läuft, gewinnen wird.
„Ich weiss, Sabinchen, ich werde alles wiederbekommen. Darüber bin ich nicht im mindesten beunruhigt. Aber hat dir Doktor Wolter nicht gesagt, dass den Gründen, aus denen die Gesellschaft dir damals das von deinem Manne eingezahlte Kapital zurückbehalten hat, schwer beizukommen sein wird?“
„Weshalb übernahm er denn den Prozess?“
Er will ihr nicht sagen, dass es aus Rücksicht für ihn und aus Mitleid mit ihr geschah.
„Mein seliger Mann gründete die Gesellschaft. Er war ihr Leiter. Und das ist der Dank. Aber sei ganz ruhig, mein Junge! Ich werde ihn gewinnen. Die Zeiten haben sich geändert. Recht und Gerechtigkeit stehen wieder obenauf im deutschen Vaterland. Da wird man für die berechtigten Ansprüche einer armen alten Frau Verständnis haben und nicht dulden, dass sie übervorteilt und von gewissenlosen Ausbeutern hinters Licht geführt wird.“
Nein, er bekommt es nicht übers Herz, einem so zuversichtlichen Glauben zu widersprechen, den letzten Trost ihr zu rauben.
„Ja — wenn du ihn gewinnst!“
„Dann werde ich noch an demselben Tage aus dem dumpfen Loch hier entfliehen, auf Reisen gehen, in einem grossen vornehmen Hotel wohnen. Und dich lade ich dazu ein. Hast dich ja genug abgeschuftet. Alles nur für dich und für mich.“
Da wird ihre Unterhaltung unterbrochen.
Iduna Karsten, Frau Dörthes langjährige, hager hässliche Zofe, die Todfeindin der Alten, bei der sie einmal als junges Ding auf Werra gedient, erscheint.
Mit fliegendem Atem berichtet sie, dass ihre Herrin mit einem jähen Aufschrei aus kaum gewonnenem Schlaf erwacht sei. Dass der Anfall, der sie vor einigen Tagen bereits einmal erschreckt, sich unter neuen Begleiterscheinungen und heftiger als das erstemal wiederholt habe, dass sie sofort den Arzt angerufen, dass die gnädige Frau aber auch nach dem Pfarrer gefragt habe, dessen Besuch sie noch kurz vor dem Einschlafen entschieden abgelehnt habe, und dass dieser ebenfalls benachrichtigt sei.
Bevor sie zu Ende gesprochen, hat Friedrich Vandekamp das Zimmer verlassen, ist nach oben gestürzt.
Geheimrat Meckbach, der Hausarzt der Familie, wenn auch nicht Frau Dörthes Freund und ohne den geringsten Einfluss auf sie, ist bereits zur Stelle, untersucht die Leidende in seiner gründlich umständlichen Art, gibt auf das genaueste seine Anweisungen und Verordnungen, die Frau Dörthe mit einem matt ungläubigen Lächeln und schon entschlossen, keine von ihnen zu befolgen, entgegennimmt, und empfiehlt sich in dem verlegenen Bewusstsein seiner Überflüssigkeit.
„Herr Pastor Wendland wartet draussen“, meldet Iduna Karsten.
Aber Frau Dörthe schüttelt den Kopf. „Ich kann ihn jetzt nicht haben. Ich fühle mich zu schwach. Der Pinsel von Arzt hat mich um den letzten Rest meiner Zurechnungsfähigkeit gebracht.“
Tief und müde liegen die Augen in den Höhlen; eine leichte Starrheit ist in den bleichen Zügen.
Ein beklemmendes Furchtgefühl steigt in Friedrich Vandekamp auf. Sollte sie den Geistlichen — —?
„Du hattest ihn kommen lassen“, wirft er ein. „Ich würde ihn nicht wieder abweisen. Vielleicht willst du mit ihm allein sein.“
Ein Lächeln huscht über den blassen Mund.
„Nein, so weit sind wir noch nicht. Du kannst ganz ruhig sein.“
Wieder trifft Friedrich Vandekamp auf der Diele mit dem Geistlichen zusammen.
„Vielleicht hätte mir dieser zweite vergebliche Gang in Ihr für mich ein wenig entlegenes Landhaus erspart werden können“, erwidert er mit leicht vernehmbarem Vorwurf, als er hört, dass Frau Dörthe ihn nicht zu empfangen wünsche.
Jürgen Wendland ist noch jung. Aber er ist ein Mann. Er ist gütig und verstehend, rastlos und aufopfernd in seinem Berufe, hilfsbereit gegen jeden, ein Idealist mit einem leichten Hang zur Schwärmerei. Aber er lässt es nicht zu, dass die Reichen und Angesehenen seiner Gemeinde ein grösseres Vorrecht auf ihn zu haben glauben als die Geringen und Armen, für die er sich in erster Reihe berufen fühlt.
