Luzia Pfyl

Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel


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nicht sonderlich aufhalten wird, oder?«

      Der Schaffner zuckte nur mit den Schultern und schob die Tür zum Abteil auf. »Ich wünsche Ihnen eine angenehme Fahrt.«

      »Schon ein wenig merkwürdig«, murmelte Frost, als sie alleine waren. Der Zug beschleunigte, nun, da er den Bahnhof hinter sich gelassen hatte, und fuhr in die Weiten des Nordens von Yorkshire.

      »Das Positive an der Sache ist, dass der gute Inspektor Flannagan den Zug garantiert verpasst hat. Ich habe noch gesehen, wie er hinter uns aus einer Droschke gestiegen ist. Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass wir vom Ticketschalter aus direkt auf das Gleis rennen.«

      »Ich hätte zu gern sein Gesicht gesehen«, meinte Frost und verstaute ihren Koffer über dem Sitz. Mit einem Seufzer ließ sie sich zurück auf die Bank fallen. Vor dem Fenster zog das Umland von York vorbei.

      Sie wandte sich ab und kramte ihr Buch hervor. Sie mochte solch weite Landschaften nicht. Sie brauchte Häuser um sich herum, gepflasterte Straßen und das Zischen und Dampfen von Maschinen. Hier auf dem Land fühlte sie sich, als würde der Horizont sie aussaugen und in alle Himmelsrichtungen verteilen. Es gab nur endlose Hügel in verschiedenen Grün- und Brauntönen, vereinzelte Wäldchen, und vor allem gab es den weiten Himmel.

      Sie vermisste London gerade schmerzlich.

      Payne hingegen hing am Fenster, das Kinn auf die Handfläche gestützt. Frost konnte nicht nachvollziehen, was an dieser Landschaft reizvoll war. Es war irgendwo zwischen Winter und Frühling, alles war matschig, grau und braun und vor allem kahl. Sie fand die Vorstellung, die nächsten Tage in einem winzigen Dorf im Nirgendwo zu verbringen, nicht gerade reizvoll. Aber je schneller sie die Bibliothek fanden, desto schneller konnte sie wieder zurück nach London.

      Schon von Weitem konnten sie die vielen Türme der Bergwerke sehen. Sie ragten wie Ungetüme am Horizont aus dem Nebel auf. Die riesigen Räder, an denen die Stahlkabel und die Kabinen hingen, verliehen den Türmen das Aussehen von Zyklopen. Greenside selbst schmiegte sich in eine Furche zwischen zwei Hügeln, eine Ansammlung von Häusern und Baracken. Das Dorf war größer, als Frost gedacht hatte, doch angesichts der riesigen Türme, unter denen sich jeweils ein Minenschacht befand, musste unter ihnen jede Menge Kohle lagern. Arbeit für sehr viele Menschen.

      Am Bahnhof waren sie die einzigen, die den Zug verließen. Die Arbeiter waren längst unter Tage, und sonst gab es hier nichts, was auswärtige Gäste anlocken könnte. Auf den beiden anderen Gleisen warteten lange Güterzüge darauf, mit Kohle beladen zu werden, um diese dann über ganz England zu verteilen.

      Überall war Kohle. Selbst die Luft fühlte sich schwerer an. Auf dem Boden befand sich eine feine Schicht Kohlestaub, und die ehemals gelbe Fassade des Bahnhofsgebäudes hatte ein trübes Grau angenommen.

      »Meine Lungen werden schwarz sein, wenn wir hier wieder abreisen.« Frost nahm ihren Koffer und ging voran. Hoffentlich gab es hier wenigstens Kutschen oder Droschken, die sie zu einem Hotel oder einer Herberge bringen konnten.

      »Grün ist hier wahrlich kaum etwas«, stimmte Payne trocken zu und schulterte seine Tasche.

      Natürlich standen keine Kutschen vor dem Bahnhof, um Passagiere zu fahren. Doch gleich auf der anderen Seite des Platzes, der obendrein die Dorfmitte war, stand eine Herberge. Daneben befand sich eine kleine Kirche, deren Mauern früher einmal weiß getüncht gewesen waren, sowie eine Kneipe. Die große Eiche in der Mitte des Platzes war kahl und wartete auf den Frühling.

      Ein paar Dorfbewohner standen vor der Kirche beisammen und rauchten. Frost bemerkte ihre Blicke, als sie den Platz überquerten. Sie reichten von misstrauisch bis gerade heraus feindselig.

