Liebes. Ich liebe Dich so sehr. Nur Menschen, die niemanden haben, der sie liebt, können einsam sein. Du dagegen hast Jesus und mich und die Schwestern.“
In einem anderen Brief nahm Schwester Angelica die Rolle der Lehrerin ein und gab Mae geistlichen Rat:
Liebste Mutter,
Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht Jesus für eine solch liebende und aufopfernde Mutter Dank sage. Mag auch manchmal Dunkelheit über Dich hereinbrechen, dann geschieht dies doch nur, damit Du nur einmal das ewige Licht umso mehr genießen kannst… Hör nicht auf zu lieben, denn das gefällt Jesus, es ist das einzig Wichtige…
In Liebe,
Schwester Angelica
Nach dem Eintreffen der neuen Postulantinnen waren sie nunmehr dreizehn Schwestern in dem überfüllten Kloster. Um die beengte Wohnsituation zu beheben, sollten neue Gebäude und eine schöne Kapelle angebaut werden.
Die Bautätigkeit brachte Rückschläge mit sich. Bei den Ausschachtarbeiten im März 1950 zerstörte die Baukolonne eine Abwasserleitung, durch die die Hausabwässer entsorgt wurden. Außerdem verrechnete man sich bei der Größe der neuen Gebäude. Im Hof wurde dadurch eine Gruppe von Bäumen unnötigerweise gefällt. Wenn sie auf die vorlaute sechsundzwanzigjährige Nonne gehört hätten, als diese gelegentlich die Blaupausen der Pläne überprüfte, hätten sie diese Fehler vermeiden können. Schwester Angelica schaute häufig bei den Arbeitern vorbei und war dafür bekannt, dass sie sich mit ihnen auf fachliche Dispute einließ. Ab Mai gab es dann niemanden mehr, mit dem sie sich hätte auseinandersetzen können. Durch einen von der Gewerkschaft ausgerufenen Streik blieben die Bauleute zu Hause. Der Bau kam zum Stillstand. Aus den Kalendereinträgen der Gemeinschaft ist zwar die Enttäuschung der Nonnen über die Verzögerung ihrer Pläne zu entnehmen, doch da gab es bereits ein anderes Projekt, das ihre Stimmung hob.
Das Kloster St. Klara veranstaltete im August sein erstes Treffen zwischen Schwarzen und Weißen. Bischof McFadden zelebrierte auf dem Rasen vor dem Kloster die Messe. Es waren drei Busladungen schwarzer und weißer Pilger aus Cleveland gekommen. Frau Dr. Norma Marcere, eine schwarze Freundin von Mae Francis, organisierte die Veranstaltung, die wahrscheinlich wenig Anklang bei den meisten Nonnen der Gemeinschaft fand. Dennoch betrachteten die Schwestern dieses Treffen als einen Erfolg.
Dass vom Kloster überhaupt eine solche Veranstaltung zu einer Zeit stattfand, in der die Rassenintegration noch ein Tabu war, verdeutlicht die Geisteshaltung, eine Art „Gegenkultur“ des Klosters und seiner Bewohner. Die Schwestern vom Kloster St. Klara verfolgten die Rassenproblematik mit großem Interesse ungeachtet der Tatsache, dass es in der Stadt nur wenige schwarze Katholiken und in der Gemeinschaft keine einzige schwarze Schwester gab. Schwester Angelica war besonders aufmerksam und interessiert, da sie zusammen mit Schwarzen im selben Wohnviertel gelebt und selbst erfahren hatte, wie man auch Italienern gegenüber voreingenommen war.
Zwischen 1950 und 1953 traten eine Reihe junger Aspirantinnen in das Kloster ein in der Hoffnung, der Schwesterngemeinschaft beitreten zu können. Insbesondere drei von ihnen sollten lebenslange Bande mit Schwester Angelica knüpfen.
Elizabeth Olson oder Schwester Mary Joseph, wie sie als Ordensschwester hieß, besaß eine Gelassenheit und ein ungezwungenes Lächeln, das sie bereits im Jahr 1950 beim Überschreiten der Türschwelle bei den Nonnen beliebt machte. Die versierte Schneiderin deutsch-schweizerischer Herkunft widmete sich ganz der Anfertigung der Ordenstrachten, wenn sie nicht gerade beim Gebet war. Ob bei der Arbeit oder in der Freizeit, in der Kapelle oder außerhalb: Schwester Joseph hatte immer einen staunenden Gesichtsausdruck und weit geöffnete Augen, als wären ihr soeben die Engel mit all ihrer Glorie erschienen.
Im Januar 1951 trat Kathleen Myers aus Louisville, Ohio, in das Kloster St. Klara ein. Dieses hübsche Mädchen mit dem schmalen Kinn und breiten Lächeln, bei dem man ihre schönen Zähne sah, hatte etwas Nervöses an sich. Vor ihrem Eintritt ins Kloster hatte Kathleen das College abgeschlossen und in einer Kunsthandlung als Sekretärin gearbeitet. Wäre sie nicht Nonne geworden, hätte sie sich wahrscheinlich weiter mit der Kunst beschäftigt. Nachdem sie den Schleier genommen hatte, wurde sie die Schreiberin, Zeichnerin und Dichterin der Gemeinschaft und sang die erste Sopranstimme. Im Ordensleben wurde sie als Schwester Mary Raphael bekannt.