Friedrich Vandekamp gefällt sein offenes Wort. Wie er das Mutige und Aufrechte an einem Menschen immer schätzt.
„Es ist nicht meine Schuld, Herr Pfarrer. Sie sind verstehend genug, um mit der Stimmung und den Launen einer schwerkranken Frau nicht allzu streng ins Gericht zu gehen.“
Etwas gütig Verbindliches liegt in seiner Antwort, etwas Entschuldigendes zugleich für seine Frau, die er gegen eine Welt von Widersachern in Schutz genommen hätte.
„Wenn es Ihnen recht ist, lasse ich sofort einen Wagen kommen, der Sie nach Hause fährt, oder wo Sie sonst noch zu tun haben.“
„Ich danke Ihnen. Aber da ich einmal hier bin, möchte ich der alten Dame einen Besuch abstatten und ihr ein bisschen vorlesen. Ich weiss, dass ich ihr damit eine Freude mache. Vorher allerdings hätte ich gern noch ein Wort mit Ihnen gesprochen, Herr Vandekamp.“
„So bitte ich, hier eintreten zu wollen.“
‚Wenn es nur nicht wieder der unselige Fall Brackmann ist!‘ denkt Friedrich Vandekamp, indem er die Tür zu seinem Bibliothekzimmer öffnet.
Nein, es ist nicht der Fall Brackmann. Es ist etwas anderes. Aber auch etwas, das Friedrich Vandekamp heute nicht gelegen kommt.
„Es handelt sich um meine Armen. Wir haben im vergangenen Jahre sehr viel Ausgaben gehabt. Die Not war gross, und wir mussten helfen. Es gilt jetzt, einige Fehlbeträge zu decken. Da wollte ich mich zuerst an Sie wenden.“
Das ist das Seltsame bei Friedrich Vandekamp: er gibt gern und mit vollen Händen, nicht nur seiner Frau und seinen Kindern, sondern auch einer ganzen Anzahl näherer und weiterer Verwandter. Aber für Gaben, die hierüber hinaus in das Gebiet der allgemeinen Wohltätigkeit fallen, fehlen ihm Sinn und Neigung. Wenn er so vielen hilft, tut er nach seiner Meinung genug und braucht nicht für ihm ferner liegende Dinge zu opfern. So scheint der junge Geistliche von der Gabe, die er ihm nach einigem Hin- und Herwägen auf den Tisch legt, wenig befriedigt.
„Von Friedrich Vandekamp hätte ich eine andere Unterstützung erwartet“, sagt er in seiner ruhigen Offenheit.
„Lieber Herr Pfarrer, wenn Sie wüssten, was auf mir ruht —“
„Ich weiss das sehr wohl, Herr Vandekamp, weiss, dass Sie viel geben, manchmal, verzeihen Sie, wohl zuviel. Dies aber ist wichtiger und dringender als alles andere. Denn in einer Zeit wie dieser muss der einzelne und sein Wohlleben zurücktreten gegen das, was wir dem Ganzen schulden. Nur, was wir hier geben, ist Selbstlosigkeit.“
„Gewiss ... gewiss“, erwidert Friedrich Vandekamp, bereits ein wenig zerstreut und mit seinen Angelegenheiten beschäftigt, „aber wenn man so grosse Opfer im engeren Kreise bringen muss —“
„Opfer? Ich bin auch hierin nicht ganz Ihrer Meinung. Wo opfern Sie? Sie kommen Ihren Verpflichtungen nach. Für wen legen Sie sich Entbehrungen auf? Vielleicht wird der Tag für Sie, für uns alle kommen, an dem auch das Letzte von uns gefordert wird. Dann erst wird es sich erweisen, wer der Liebe fähig ist und wer nicht.“
Ohne jeden Predigtton, schlicht und einfach hat er es gesagt. Aber eine mitschwingende Wärme ist in seinen Worten, eine still innere Begeisterung, der man es anhört, dass er, wenn es von ihm gefordert würde, auch das Letzte hinzugeben bereit wäre.
Auf Friedrich Vandekamp bleiben seine Worte nicht ohne Eindruck. Er erwägt wohl, ob er seine Gabe verdoppeln soll. Aber wieder ist es das Geld, das sich zwischen ihn und seinen guten Vorsatz stellt, das Geld, das er jeden Tag aufs neue verdienen muss und von dem sich zu trennen, ihn immer einen Entschluss kostet.
„Wir wollen sehen, Herr Pfarrer ... ein andermal. Heute habe ich noch einige Verpflichtungen, die ich zuerst erfüllen möchte.“
Jürgen Wendland hat der alten Wallburg-Werra vorgelesen und mit unerschütterlicher Geduld ihre Klagen und Vorwürfe über sich ergehen lassen.
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