Artur Brausewetter

Der Ruf der Heimat


Скачать книгу

wüsste nicht, welche Arbeiten und welche grossen Kosten das gewesen sein könnten.“

      „Wenn ich eine so grosse Lieferung von Eichenrundhölzern und Kiefernschwellen übernehmen und zu einem festen Termin durchführen sollte, so musste ich sie entsprechend vorbereiten. Ich habe mir deshalb beim Grafen Patocki auf Brinczyn einen umfangreichen Waldbestand gesichert und eine Anzahlung auf ihn gemacht, habe vor allem ein lohnendes Angebot auf Lieferung von Exportschnitthölzern abschlagen müssen, weil man auf sofortige Entscheidung drang und ich es unmöglich mit Ihrem Auftrag in Einklang bringen konnte —“

      „Bevor Sie dieses Auftrages sicher waren? Bevor Sie einen Vertrag oder irgend etwas Festes in Händen hatten —?“

      „Ich meinte, wenn ein Vandekamp mir eine solche Lieferung in Aussicht stellte, dann wäre sie so gut wie getätigt.“

      Ein so fester Glaube an Friedrich Vandekamp und seine unfehlbare Sicherheit spricht aus diesen Worten. Der aber hat kein Ohr für sie.

      „Es tut mir leid, Herr Brackmann, aber ich verstehe Sie nicht mehr, verstehe nicht, wie ein erfahrener. Kaufmann so wenig überlegt und unvorsichtig handeln konnte. Wie durften Sie so weittragende Verpflichtungen eingehen oder ein für Sie günstiges, sicheres Angebot ausschlagen, wo zwischen uns keinerlei Bindungen, überhaupt nichts Festes vereinbart war und es sich lediglich um eine Aussicht handelte, die ich Ihnen eröffnete?“

      Friedrich Vandekamp hat recht gesagt: Er ist an der Grenze seines Verstehens angelangt. Von Jugend an kaufmännisch geschult und eingestellt, nichts im Sinne habend und nichts erstrebend als sein Geschäft, dessen Nutzen und Aufblühen, kann er ein so unkaufmännisches Handeln nicht begreifen, ja, nicht einmal verzeihen.

      „Sie werden einsehen, Herr Brackmann, dass Sie nicht den geringsten Anspruch auf eine Entschädigung an mich stellen können.“

      Ein jäher Wechsel vollzieht sich in Philipp Brackmanns Zügen: die Zuversicht, die sie bis dahin erfüllt, ist einer Bestürzung gewichen, die zu verbergen, ihm nicht mehr möglich ist. Er erkennt, dass der Mann, der ihm mit einem Male unberührt und jedem seiner Worte unzugänglich gegenübersitzt, mit seiner nachsichtslosen Klarheit, seiner verstandesnüchternen Schlussfolge im Recht ist, dass er sein Spiel verloren hat.

      Er ist Alt-Danziger Kaufmann, seine Vorfahren gehörten zu den Patriziern, genau so wie die Vandekamps. Er hat noch nie gebeten, in seinem ganzen Leben nicht. Aber jetzt ... in seiner bis zum äussersten gestiegenen Bedrängnis, in der Not, in die er sich und sein Geschäft durch eine, das kann er sich nicht länger verhehlen, übereilte Handlungsweise gestürzt hat.

      „Wenn Sie die Verpflichtung zu einer Entschädigung nicht anerkennen können“, ringt es sich von der stockenden Zunge, „so gewähren Sie sie mir aus freien Stücken, und ich werde Ihnen dankbar sein.“

      Sieht Friedrich Vandekamp die hilflose Verlegenheit nicht auf den fahlbleichen Zügen des bitter enttäuschten Mannes? Vernimmt er die mühsam erkämpfte Bitte nicht, die die stammelnden Lippen angsterfüllt ihm entgegentragen?

      Nichts von alledem. Philipp Brackmann ist als Kaufmann für ihn gerichtet. Damit ist die Angelegenheit für ihn erledigt.

      „Auch dazu kann ich mich nicht verstehen.“

      Eine Pause. Nichts hört man als das dumpfe Anschlagen einer Schreibmaschine im Nebenraum, in dem Söna Sentland die Briefe fertigt, die ihr der Chef vorhin diktiert und die bis zur Mittagspost fertig sein müssen, ab und zu auch das Läuten eines Fernrufers oder einen eilenden Schritt über den Flurgang.

      Philipp Brackmann sitzt nicht mehr auf seinem Platze. Mit unsicherem Schritt tastet er durch das kleine Kontor, bleibt stehen, wischt mit einem grossen blauseidenen Tuch den Schweiss ab, der ihm in hellen Tropfen von der glühenden Stirn rinnt.

