Vaterland, dir bleiben
auf ewig fest und treu.
Ach Gott, tu erheben
mein jung Herzensblut
zu frischem freud’gen Leben,
zu freiem frommen Mut.
Lass Kraft mich erwerben
in Herz und in Hand,
zu leben und zu sterben
fürs heil’ge Vaterland!
Frankreichs Ziel, mit dem Rhein eine natürliche Staatsgrenze im Osten zu haben, war infolge des Pfälzischen Erbfolgekriegs (1688–1697) unter Ludwig XIV. (1638–1715) nur bedingt und unter Napoleon um 1800 nur vorübergehend erreicht worden; zumindest was den Rheinverlauf ab Karlsruhe rheinabwärts anbelangt, hatte der Wiener Kongress diesem Ansinnen ein Ende bereitet. Doch 1840 gab es erneut in Frankreich unter der Regierung von Adolphe Thiers (1797–1877) Bestrebungen, das Territorium bis an den Rhein auszuweiten, den französischen Einfluss Richtung Osten, aber auch im Mittelmeer zu verstärken.
Als Reaktion auf die als »Rheinkrise« bezeichneten deutsch-französischen Spannungen entstanden deutscherseits nationalistisch-patriotische Lieder wie das »Rheinlied« (»Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein, bis seine Flut begraben des letzten Manns Gebein«) von Nikolaus Becker (1809–1845) und »Die Wacht am Rhein«, 1840 von Max Schneckenburger (1819–1849) getextet:
Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
Durch Hunderttausend zuckt es schnell,
Und Aller Augen blitzen hell,
Der deutsche Jüngling, fromm und stark
Beschirmt die heilge Landesmark.
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
Er blickt hinauf in Himmelsaun,
Wo Heldengeister niederschaun,
Und schwört mit stolzer Kampfeslust:
»Du Rhein bleibst deutsch wie meine Brust.«
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
»Und ob mein Herz im Tode bricht,
Wirst du doch drum ein Welscher nicht;
Reich wie an Wasser deine Flut
Ist Deutschland ja an Heldenblut.«
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
»So lang ein Tropfen Blut noch glüht,
Noch eine Faust den Degen zieht,
Und noch ein Arm die Büchse spannt,
Betritt kein Feind hier deinen Strand.«
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
Der Schwur erschallt, die Woge rinnt,
Die Fahnen flattern hoch im Wind:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!
Wir Alle wollen Hüter sein!
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!
Dieser Text provozierte Erwiderungen: 1840 dichtete Alfred de Musset (1810–1857) »Le Rhin allemand«:
Wir haben ihn gehabt, den deutschen Rhein.
In unserm Glas sahn wir ihn funkeln.
[…]
Lasst friedlich fließen euern deutschen Rhein.
Es spiegele sich geruhsam wider
Der Dome gotisches Gestein.
Doch hütet euch, durch trunkne Lieder
Von ihrem blutgen Schlaf die Toten zu befrein.
Versöhnlicher klang das Ende seines Gedichts »Marsaillaise de la paix«, das Alphonse de Lamartine (1790–1869) 1841 vorlegte (»Fließe frei und erhaben zwischen deinen weiten Ufern, Rhein, du Nil des Westens und Trinkschale der Nationen! Und nimm mit dir fort Trotz und Ehrgeiz der Völker, die an deinen Ufern lagern und aus deinen lebendigen Wassern schöpfen.«).
Die Haltung Victor Hugos (1802–1885) dagegen war zwiespältiger. Der heutzutage auch in Deutschland vielzitierte und verehrte französische Dichter war ein Fürsprecher der politischen Forderung. Seine Feststellung lautete lapidar: »Wir befinden uns auf dem linken Rheinufer, d. h. in Frankreich, so wie man auf dem rechten Ufer in Deutschland ist.« Und im Schlussteil seiner 1842 erschienenen Rheinreise, steht:1
»Die Lösung besteht darin, jeden Anlass für Hass zwischen den beiden Völkern abzuschaffen, die Wunde zu schließen, die uns 1815 an unserer Flanke zugefügt wurde, die Spuren einer heftigen Reaktion auszulöschen, Frankreich zurückzugeben, was Gott ihm geschenkt hat: das linke Rheinufer.«
Erst mit der schwungvollen, marschähnlichen Melodie von Carl Wilhelm (1815–1873), Dirigent der Krefelder Liedertafel, und damit erst nach dem Tode des Dichters, erhielt »Die Wacht« eine größere Aufmerksamkeit. Die Komposition entstand 1854 anlässlich der Silberhochzeit von Prinz Wilhelm von Preußen (1797–1888), dem späteren Kaiser Wilhelm I., und Prinzessin Augusta (1811–1890). Im Kaiserreich häufig bei offiziellen Anlässen gespielt, war die »Wacht am Rhein« gleichsam eine Hymne, die in Konkurrenz zu »Heil dir im Siegerkranz« stand. Doch so populär ihre Zeilen waren, so fehlte in ihnen jeglicher Hinweis auf die Hohenzollern, als offizielle Nationalhymne konnte sie daher nicht in Betracht kommen. Der Liedtitel entspricht einem Programm und einem symbolträchtigen Motto in der militärischen Auseinandersetzung mit Frankreich, er kündet von Deutschlands Macht und Stärke. Fünf der sechs Strophen dieses martialischen Vaterlandliedes finden sich auf einem Relief auf der Südseite des 1883 eingeweihten Niederwalddenkmals (Germania) bei Rüdesheim. So wundert es nicht, wenn in den folgenden Jahren rechts des Rheins Reiseandenken, später auch Postkarten oder Löffel vermarktet wurden, auf denen zu lesen war: »Der Rhein – Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze.«
Abb. 2: »Die Wacht am Rhein«, Relief am Niederwald-Denkmal (Germania), Postkarte um 1900.
Nur wenige Monate nach der Reichseinigung wurde dem Komponisten Carl Wilhelm am Ende seines Lebens eine besondere Ehre zuteil. Aufgrund der Bitte bzw. eines Appells des Deutschen Sängerbundes an den Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) vom 26. Mai 1871 sollte der Verfasser der »Wacht am Rhein« eine »Ehrenschuld des Gesamtvaterlandes« erhalten (»Das Vaterland darf aber den Tonsetzer eines eminent-nationalen Gesanges, der ganz Deutschland zu der großartigsten Erhebung, zu den herrlichsten Siegen mitentflammt, nicht darben, nicht in Sorgen den kurzen Lebensabend verkümmern lassen.«). Einen Monat später erhielt der Komponist ein Schreiben Bismarcks:2
»Sie haben durch die Komposition von Max Schneckenburgers Gedicht ›Die Wacht am Rhein‹ dem deutschen Volke ein Lied gegeben, welches mit der Geschichte des eben beendeten, großen Krieges untrennbar verwachsen ist. Entstanden zu einer Zeit, wo die deutschen Rheinlande in ähnlicher Weise