Robert Heymann

Jeder Mann liebt Ursula


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Augen musterten ihn unruhig. Er wurde rot, Ursula sah es nicht, denn sie gingen die Straße entlang, die in einem schmutzigen Halbdunkel lag.

      „Ja, Ussi, es war ein weiter Weg von der Deutschen Bank bis — bis hierher. Aber wenn man erst ohne Stellung ist ... und keine mehr bekommt ...“ Plötzlich redete er hastig und atemlos ... „Du mußt nicht denken, daß ich hier die Hände aufhalten und betteln würde, wenn es sich nur um mich handelte. Nein, ich tu’s wegen Mutter ... Herrgott, Ussi, du kannst es dir ja nicht vorstellen ...“ Ihre Hand fuhr wie liebkosend über seinen abgetragenen Rock.

      „Ich kann, Peter ... aber du gehst nicht unter! Du nicht! Nur Kopf hoch, weißt du?“

      Er nickte und lächelte verloren.

      „Ich weiß, Ussi.“

      Schön war sie geworden! Unter dem halboffenen pelzbesetzten Mantel das grüne Seidenkleid! „Paßt wundervoll zu deinem hellen Teint mit dem zarten Aprikosenton!“

      „Den hab’ ich mir doch angeschminkt!“ Ihr kleiner, koketter Hut saß schief auf dem hellen Haar, eine rote Feder knallte darüber.

      „Du hast auch immer noch deine süße Stupsnase“, fuhr Peter fort und ging neben Ursula her.

      „Findest du?“ Ussi wurde rot. Eigentlich — frech war das! Ich muß mir noch heute meine Nase im Spiegel besehen. Jetzt sind lange Nasen modern. Man kann dem Fehler ja abhelfen. Für einige hundert Mark kauft man sich beim Schönheitsdoktor eine andere Nase. Nur das Geld muß man erst mal haben!

      Sie lachte über ihre eigenen Gedanken, und die Stupsnase lachte mit, dieses Periskop der Sehnsucht, das die Dinge schon hundert Meter voraus spiegelt, ehe die Augen recht bei der Sache sind.

      „So ein Zufall!“ sagte Ussi. Peter schwieg ...

      „Nun, Peter?“

      „Ja, ein großer Zufall! Ich hatte dich gesucht, Ussi, aber leider — nicht mehr gefunden.“

      „Ich wohne nicht mehr bei Mutter.“

      „Das hat sie mir erzählt. Warum nicht mehr?“

      „Ich arbeite in einem Laden in Charlottenburg ... Die Entfernung bis zum Zoo ... ich habe da immer so viel Zeit verloren. Trotz der guten Verbindung mit der U-Bahn.“

      „Jawohl“, sagte Peter und schaute sie von der Seite an. Nach einer kleinen Pause: „Aber deine Schwestern wohnen noch bei der Mutter!“

      „Martha, Frieda und Paula ... ja! Die wohnen noch da. Die arbeiten aber auch in der Gegend! Martha bei Tietz, Frieda in einer Wäscherei, und Paula ist ja noch zu klein zum Arbeiten.“

      Albern und uninteressant sind die Mädels, dachte Peter, die können sich mit Ursula nicht messen! Eine richtige Dame ist sie geworden. Nicht wegzukennen von den Kurfürstendamm-Frauen! Talentiertes Mädl!

      „In welchem Geschäft arbeitest du denn jetzt, Ussi?“

      Sie sagte: „Mein letzter Chef arbeitete in Importartikeln, aber in der Krise ist er pleite gegangen. Da bin ich als Verkäuferin bei Dietrich Jonas eingetreten.“

      „Wer ist Dietrich Jonas?“ fragte Peter.

      „Ein Juweliergeschäft dicht bei der Tauentzienstraße.“

      „Da bist du jetzt Verkäuferin?“

      „Wieso fragst du? Staunst du?“

      „Nun, ich denke, man muß da allerhand verstehen von Brillanten und Schmuck und den Fassungen. — Ich könnte jedenfalls so einen Posten nicht ausfüllen.“

      „Das ist doch nicht schwer, Peter!“ erwiderte Ursula in mütterlichem Tone. „Die Preise sind alle aufgeschrieben, und zum Verkauf ist ’ne alte Schraube da, das heißt, sie sieht sehr vornehm aus, hochgeschlossener Kragen, wie ’ne Stiftsdame oder so. Na, und der Chef, Junge, über den kannst du dir totlachen ...“

      „Du dich ...“

      Ursula schwieg einige Sekunden beleidigt und beschämt, dann lachte sie.