Raphael hörte Schwester Angelica schon lange, bevor sie sie erstmals zu Gesicht bekam. Sie arbeitete als Externe, das heißt als Schwester, die Botengänge außerhalb des Klosters machte. Sie brachte die Lebensmittel zu einer Art Drehschalter (ähnlich dem Nachtschalter einer Bank), durch den die Waren ohne menschlichen Kontakt in die Klausur gelangen konnten. Raphael hatte gerade einige Lebensmittel in diesen Kasten gelegt, als eine muntere Stimme herausrief: „Ist Gott nicht gut?“ Die Worte hallten wie ein Echo aus dem Gitter und der dahinterliegenden Metalltrommel. „Sie sind die neue Postulantin, nicht wahr? Ist Gott nicht gut?“ Bald sollte sie die Antwort auf diese Frage bekommen mit Hilfe derjenigen, deren Stimme sie gehört hatte.
Evelyn Shinosky, später Schwester Mary Michael genannt, kehrte zum katholischen Glauben zurück, nachdem ihre Eltern aus der katholischen Kirche ausgetreten waren, um sich einer polnischen Splittergruppe anzuschließen. Sie war klein von Gestalt, beherzt und unkompliziert und eine unermüdliche Arbeiterin. Ihr Kochtalent und ihre Hilfsbereitschaft zeichneten sie in der Gemeinschaft aus. Auch heute noch besitzt Schwester Michael mit ihren großen Augenlidern eine unerschütterliche Anmut. Sie beschrieb die Schwester Angelica, die ihr in den frühen Fünfzigerjahren begegnete, als einzigartig und fleißig: „Sie war ungewöhnlich und kümmerte sich um alles.“
Die Feuerprobe
Für Schwester Angelica gab es jetzt im neuen Kloster viel zu tun. Im Oktober 1951 waren der Altar für das Eucharistische Altarsakrament und die weiträumigen Wohnbereiche zwar fertiggestellt, doch die Folgen der schnell ausgeführten Arbeiten wurden nun sichtbar. Bei jedem Regen sah man an den Kellerwänden dunkle feuchte Stellen an den Wänden. Schließlich bildeten sich am Putz Wassertropfen, die auf den Boden tropften. Der Architekt hatte versäumt, zwischen der Außenwand aus Ziegelsteinen und der Innenwand einen kleinen Zwischenraum zu lassen. So konnte die Feuchtigkeit nicht entweichen. Schwester Angelica hatte diesen Konstruktionsfehler schon früh in den Plänen entdeckt, doch ihre Warnungen hatte man ignoriert. Angelica hatte nun greifbare Beweise in der Hand und trug ihre Kritik erneut Mutter Clare vor.
„Mutter, wir müssen dieses Haus hier in Ordnung bringen, es fällt sonst zusammen.“
„Wir haben dafür kein Geld, Schwester Angelica“, erwiderte Mutter Clare.
Angelica hatte bereits eine Lösung parat: „Ich werde ein paar von den Jungs holen“, kündigte sie an.
Die „Jungs“ aus ihrer alten Wohngegend aus dem Südosten von Canton wurden überredet, sich den Arbeitern der Nonne anzuschließen. Größtenteils arbeiteten sie ohne Entgelt.
„Ich habe so viele ehrliche Jungs bekommen, wie ich wollte, aber darunter waren auch ein paar andere“, sagte Mutter Angelica mit einem verständnisvollen Lächeln. Damit begann das erste von Angelicas vielen Bauprojekten.
Einfache Arbeiter und Hilfsarbeiter schlenderten durch die Flure des Klosters St. Klara, nachdem ihre Tagesarbeit beendet war. Onkel Nick Francis wurde zum Nachtschichtleiter ernannt. Rings um das Kloster nannte man die Männer Angelicas „Tonys“.
„Lasst es uns diesmal richtig machen, Jungs“, rief die Nonne mit der Brille ihrer Truppe im Untergeschoss zu.
Durch ihren Kurs im Technischen Zeichnen und die regelmäßige Lektüre des Technikmagazins Popular Mechanics sowie weiterer Fachzeitschriften für Architekten und Zimmerleute war Schwester Angelica gut vorbereitet und die perfekte Vorarbeiterin in Ordenstracht. Die geschickte Nonne wusste, wie man mit Werkzeugen umgeht. Sie konnte bei Bedarf undichte Wasserhähne reparieren und Schränke aufbauen.
„Sie war eine Art Alleskönnerin“, erinnerte sich Schwester Mary Anthony, eine damalige Externe. „Wenn irgendetwas nicht mehr funktionierte, dann rief man einfach nach Schwester Angelica.“
Doch ihre