnen gemacht werden. Durch die Erkenntnis, dass nicht der menschliche Körper, also biologische Aspekte, sondern das soziale Miteinander unsere Geschlechteridentität produziert und reproduziert, entwickelten Candace West und Don H. Zimmermann 1987 das Konzept des Doing Gender (vgl. 1987, S. 125 – 151). Auch die Autorin Verena Brunschweiger (2013, S. 28 f.) schreibt dazu: „[…] hier ist alles fragil, veränderbar, man spricht auch vom „Doing Gender“, was den Konstruktionscharakter der Geschlechteridentität herausstellt: jede Handlung hat Einfluss darauf, nichts ist starr und unveränderlich, Männer und Frauen machen sich beständig durch ihre Alltagspraktiken zu als männlich oder weiblich erkennbaren Personen (oder werden dazu gemacht).“ Es wird dabei auch von Geschlechterrollen gesprochen. Der Berliner Autor Jochen König (2015, S. 41) führt dies wie folgt aus: „Dabei besagt der Begriff zunächst einmal nur, dass das, was eine Person in ihrer Unterhose mitbringt, noch nicht abschließend festlegt, wofür sich diese Person interessiert, was sie gut oder weniger gut kann und welche Rolle sie innerhalb einer Partnerschaft, innerhalb einer Familie und innerhalb der Gesellschaft zu erfüllen hat. […] Vieles ist ausgehandelt und wird tagtäglich neu verhandelt. Es lohnt sich also allemal, von Gender zu sprechen, von sozialen und nicht biologischen, eindeutig determinierten Geschlechterrollen.“
Die Vorstellung des Rollenspielens hilft dabei, die Konstruktion von Geschlechterstereotypen zu verstehen, wobei diese viel weitreichender ist: Rollen können leicht wieder abgelegt werden, doch Sozialisation ist in unsere Persönlichkeit, in unser Denken und Handeln eingeschrieben, und es bedarf weitaus umfassender Veränderungsprozesse, um sich davon zu lösen.
Darüber hinaus sind vermeintlich biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen zum einen nicht so groß, wie die meisten Menschen glauben, zum anderen sind diese auch gar nicht so eindeutig. Zudem sind innerhalb einer Geschlechtergruppe die Unterschiede viel größer als zwischen ihnen. Ein Beispiel dafür ist die Körpergröße von Menschen: Der durchschnittliche Unterschied zwischen Männern und Frauen beträgt 14 cm – Frauen sind in Deutschland durchschnittlich 1,66 m groß gegenüber 1,80 m bei Männern (vgl. Laenderdaten.info). Die Spannbreite zwischen großen und kleinen Frauen und zwischen großen und kleinen Männern hingegen ist um ein Vielfaches größer. Auch der Autor Jens van Tricht (vgl. 2019, S 71 – 75) verweist in seinem Buch „Warum Feminismus gut für Männer ist“ darauf, dass die Schnittmenge der Gemeinsamkeiten viel größer ist als die Unterschiede, die Unterschiede innerhalb jeder Geschlechtergruppe aber größer sind.
Geschlecht wird im englischsprachigen Raum anders als im deutschen – wenngleich eine solche Differenzierung auch in Deutschland zunimmt – unterteilt in Sex und Gender. Sex bezeichnet hierbei das biologische Geschlecht, während Gender die Geschlechtsidentität, also das soziale Geschlecht beschreibt sowie die damit verbundenen vermeintlichen Fähigkeiten, Kompetenzen, Präsentations- und Verhaltensweisen.
Anzumerken ist, dass das biologische Geschlecht unterschiedliche Ausprägungen aufweist: Brodda und Wellner (vgl. 1979, S. 93 – 126) weisen darauf hin, dass es neben den äußeren Geschlechtsmerkmalen weitere Aspekte zur Geschlechtsbestimmung, wie den Hormonspiegel, die Chromosomen, die inneren wie auch die äußeren Geschlechtsorgane gibt – die für den Großteil der Gesellschaft eine Zugehörigkeit ermöglichen, jedoch nicht für alle. Es ist sinnvoll, von einem bimodalen Clustermodell auszugehen, auf das beispielsweise die Philosophin Kathleen Stock (vgl. 2019) verweist: Eine Vielzahl unterschiedlicher physiologischer Merkmale bringen insgesamt betrachtet zwei Verteilungen hervor, woraus sich die Zeugungs- und Fortpflanzungsmöglichkeit ergibt. Dabei existieren unterschiedliche Ausprägungen, wobei es auch Menschen gibt, die nicht dem bimodalen Cluster entsprechen (intersexuelle Menschen).