      „Ein alter Fehler, Peter. Ich dachte, ich hätte ihn mir schon abgewöhnt. Also der Chef ist dick und rund, stammt irgendwoher aus dem Balkan, — oder noch weiter ... von so ’ner Insel, wo die Samosweine herkommen. Ich bin eigentlich fürs Geschäft die Anreißerin.“

      „Was bist du?“ fragte Peter und blieb stehen. Es war sehr spät geworden, der Platz hinter ihnen lag einsam, das breite Theater war hingewuchtet wie ein riesiges schlafendes Tier. Nur am Schönhauser Tor war noch geheimnisvolles Leben.

      „Wo willst du denn eigentlich hin?“ fragte Ursula unvermittelt.

      „Ich bringe dich nach Hause. Nach dem Westen, nicht wahr? Oder —“ Peter schaute betreten an seinem grünschimmernden Rock herunter — „oder wenigstens bis an die Treppe zur Untergrundbahn.“

      „Noch nicht“, sagte Ussi. „Wir wollen uns noch ein bißchen ausquatschen. Wo wohnst du denn?“

      „Ich?“ Er zauderte. Sie beugte sich neugierig vor und schaute ihm im Schein der elektrischen Lampe erst mal richtig ins Gesicht. Gelbe Furchen zogen sich von der langen schmalen Nase zum Mund herab. Dieser Mund sah aus wie gespalten. Der Mantel schlotterte an seinem Körper.

      „Wann hast du deine Stellung verloren, Peter?“

      „Vor achtzehn Monaten.“

      „Du hast wohl jetzt gar keine Bleibe?“

      „Doch, mach dir keine Sorgen! Ich wohne in einem Männerheim — gar nicht weit! Gormannstraße. Gegenüber der Stempelstelle.“

      „Da kann ich wohl nicht mitkommen? Ist da nicht so etwas wie ein Restaurant?“

      „Nein, Ussi, da sind nur Männer, eine Frau würde sich da fühlen wie — wie im Urwald. Aber wenn wir noch ’n paar Minuten gehen, da in der Nähe ist ein Café, da habe ich Kredit!“ —

      „Gut“, sagte Ursula gedrückt. Sie schlenderten die schlecht beleuchtete Straße entlang. Ussi beschmutzte sich die neuen Schuhe ... es rieselte schon eine Weile von dem schwarzen Himmel nieder ... aber sie ging doch neben Peter, und so viele Erinnerungen knüpften sich an ihn! Als man noch so jung war und von einem eigenen kleinen Heim träumte, von Kindern und so ...

      „Du hast inzwischen kein Glück gehabt, Peter?“

      Er machte eine fahrige Handbewegung. „Nein. Viel Glück habe ich ja bisher im Leben überhaupt nicht genossen. Nur damals — was Ussi?“

      Ussi zog den Pelz ihres Mäntelchens fester um den Hals. Sie hatte plötzlich Angst vor dem, was er sagen würde. Und doch reizte es sie, ihn anzuhören. Warum bloß, dachte sie. Ich gehe jetzt einfach mit Peter, als ob es noch so wäre wie damals! Aber inzwischen ist die Zeit vergangen, alles ist anders geworden. — Wie sehr ist alles anders geworden!

      Sie traten in das Café. Nachdem sie bestellt hatten, sagte Peter:

      „Denkst du noch daran, wie du und ich ... ja, Ussi? Wie waren wir glücklich!“

      Ursula lachte ein wenig zu laut und verstummte. Sie bereute plötzlich mitgegangen zu sein. Was hatte sie hier zu suchen in diesem merkwürdigen Café, so spät, in einem Viertel, das ihr längst nichts heimatliches mehr bot? Während der Kellner ihr die Melange und Peter einen Korn servierte, schaute sie sich um. Sie saßen nahe der Tür, ein langer schmaler Gang führte nach rückwärts. Da saßen fremdartige Gestalten, manche stierten lautlos vor sich hin, andere würfelten, drei fragwürdige junge Leute spielten auf dem Damebrett ein Glücksspiel, nicht ohne Streit und Zwischenrufe. Am Tisch neben Ussi hatten einige Männer Platz genommen. Sie waren sehr gut angezogen, aber Ussi verzog den Mund. Der Stiernacken des einen war ihr widerwärtig. Der andere mit den stechenden Augen hatte das Gesicht voller Narben, der Kopf des dritten lief spitz zu wie bei dem letzten Aztekenkönig, den Ussi mal auf dem Rummel für zwei Groschen bestaunt hatte. Unwillkürlich dachte Ussi an das Plakat vor einer anderen Schaubude: eine tote Frau auf der Erde, ein Verbrecher neben dem Opfer