eben alles was hart macht.“ Dies erklärt, warum Jungen und Männer sich durch Begriffe wie „Schlappschwanz“ abgewertet fühlen: Wer Erwartungen an die männliche Geschlechterrolle nicht erfüllt, ist somit unmännlich und erhält dementsprechende Bewertungen. Wenn du dich nicht so und so verhältst, dann bist du unmännlich und somit nicht potent. Sport spielt daher für viele Jungen eine wichtige Rolle. Sie gehen oftmals sportlichen Aktivitäten nach und besuchen ab einem gewissen Alter Fitnessstudios oder nutzen, wenn sie beispielsweise noch nicht alt genug sind oder sich dies nicht leisten können, Geräte zu Hause. Die eigene Gesundheit steht dabei selten im Vordergrund.
Guido Zurstiege (2001, S. 213) schreibt dazu: „Am Beispiel der Bedeutung des Sports für die Zurschaustellung von Männlichkeit tritt dieses Spannungsverhältnis besonders deutlich zu Tage. Denn auf der einen Seite bieten sich mit der Darstellung sportlicher Aktivitäten neue Gelegenheiten, den männlichen Körper in Szene zu setzen. Auf der anderen Seite bietet jede Form der sportlichen Betätigung ebenso ausreichend Gelegenheit, Leistung und Leistungsfähigkeit – zwei wesentliche Komponenten traditioneller Männlichkeit – zu demonstrieren.“
Jungen verfolgen das Ziel, dem männlichen „Idealbild“ so nahe wie möglich zu kommen. Damit versuchen sie, Unsicherheiten zu verstecken und zu kompensieren, sie versuchen, sich dadurch sicher und selbstbewusst zu fühlen, die Kontrolle – auch über den eigenen Körper – zu haben, das Gefühl, durch körperliche Überlegenheit andere Menschen einschüchtern und notfalls auch durch Körperkraft besiegen zu können. Zudem ist der Begriff des Körperpanzers hier entscheidend: Der Aufbau von Muskulatur fungiert als Schutz und versteckt das dahinterliegende unsichere Ich der Jungen und Männer. Auch hier verlaufen die „Ideale“ und Sozialisationen von Jungen und Mädchen diametral zueinander: Während Jungen Körpermasse aufbauen, um stark und unangreifbar zu erscheinen und viel Raum einzunehmen, sollen Mädchen besonders dünn sein, wenig, klein und unsichtbar und möglichst wenig Raum einnehmen. Ergänzt wird dies dadurch, dass Jungen und Männer häufig Kampfsporttechniken erlernen sowie Waffen besitzen und diese auch benutzen.
Jungen haben eine durch die Umwelt und durch die Medien geprägte Sehnsucht danach, besonders und außergewöhnlich zu sein. Ein Held. Diese Sehnsucht verschränkt sich mit dem kaum zu erreichenden männlichen „Idealbild“, welches sie permanent versuchen zu erreichen, sowie mit den selbst gemachten Opfererfahrungen. Denn: Jungen und Männer sind selbst häufig Opfer von Gewalt – fast ausschließlich durch andere Jungen und andere Männer. Daraus ergibt sich für sie die Ambivalenz, nicht so zu sein, wie sie glauben, sein zu müssen, selbst aber Ohnmachtserfahrungen zu erleben. Um diese Ohnmachtserfahrungen zu überwinden, werden viele Jungen selbst Täter und leben so in einem ambivalenten Spannungsverhältnis zwischen Täter- und Opfererfahrung.
Die wenigsten Männer entsprechen jedoch dem männlichen „Idealbild“. Trotzdem profitieren die meisten Männer von den patriarchalen Strukturen hegemonialer Männlichkeit. Dieses Phänomen nennt Connell (vgl. 1995) die „patriarchale Dividende“. Einhergehend mit der Vorstellung, besonders und außergewöhnlich sein zu wollen, werden dazu ganz im Sinne patriarchaler Machtverhältnisse Zuschauerinnen benötigt, „die dem Mann das vergrößerte Bild seiner selbst zurückwerfen, dem er sich angleichen soll und will“ – Virginia Woolf spricht dabei von „schmeichelnden Spiegeln“ (vgl. Bourdieu 1997, S. 203).