      „Also keine Hilfe mehr!“

      Unstet, ziellos irrt sein Blick durch den stillen Raum, bleibt auf Friedrich Vandekamps geschäftlich eingestellten Zügen haften, als hoffte er immer noch etwas von ihm. In dessen Gesicht zuckt es wohl auf, er fühlt sich auch nicht mehr so sicher und geborgen in seinem Rechte. Einmal ist es, als wolle er etwas sagen, vielleicht ein Zugeständnis machen, das, und sei es noch so gering, Rettung bringen könnte. — — — Dann aber erhebt sich eine Macht, tritt zwischen ihn und sein besseres Wollen, eine Macht, der Friedrich Vandekamp gedient hat sein Leben lang, der er verfallen ist mit Leib und Seele, die sein Gott geworden ist, ein strenger und unerbittlicher Gott, der keine anderen Götter neben sich duldet ... nein, kein Gott, ein Dämon, der ihn am Gängelbande führt, dem er hörig geworden ist und untertan: das Geld.

      „Ich kann nichts für Sie tun, Herr Brackmann“, sagt er nicht ohne eine gewisse Überwindung, aber kurz und unweigerlich, als könnte er gar nicht anders, als gäbe diese Macht das Wort ihm ein.

      Nicht von der Stelle rührt sich Philipp Brackmann. Und wiederum nimmt sein Auge die unstete Wanderung auf, irrlichtert hin und her ...

      Plötzlich findet es ein Ziel: die junge Männergestalt, die dem Chef gegenübersitzt, Friedrich Vandekamps Sohn Timm.

      Und nun richtet es sich mit einer Inbrunst auf ihn, klammert sich an seine Gestalt, sein Antlitz, als müsste von ihm die Hilfe kommen, die letzte, die der Vater ihm versagt. Die Jugend ist ja verständnisvoller, ist auch mitleidiger als das hart und unzugänglich gewordene Alter, hat ein weniger beschwertes Herz. Er hat es manches Mal erfahren, warum sollte es ihm hier versagt sein, wo er seiner am nötigsten bedarf, wo es der letzte Halt sein könnte, ihn aus der Tiefe seiner Not zu retten?

      Er hat sich verrechnet. Nichts begegnet dem flehend suchenden Blick als kühle Gleichgültigkeit.

      Nicht als ob der da drüben ohne Mitleid oder menschliche Regung wäre. Er ist von Natur aus gutmütig und zum Geben bereit, wahllos oft und ohne Überlegung. Für ihn gibt es die Macht nicht, die hemmend und unwiderstehlich den Vater beherrscht. Gewiss, auch er liebt das Geld. Aber es ist ihm lediglich ein Gegenstand, für den man bessere Werte eintauscht, seinen Freunden Gutes tun und ihnen helfen kann, sein Diener, aber nicht sein Herr. Solche Angelegenheiten aber sind Sache des Vaters, gehen ihn nichts an. Wozu sich mit ihnen beschweren?

      So hat ihn diese ganze Unterredung wenig berührt, und er hat nur den einen Wunsch, dass sie bald beendet sein möchte. Denn er hat für den Nachmittag eine Autofahrt und ist schon ungeduldig, dass dies Gespräch so lange sich hinzieht und er sich womöglich verspäten könnte. Denn bevor der Vater gegangen, wagt er nicht recht, das Kontor zu verlassen.

      Philipp Brackmann ist endlich zu der Erkenntnis der völligen Zwecklosigkeit seines längeren Bleibens gelangt. Auch diesmal verabschiedet er sich ohne Händedruck.

      Nun kommt über Friedrich Vandekamp eine merkbare Unruhe. Er will zu seiner kranken Frau. So lange hat er sie noch nie warten lassen. Die Mittagszeit ist bereits weit überschritten, und er weiss, dass er sie im Schlafe nicht stören darf. Er wirft einen flüchtigen Blick auf die Schreiben, die Söna Sentland ihm vorlegt, fertigt seine Unterschriften, nimmt Hut und Mantel.

      Vor dem Hause steht sein Wagen. Er will der vorgeschrittenen Stunde halber diesmal nicht zu Fuss gehen. Aber Timm hat sich den Wagen bestellt. Er will ihm nicht im Wege sein. So nimmt er die Elektrische und findet, dass man auch auf ihr sehr gut fährt.

      Wenige Minuten später steigt Timm in sein Auto und fährt in höchster zulässiger Geschwindigkeit der ersehnten Verabredung entgegen.

      Das Haus, das sich Friedrich Vandekamp im schönen Langfuhr, dicht am Waldessaum, am Knie einer aufwärts führenden Bergstrasse als Ruhesitz hat bauen lassen, hat seinen Mittelpunkt in einer mit künstlerischen Kostbarkeiten aller Art geschmückten Diele, um die oben herum ein breiter, von einem holzgeschnitzten Geländer eingefasster Gang läuft, in den die einzelnen Schlaf- und Gastzimmer münden.

      Eins dieser Zimmer, das geräumigste und sonnigste von allen, mit weit ausladendem, auf bewaldete Hügel schauendem Söller, gehört der Dame des Hauses.

      Eine mattblaue Seidentapete mit behutsam gemustertem Untergrund, weisse bauschige Gardinen und sanft geschwungene Möbel neuesten Stiles aus hellgemasertem Ahornholz geben dem Raum das freundlich Heitere, zugleich