Artur Brausewetter

Der Ruf der Heimat


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stampfende „Puck“, der, ohne es zu wissen oder zu wollen, der kleine gefügige Kuppler geworden ist.

      Einige Wolken ziehen auf, unschuldige, weissgeschuppte, die sich wie eine feinziselierte Verzierung des Horizontes ansehen, und mit denen die Sonne, wenn sie sich einmal ein bisschen vordrängen, leichtes Spiel hat. Tiefer sinkt diese, wirft ein Bündel schon blass violett gefärbter Strahlen auf das Wasser. Aber bis zum Abend ist es noch weit. Und je mehr seine Sehnsucht wächst, um so stärker regen sich die Bedenken. Wer weiss, ob die kleine Locki mit ihm unter seinem Zeltdach wird übernachten wollen? Sie könnte eine Absicht wittern, könnte meinen, es wäre ein wohlüberlegter Plan. Sie würde irren. Erst auf dieser Fahrt, in diesem Wogen und Branden des jungen Frühlings, der auf den Wassern gärt, durch die Lüfte braust, in jeder Pore der neugeborenen Erde prickelt, einem durch Blut und Schläfen hämmert, dass man sich gar nicht wiedererkennt ...

      Ob es ihr anders ergeht? Ein grosser Frauenkenner ist er trotz all seiner Liebeleien und Abenteuer nie gewesen. Aber das hat er doch erfahren, dass diese harmlos fröhlichen blonden Frauen trotz aller Sprühteufelchen, die in ihrem Temperamente hausen, im tiefsten Grunde ihres Herzens unbewegt und unberührt bleiben.

      Doch nein — — was aus diesen Augen zu ihm herüberleuchtet, herüberlockt ...

      Er ist müde. Er hat genug gepaddelt, fühlt den hellen Schweiss über Stirn und Wangen, über den ganz und gar durchgearbeiteten Körper rieseln.

      Jetzt ein Bad im kühlenden Wasser! Herrlicher Gedanke. Gut, dass er seinen Badeanzug mitgenommen! Sowie er das Boot an Land gebracht, wird er sich in die Fluten stürzen.

      Und dann ... ein Ruhestündchen da unten am grünenden Ufer, über das sich bereits die ersten Schatten lagern und von dem weicher Blütenduft zu ihnen hinüberweht, bei einem Becher Sherry, den er im Wasser kühlen wird, bei all den netten Gabelbissen, die er sorgsam in einem Feinkostgeschäft ausgewählt hat!

      Sie sind an einer Stelle angelangt, an der ein breiter Graben einmündet. Die Reste einer alten, längst ausser Gebrauch gesetzten Schleuse ragen aus dem Wasser.

      An ihren Holzpfeilern hält er mit dem Boot. Die Böschung ist ein wenig steil. Schadet nichts, da kann die behende Locki wieder ihre Kletterkünste zeigen, und er wird seine Freude haben.

      Sie macht zwar ein bedenkliches Gesicht, lacht sich dann aber selber aus, erhebt sich von ihrem Sitze, steigt vorn aus, indem er, auf seinem Platze verharrend, das Boot festhält, klettert langsam und bedächtig, aber sehr geschickt die abfallende Schleusenwand empor ... ist oben, winkt ihm triumphierend mit der Hand zu.

      Nun ist die Reihe an ihm, und er wird ihr zeigen, was er kann und wie ein gewandter Sportsmann solche Hindernisse nimmt ... spielend, mit Boot, mit allem ... mit einem Satz ... ohne die umständlich zaghafte Kletterei. Ein wenig Eindruck möchte er doch auf sie machen ... gerade heute!

      Richtig! Schon steht er mit dem rechten Fuss auf der Wand, sieht mit überlegen lächelndem Blick zu ihr hinauf ...

      Das Boot aber will er doch ein wenig weiter auf das Land ziehen. Es könnte sonst ... er wendet sich nach ihm um, macht dabei einen Fehltritt, kommt ins Wanken.

      Sie merkt es, springt hinzu, reicht ihm die Hand.

      Er nimmt sie. Aber nicht zu seiner Unterstützung ... er wird sich vor ihr doch keine Blösse geben. Nein, ritterlich nimmt er sie, führt sie in leichter Dankbarkeit an seine Lippen, drückt bei dieser hurtigen Bewegung aber mit dem linken Fuss das Boot ins Wasser, will nach ihm greifen, es an sich ziehen — — zu spät! Es entgleitet ihm ... rutscht ab ... treibt mit der Strömung ... ist weg.

      Dabei kommt er selber aus dem Gleichgewicht, stürzt mit gespreizten Beinen ins Wasser, zieht sie nach sich ... pardauz, da liegen sie beide, Ritter wie Retterin, plantschen und strampeln in dem gleichgültig und unbekümmert über sie dahinströmenden Vorfluter, der zudem eisig kalt ist.