An dieser Stelle möchte ich von einem persönlichen Erlebnis berichten, um zu verdeutlichen, wie Jungen und Männer Weiblichkeit abwerten, um sich selber aufzuwerten: Als ich zusammen mit einem Hilfstrainer vor einigen Jahren Training gab, beschimpfte mein Kollege bei einem Aufwärmspiel die jugendlichen Jungen, wenn sie einen Gegenpunkt zuließen, mit den Worten: „Ihr Pussies!“ Auf Grund der dargelegten Mechanismen männlicher Sozialisation wird dabei deutlich, aus welchen Gründen diese Formulierungen als Beleidigung für Jungen funktionieren: Der Trainer spricht den Jungen durch seine sexistische Zuschreibung ihre vermeintliche Männlichkeit ab, mehr noch betitelt er sie bei Misserfolg als weiblich und als weibliches Geschlechtsorgan. Gleichzeitig bedeutet dies, dass nur der Sieg männlich sein kann, da der Misserfolg mit Weiblichkeit assoziiert wird. Dies trifft die Jungen tief in ihrer Angst und Unsicherheit, nicht so zu sein, wie es von ihnen erwartet wird: nämlich männlich und vor allem nicht weiblich, da Weiblich-Sein mit Schwach-Sein gleichgesetzt wird. Dies hat natürlich nicht nur für die Jungen, sondern auch für die Mädchen einen nachhaltigen negativen Effekt – vor allem, da sie täglich mit Zuschreibungen und Stereotypen konfrontiert werden. Dabei entsteht bei den Jungen die Angst, sozial ausgegrenzt und abgelehnt zu werden, woraufhin sie sich oft noch übergriffiger, aggressiver und rücksichtsloser verhalten.
Was ist toxische Männlichkeit?
Toxische Männlichkeit beschreibt problematische Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen, die sozialisationsbedingt an die traditionelle Männerrolle gekoppelt und eng mit patriarchalen Strukturen und hegemonialer Männlichkeit verknüpft sind und mit denen Jungen und Männer anderen und/oder sich selbst kurzfristig, mittelfristig oder auch langfristig schaden, andere diskriminieren, ausschließen und benachteiligen.
Die bereits vorgestellten Aspekte männlicher Sozialisation bereiten den Nährboden für toxisches Verhalten von Jungen und Männern oder sind bereits toxisch. Zunächst eine gute Nachricht: Da Geschlecht vor allem eine soziale Kategorie ist, kann toxische Männlichkeit, also problematische Denk-, Verhaltens- und Präsentationsweisen, aufgrund männlicher Sozialisation auch verändert werden.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass ein Teil toxischer Männlichkeit der übergriffige und gewalttätige Umgang mit anderen ist: Aus der Unterdrückung von Emotionen und dem daraus resultierend nicht gelernten Umgang mit diesen sowie aus dem häufigen Fehlen von gewaltfreien Lösungsstrategien resultieren Wut, Frustration und Ohnmachtsgefühle. Aus der Kombination mit Aggressionen und dem Wunsch, der männlichen Rolle zu entsprechen, Privilegien zu erhalten, die andere nicht haben dürfen, um sich selber aufzuwerten sowie alles Unmännliche abzustoßen, resultieren Übergriffe und Gewalt gegen Frauen sowie gegen alle anderen.
Zudem richten sich die Aggressionen auch gegen die Männer selbst und gegen andere Männer. Vermeintlich männliche Attribute, wie Härte, andere Menschen einschüchtern, Wettkampf, sich vergleichen und sich täglich mit anderen messen sowie ein stetiges Konkurrenzdenken, stehen im Mittelpunkt. Ziel für Männer ist es, permanent der Beste zu sein, Kontrolle zu gewinnen und diese zu behalten, nicht nachzugeben und keine Fehler einzugestehen. Dies wird versucht zu erreichen durch Leistungsfähigkeit, Belästigung und Grenzen ignorierendes Verhalten, Abwertung anderer, Raumaneignung, (sexuelle) Gewalt, risikoreiches Verhalten, Objektivierung und Sexualisierung, Bedrohung und Einschüchterung auch durch das Unterbrechen von Frauen, die eigene Präsentation als Allwissender oder das Ausgeben der Ideen von Frauen als die eigenen.
Guido Zurstiege (2001, S. 202) schreibt: „Einen Schritt weiter gehen einige Vertreter sowohl der angloamerikanischen als auch der deutschen Männerforschung, die die momentan vorherrschende Männerideologie als schädlich für alle Männer ansehen.“
Toxische Männlichkeit ist zu unterteilen in strukturelle sowie in individuelle Aspekte:
Strukturell bedeutet, dass die patriarchalen Strukturen hegemoniale Männlichkeit produzieren und somit Männer in allen Lebensbereichen bevorzugen, während Frauen strukturell benachteiligt werden.
Frauen verdienen weniger als Männer und erhalten ferner seltener die Möglichkeit, in eine Führungsposition zu gelangen oder werden am Arbeitsplatz diskriminiert, beispielsweise weil sie Kinder haben oder welche bekommen könnten.
Individuell bedeutet, dass Männer individuell übergriffig werden, Frauen (und andere marginalisierte Gruppen) abwerten, andere (sexuell) belästigen und benachteiligen, gewalttätig werden, sich nicht um sich und ihre körperliche und psychische Gesundheit kümmern, Raum einnehmen, der ihnen nicht zusteht oder (Ex-)Partnerinnen mit Kindern, Care-Arbeit und Haushalt alleine lassen. Es steht die individuelle Entscheidung und Tat des Einzelnen im Fokus.
Individuelle und strukturelle Anteile bedingen sich dabei gegenseitig und existieren in einer Wechselwirkung: Patriarchale Strukturen erschaffen