      »Die Leute hier scheinen Fremde nicht sonderlich zu mögen«, bemerkte auch Payne.

      »Wir sind ja auch angezogen wie bunte Städter.« Die Kleider der Dorfbewohner waren tatsächlich schlicht und vor allem gedeckt gehalten. Frosts dunkelblaue Robe fiel dadurch noch mehr auf.

      »Kümmern Sie sich nicht um die«, rief ihnen jemand entgegen, und sie drehten sich verwundert um. Vor der Herberge stand eine matronenhafte Frau, deren riesiger Busen beinahe das Korsett sprengte. Sie hatte einen breiten Schal um die Schultern drapiert und trug ein mehrschichtiges Kleid aus brauner und grauer Wolle. Die grauen Haare hatte sie zu einem losen Knoten gesteckt, ihr rundes, freundliches Gesicht zierte ein schiefes Lächeln. »Die schauen selbst den neuen Priester misstrauisch an. Kommen Sie rein. Sie möchten bestimmt ein Zimmer mieten.«

      »Zwei, wenn es geht«, korrigierte Frost die Frau und folgte ihr hinein in die Herberge. Sie wollte nicht wieder mit Payne ein Zimmer teilen. Es war einfach zu merkwürdig, vor allem, weil sie Geschäftspartner waren. Sie hatte jetzt schon viel zu viel Privates von Payne gesehen, auch wenn ihr das Gesehene gefallen hatte.

      »Was führt Euch denn nach Greenside?«, fragte die Matrone, während sie ein paar leere Gläser von einem Tisch räumte. Die linke Hälfte des großen Raumes diente als Essplatz für Gäste. Zwei Männer nickten der Frau dankend zu und verließen die Herberge, wobei sie Frost und Payne musternd anschauten. »Habt einen guten Tag, Mr. Henry, Mr. Trench. Die beiden Gentlemen sind Vorarbeiter der Coal River Company und kommen nach ihrer Schicht immer auf ein Bier zu mir«, fügte sie erklärend zu Frost und Payne gewandt an.

      Frost schaute sich um. Der weite Raum war mit dunklem Holz getäfelt, die obere Hälfte der Wände bedeckte eine helle, gemusterte Tapete. Auf der rechten Seite befand sich ein Kamin. Mehrere bequem aussehende, aber etwas in die Jahre gekommene Sessel standen davor. Ein Bücherregal zierte die Wand daneben. Von der Decke hingen zwei Kronleuchter mit Glaskristallen. Dicke Teppiche nahmen dem Steinboden etwas Härte. Die Herberge sah gemütlich und sauber aus.

      »Wir sind im Auftrag eines Klienten hier«, sagte Frost und löste den Schal. Das Feuer verbreitete eine angenehme Wärme.

      »Sagen Sie nicht, Sie sind Anwälte«, rief die Frau erheitert aus. »Aus London, ja?«

      »Wir sind aus London, das stimmt.« Frost schmunzelte. Ihr Dialekt hatte sie wohl verraten. »Aber Anwälte sind wir ganz bestimmt nicht. Unser Klient hat uns damit beauftragt, etwas über seine Ahnen in Erfahrung zu bringen. Mein Name ist Lydia Frost, und dies ist mein Partner, Jackson Payne.« Sie deutete auf Payne, der kurz nickte.

      »Also, von so etwas habe ich ja noch nie gehört. Ihr Londoner seid so exzentrisch.« Die Matrone kicherte kurz und stellte sich dann vor. »Ich bin Gladis McArthur, mir gehört diese Herberge. Ich bin mir sicher, Sie wollen sich von der langen Reise erholen. Warten Sie, meine besten zwei Zimmer sind zurzeit frei – Gäste haben wir hier oben selten, leider.«

      Frost und Payne tauschten einen amüsierten Blick. Gladis McArthur musste der Sonnenschein von Greenside sein.

      Die beiden Zimmer lagen direkt nebeneinander im Obergeschoss. In beiden befand sich eine identische Einrichtung, schlicht zwar, aber gemütlich. Frost schaute sich zufrieden um und machte sich daran, ihre Sachen auszupacken. Erfreut stellte sie fest, dass es eine Wanne gab. Vor dem Abendessen würde sie sich ein ordentliches Bad gönnen, um den Schmutz der Reise abzuwaschen.

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