Artur Brausewetter

Der Ruf der Heimat


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Kleid immer die Hauptsache bleibt.‘

      Wieder ist beides in ihm: die geheime Anziehungskraft, die dieses Mädchen auf ihn ausübt. Und das Scheidende, das er in dieser Stunde mit neuer Gewissheit empfunden hat, und das stärker ist als jenes andere.

      Timm ist besser dran als seine Schwester Ina. Er hat die schöne Gabe, alles leicht zu nehmen: das Leben, die Arbeit, das Leid. Und doch allen dreien gegenüber seinen Mann zu stehen.

      Da der Vater, obwohl er im Aufsichtsrat mehrerer Gesellschaften sitzt und durch allerlei andere Ehrenämter sehr in Anspruch genommen ist, seine Arbeit im Kontor niemals hintenan stellt, so ist er im letzten Grunde nur dessen Helfer, eine eigentliche Selbständigkeit hat er kaum.

      Es ist ihm durchaus recht so. Er bereitet der Arbeit freundlichen Empfang, wenn sie zu ihm kommt. Aber er ruft sie nicht. Sie ist kein unentbehrlicher Bestandteil, nicht einmal Erfordernis seines Lebens.

      Sein Geschmack ist Reiten und Jagen, überhaupt jede Art des Sportes, seine Sehnsucht das Land, Pferdezucht und wildreiche Forsten. Er hat dem Leben gegenüber die leichte Hand des Reiters und sitzt um so fester in seinem Sattel, je weniger er die Sporen braucht.

      Nun ist in sein reichbewegtes Sportsleben etwas Neues eingetreten: ein Paddelboot.

      Aber beileibe kein Paddelboot, wie es Herr Hinz mit Fräulein Kunz paddelt. Ein Rennzweier, den er sich aus Tölz verschrieben, gertenschlank und nadelschmal, dabei von so biegsamer Spannkraft, dass er nicht wie ein Boot, sondern wie ein Pfeil dahinflitzt, die Wasser und die Fische mit den Spuren des Entsetzens unter ihm davonfleuchen und die Vögel im dichtesten Rohr sich verstecken, wenn sie das gurgelnde Gleiten seines Nahens vernehmen, wirklich ein Paddelboot, wie es das Herz des Sportsmannes höher schlagen macht.

      „Puck“ tauft er es, und von Stunde an wird es sein ausgesprochener Favorit, hinter dem alles andere spurlos, als wäre es nie dagewesen, verschwindet. Nicht nur die Jagd, die in dieser Jahreszeit an sich ohne Bedeutung ist, nein auch die Fahrten auf dem englischen Motorrad mit seiner Hundertvierzig-Kilometer-Geschwindigkeik, das er auch erst vor einem halben Jahr für einen nicht unansehnlichen Preis gekauft und das sich jetzt in ungeahnten Ruhestand versetzt sieht. Tennis und Fussball, in denen beiden er Meister ist, sind verbannt. Allein Puck beherrscht das Feld und seines Herrn Leben und Gedanken. Jede Mussestunde, die der Vater und das Kontor ihm lassen und die nicht zu karg bemessen sind, gehört ihm und den Trainingsfahrten, die oft bis in den späten Abend unternommen werden, auf den Vorflutern und Deichgräben, an denen die Umgebung Danzigs so reich ist. Und weiter, bis auf die Weichsel, erstrecken sie sich und sollen von Tag zu Tag ausgiebiger geübt werden ... ohne Ende und Ziel, von denen für den trainierenden Paddler weder das eine noch das andere besteht.

      Bis jetzt ist er immer allein gefahren. So ein Rennfahrer von der Art Pucks ist wie ein junges edles Pferd, das nicht jeden aufsitzen lässt. Es gehört schon eine gewisse Übung dazu, seinen Platz einzunehmen und zu behaupten. Und besonders der Sitz vorne für den Schlagmann, der noch schmaler und kippeliger ist, erfordert alle Künste des Schwedens und Ausbalancierens, wenn er nicht uneinnehmbar bleiben soll.