Stock schreibt (2018): „Sex is not a spectrum. It’s a bimodal distribution of clustering properties with predictable, causally explicable outliers.“ Weiter führt Stock (2019) wie folgt aus: „That is, it’s determined by possession of most or all of a cluster of particular designated properties – chromosomal, gametic, hormonal and morphological – produced via endogenous biological processes. The vast majority of us have all of the designated properties for a given sex; a smaller number have most; a tiny number – much smaller than typically reported – have some of both. “
Intersexuelle Menschen sind biologisch nicht eindeutig dem einen oder dem anderen Geschlecht zuzuordnen.
Der Bundesverband Intersexuelle Menschen e. V. definiert Intersexualität wie folgt: „Der Begriff Intersexualität bezeichnet biologische Besonderheiten bei der Geschlechtsdifferenzierung. Intersexuelle Körper weisen deshalb Merkmale vom weiblichen und vom männlichen Geschlecht auf. Es handelt sich also um Menschen, deren geschlechtliches Erscheinungsbild von Geburt an, hinsichtlich der Chromosomen, der Keimdrüsen, der Hormonproduktion und der Körperform nicht nur männlich oder nur weiblich ausgeprägt ist, sondern scheinbar eine Mischung darstellt.“ (Bundesverband Intersexuelle Menschen e. V.)
Hagemann-White (vgl. 1988, S. 229) weist darauf hin, dass es nicht darum geht, Körperlichkeit zu unterschätzen, aber eine Bewusstseinsschärfung im Hinblick auf die sozial konstruierte Dichotomie wichtig ist. Auch weist sie darauf hin, dass nicht alle Frauen ihre Regel bekommen oder Kinder gebären können.
Eine gesellschaftliche Veränderung muss dahingehend weiter vorangetrieben werden, dass biologische Geschlechter nicht an Verhaltens-, Denk- und Präsentationsmuster geknüpft sind. Geschlechterrollen müssen dekonstruiert werden mit dem Ziel, dass sich Menschen unabhängig von ihrer Biologie und den damit einhergehenden Zuschreibungen frei entwickeln können. Dabei müssen Erwartungen an das vermutete Geschlecht aufgelöst werden.
Aktuelle neurowissenschaftliche Untersuchungen der Professorin Gina Rippon (vgl. Rippon 2019) zeigen zudem, dass die Gehirne von Männern und Frauen kaum Unterschiede aufweisen. Männliche Gehirne sind größer, da Männer ohnehin durchschnittlich größer als Frauen sind. Jedoch kann an einem Gehirn nicht erkannt werden, ob es zu einem Menschen mit Penis oder einem Menschen mit Vulva gehört. In einem Interview konstatiert Rippon (Spencer 2019): „There’s nothing which I have found that would allow you to compare two brain images and say, ‚well that’s a man and that’s a woman‘. It’s not physically possible to say there is a male or female brain.“
Die Erkenntnis, dass unsere Gehirne identisch sind, ist höchst interessant – auch im Hinblick auf trans Menschen, wie Rippon weiter erklärt: „I have had transgender individuals or individuals wishing to transition asking if we can scan them – for instance, a man saying can you prove I have a female brain so I have a case for my transition. It doesn’t work at that level.“
Diese Ergebnisse bestätigen den aktuellen wissenschaftlichen Stand der Soziologie und Geschlechterforschung, dass das, was wir unter sozialen Geschlechterrollen verstehen, eine soziale Kategorie darstellt und somit veränderbar ist. Dies bedeutet, dass auch toxische Anteile überschreibbar und veränderbar sind.
Rippon erklärt zudem, dass das soziale Miteinander auch soziale Wirklichkeiten konstruiert, die dann wiederum Auswirkungen auf unser Gehirn haben: „If you have an expectation of somebody, what we now know is it will change how the person views themselves, it will change the experiences the world exposes them to, like giving boys and girls different toys to play with, and it will change the attitudes that people have of those individuals. The type of games you play will change your brain. We know that from judo and juggling to violin and keyboard playing. By definition, moving the body differently according to the demands of the skill you are acquiring will change the brain. So not playing football will have a direct effect on the brain. But making sure we are doing the right things to stay part of our social group is also an important driver.“ Es wird, wie Rippon weiter ausführt, ein Zusammenhang zwischen vermeintlich männlichen und weiblichen Gehirnen und geschlechtsspezifischen Fähigkeiten hergestellt, um eine Vormachtstellung von weißen Männern zu konstruieren: „The idea of the gendered brain comes from the 19th century, says Prof Rippon, and it was used to prove the superiority of ‚white, upper class men‘ and justify their actions.“
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