      Dem Himmel sei Dank! Zu tief ist es hier am Ufer nicht. Aber unten ist lehmiger, aufgeweichter Grund. Kein Wehren, keine verzweifelte Schwimmbewegung mit den Armen hilft ihnen ... bis an den Hals sinken sie beide unter.

      Er will ihr behilflich sein, erfasst ihren Ledergürtel, will sie hochziehen. Sie aber entwindet sich ihm, greift mit dem Arm nach dem Schleusenpfeiler, arbeitet sich dank ihrer behenden Geschicklichkeit aus eigener Kraft empor, erklimmt das Ufer noch vor ihm, der pustend und schnaubend nachkeucht, triefend am ganzen Leibe, einem Nickelmann ähnlicher als dem grossen Sportsmann Timm Vandekamp.

      Nun stehen sie sich beide gegenüber.

      Nein, wie sehen sie aus! Seidenes Kleid und seidenes Hemd kleben, mit Schlingpflanzen, Entengrütze und allerlei Tang und Kraut bunt bemalt, an den durchnässten Körpern. Die reizenden Sandaletten, die schmucken Gummischuhe, die einmal im schneeigen Weiss leuchteten, die feschen Strümpfe vom schmutzigen Lehm und Grund bis zur Unkenntlichkeit entstellt!

      Vorbei mit Scherz und Lust, vorbei mit lockenden Liebesträumen und seligem Harren auf eine Frühlingsnacht unter verschwiegenem Segelzelt!

      Er zwar sucht sich männlich zu fassen, die Sache von der komischen Seite zu nehmen, schlägt sogar ein etwas erzwungenes Lachen an.

      Aber bei ihr findet er keinen Widerhall.

      Als sie ihn, der ihr eben noch als das Urbild jugendlicher Kraft erschienen, ein Mittelding zwischen Apoll und Faun, in dieser grotesken Gestaltung vor sich sieht, als ihr entsetzter Blick dann an dem eigenen Körper hinuntergleitet und sie zu der Erkenntnis kommt, dass sie noch viel abscheulicher zugerichtet ist, da versucht sie wohl, es ihm gleichzutun.

      Aber jäh und unvermittelt bricht ihr flackerndes Auflachen ab, geht in ein heisses Schluchzen über.

      Auf dem alten Brückenrand lässt sie sich nieder, hält die beiden Hände vor das Gesicht und weint ... weint unaufhaltsam, herzzerbrechend.

      Dabei zittert sie vor Kälte am ganzen Leibe, fühlt das widerliche kalte Nass an ihrem Körper förmlich auf- und niederkriechen, bis in ihr Innerstes dringen, verwünscht Paddelboot und „Puck“, die sie beide eben noch so tief in ihr begeistertes Herz geschlossen, gibt ihrem Abscheu in drastischen Verwünschungen ohnmächtigen Ausdruck.

      Timm aber steht dabei wie ein grosser geschlagener Junge, kennt die kleine, immer lustige Locki gar nicht wieder, kann nicht glauben, dass es dieselbe ist, die er eben noch in wundersüssen Träumen zärtlich umfangen, weiss sich in dieser verzwickten, für ihn ganz ungewöhnlichen Lage gar nicht zurechtzufinden, hat dann wieder ein tiefes Mitleid mit ihr, nimmt ihre arme verklammte Hand in die seine, drückt, reibt sie, zieht sie durch seine starken Finger, versucht allerlei, sie ein bisschen zu erwärmen, redet ihr mit guten, scherzenden und ernsten Worten zu — je mehr er zu ihr spricht und tröstet, um so herzzerbrechender schluchzt und weint sie.

      Zudem friert er selber und fühlt sich in seinen nassklebenden Kleidern alles andere eher als behaglich.

      Da kommt ihm ein rettender Gedanke: Er wird ihr von dem Sherry einflössen, den er mitgenommen und der jetzt seinen Dienst tun soll!

      Verdammt! Der schwimmt ja mit all den schönen Leckerbissen im Zweirenner auf dem Vorfluter, und wenn er irgendwo an Land treibt, wird sich ein anderer an ihm ergötzen.

      Horch! Fröhlicher Gesang von jugendlich frischen Stimmen ertönt in der Nähe ... vielstimmig, ein wenig ungehobelt und nicht ganz im Takt, aber um so kräftiger und unbekümmerter.

      Er blickt um sich.

      Das fehlte gerade noch!

      Eine ganze Rotte von Jungens und Mädchen zieht, vom anfsteigenden Staube verhüllt, die lange, am Vorfluter vorbeiführende Strasse entlang ... gewiss eine Schule, die von ihrem Ausfluge zurückkehrt.

      Schon wird die regelrechte Marschreihe durchbrochen, einige Jungen lösen sich aus ihr, kommen mit schnellen Schritten hinzugelaufen, zu sehen, was sich da ereignet. Andere folgen, nun auch Mädchen, eine ganze Schar ... mehr ... immer mehr ... starren mit weitgeöffneten Augen und Mäulern auf das wunderliche Paar mit den eng anliegenden, phantastisch grau und grün und schwarz gesprenkelten Kleidern.

      „Guckste,