Jörg Koch

Einigkeit und Recht und Freiheit


Скачать книгу

es wurde nicht weniger als hundertmal in Musik gesetzt. Der Germanistik-Professor Hoffmann von Fallersleben unterlegte der alten Kaiserhymne einen neuen Text – das Deutschlandlied. Derweil beschloss man in Köln, am Dom – dem Symbol der unvollendeten deutschen Einheit – die im Mittelalter unterbrochenen Bauarbeiten wiederaufzunehmen. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. legte den Grundstein und hielt dabei eine antifranzösische Rede.

      In diesem überhitzten Klima wollte auch der schwäbische Hütteningenieur Max Schneckenburger nicht zurückstehen. In einer Eisengießerei im fernen Bern küsste ihn die patriotische Muse. Er griff zur Feder und brachte ›Die Wacht am Rhein‹ zu Papier […].

      Im Krieg 1870/71 stieg ›Die Wacht am Rhein‹ zur inoffiziellen deutschen Nationalhymne auf und blieb es bis zum Ende des Kaiserreichs. Sie zur offiziellen deutschen Nationalhymne zu erheben, zögerte der Berliner Hof, da – wie ›Meyers Großes Konversationslexikon‹ von 1908 feinsinnig anmerkt – ›dieselbe wegen ihrer antifranzösischen Spitze nicht bedingungslos für die internationale Repräsentation geeignet‹ schien. Mit dem amtlichen Liedgut hatten die Deutschen, wie man sieht, schon damals ihre Not […]«.

      3

      Das Lied der Deutschen« – Inhalt und Bedeutung

      Deutschland, Deutschland über alles,

      Über alles in der Welt,

      Wenn es stets zu Schutz und Trutze

      Brüderlich zusammenhält;

      Von der Maas bis an die Memel,

      Von der Etsch bis an den Belt:

      Deutschland, Deutschland über alles,

      Über alles in der Welt!

      Deutsche Frauen, deutsche Treue,

      Deutscher Wein und deutscher Sang

      Sollen in der Welt behalten

      Ihren alten schönen Klang,

      Uns zu edler Tat begeistern

      Unser ganzes Leben lang:

      Deutsche Frauen, deutsche Treue,

      Deutscher Wein und deutscher Sang!

      Einigkeit und Recht und Freiheit

      Für das deutsche Vaterland!

      Danach lasst uns alle streben

      Brüderlich mit Herz und Hand!

      Einigkeit und Recht und Freiheit

      Sind des Glückes Unterpfand;

      Blüh im Glanze dieses Glückes,

      Blühe, deutsches Vaterland!

      Die beiden ersten Zeilen des »Deutschlandliedes« gehören zu den bekanntesten Versen überhaupt. Oft zitiert, gesungen, gegrölt, inhaltlich missbraucht und missverstanden, sind sie nicht im Sinne eines chauvinistischen Herrschaftsanspruchs anderen Staaten gegenüber zu verstehen. Auch sie spiegeln den Geist der Zeit, insbesondere die Gesinnung ihres Verfassers wider. August Heinrich Hoffmann fordert als verbindende Klammer ein Deutschland über viele deutsche Länder hinweg, also die Einheit und das Ende der Partikularstaaten. Denn nur ein geeintes, mächtiges Deutschland könne die Gebietsansprüche Frankreichs zurückweisen. Im Gegensatz zu anderen Rheinliedern jedoch erwähnt der Verfasser in seinem Lied weder den Rhein noch Frankreich. Vielmehr nennt er in seiner ersten Strophe vier Flüsse, die die Grenzen dieses neuen Deutschlands markieren. Alle vier Gewässer liegen außerhalb der deutschen Grenzen von 1937, doch damals entsprachen sie im Wesentlichen den allseits akzeptierten Grenzen des Deutschen Bundes:

      Die rund 875 Kilometer lange Maas, die in Frankreich entspringt, Belgien und die Niederlande durchfließt, bevor sie in das Rhein-Maas-Delta mündet, bildet die Grenze zwischen den Provinzen Belgisch-Limburg und Niederländisch-Limburg. Aufgrund einer neuen Gebietsregelung im Jahr 1839 (»Londoner Protokoll«) fiel der niederländische Teil von Limburg an den Deutschen Bund, damit war die Maas die westliche Grenzmarkierung des Staatenbundes. Daran hat sich bis heute kaum etwas verändert; die Maas nähert sich in ihrem Lauf der deutschen Grenze bei Kaldenkirchen (Nordrhein-Westfalen) auf rund fünf Kilometer.

      Die rund 940 Kilometer lange Memel entspringt in Weißrussland und zieht sich durch Litauen, wo sie ins Kurische Haff (Ostsee) mündet. Die Hafenstadt Memel (Klaipeda) war bis 1920 die nördlichste Stadt Deutschlands. Zwar gehörte Ostpreußen nicht dem Deutschen Bund an, doch weil im Memelgebiet Deutsche lebten, bzw. Kaschuben, Polen und Masuren, die als Preußen geführt wurden, vielerorts dort auch deutsch gesprochen wurde und überdies das preußische Königspaar Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) und Luise (1776–1810) während der napoleonischen Herrschaft hier Zuflucht gefunden hatte, galt den Zeitgenossen diese Gegend als deutsch. Die Memel als östlicher Grenzfluss war zwar problematisch, doch ganz abwegig war diese Markierung nicht.

      Mit Nennung der Etsch als südlicher Grenze ist der Oberlauf des 415 Kilometer langen Flusses in Südtirol gemeint und Südtirol mit seiner Hauptstadt Bozen gehörte zu Österreich und damit staatsrechtlich betrachtet zum Deutschen Bund.

      Als letzte Markierung wird der Belt genannt, damit verweist der Textdichter auf die Wasserstraße zwischen den Inseln Fehmarn und Lolland, auf den Fehmarnbelt. Fehmarn gehörte zum Herzogtum Holstein und war damit Teil des Deutschen Bundes.

      Auch wenn die erste Liedstrophe einen gewissen Nationalstolz verkörpert, liegt es entstehungsgeschichtlich gesehen fern, diese Verse als Ausdruck nationalistischer Überheblichkeit des deutschen Volkes interpretieren zu wollen. Mit »Schutz und Trutz« ist Verteidigung gemeint, nicht Angriff.

      Hoffmann von Fallersleben, der sich mit dem mittelalterlichen Minnesang auskannte, nahm sich Walter von der Vogelweides (um 1170–um 1230) Dichtung »Ir sult sprechen willekomen« (um 1200) zum Vorbild, darin schon nennt der Lyriker zwei Flüsse: »Von der Elbe unz an den Rhin« (also »von der Elbe bis an den Rhein«).