      Locki aber verfügt über beide. Sie wird schon die Rechte auf dem Schlagmannssitze sein. Denn sie ist das schmissigste Mädchen, das ihm je begegnet ... von einer körperlichen Gewandtheit und Leichtigkeit der Bewegungen, wie sie ihm bei keinem anderen vorgekommen sind. Im Tennis ist sie ihm beinahe überlegen, und auf dem Soziussitze seines Hundertvierzig-Kilometer-Motors hat er sie immer mit sich gehabt und sich gefreut, wie sie sich jeder Wendung des Rades, jeder leisesten, manchmal unerwarteten Bewegung mit dem schmiegsamen Körper angepasst hat, unbewusst mitlenkend, mitsteuernd.

      Locki wird er auf der ersten grossen Fahrt, die er weit hinein in das Weichselgebiet geplant hat, mitnehmen. Bisher hat er ihr immer nur von seinem Puck erzählt und sie nicht nur auf den unbekannten Nebenbuhler eifersüchtig, sondern bis zum höchsten Grade neugierig gemacht. Nun soll es eine Überraschung für sie werden, und er freut sich darauf, sie auf dem schmalen, kampeligen Schlagmannssitze vor sich zu sehen.

      Locki ist, was zu sagen sich hiernach erübrigt, Timms Freundin, die letzte und die einzige nach vollen zwei Monaten. Er hat viele Freundinnen gehabt, ist aber niemals ein Frauenjäger und niemals so recht verliebt gewesen.

      Auch für die Auswahl seiner Freundinnen hat es immer nur eine Richtschnur gegeben: den Sport. So ist ihm der Verkehr mit hübschen Frauen oder Mädchen kaum Selbstzweck gewesen, denn, recht genommen, hat er für Flirt und Liebelei weder Zeit noch Neigung gehabt. Aber das sportlich durchbildete Mädchen flösste ihm Gefallen ein.

      Am längsten währte einmal seine Freundschaft mit einer Gymnastiklehrerin. Als er sie im Zoppoter Familienbade zwölfmal hintereinander ohne die leiseste Mühe oder Kraftaufwendung Rad schlagen und nachher im Wasser die unerhörtesten Schwimmübungen ausführen sah, bei denen sie wie eine Ente in unaufhörlicher Reihenfolge auf- und untertauchte — sie wollte die gehörige Reklame für ihre eben errichtete Gymnastikschule in Szene setzen —, war seine Neigung entschieden.

      Als sie sich dann aber infolge ihrer bis in den November ausgedehnten Freibäder ein gelindes Rheuma zugezogen hatte und im Höchstfalle nur noch drei Räder, und auch diese nur mit Aufbietung einer sichtbaren körperlichen Energie, zu schlagen vermochte, sank seine Neigung in demselben Verhältnis.

      Da lernte er Locki im Tennisklub kennen.

      Schon von vornherein hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt, weil er verwundert war, sie in dem vornehm abgeschlossenen Klub aufgenommen zu sehen. Denn Locki war eine blutjunge Anfängerin an der Oper des Danziger Staatstheaters und hatte ihren Namen von einer Operette, die „Lockvogel“ hiess und in der sie zum ersten Male aufgetreten war. Von bestrickender Anmut, wie alles an ihr, war auch ihre Stimme, ohne irgendwelchen grösseren Anforderungen gewachsen zu sein oder gar eine Verheissung für die Zukunft in sich zu tragen. Für die Operette aber war Locki vermöge ihrer heisswirbelnden Lustigkeit und eines bis zur Ausgelassenheit gesteigerten Temperamentes von Natur aus geschaffen. Da sie mit sehr guten Empfehlungen nach Danzig kam, wegen ihrer rheinländischen Fröhlichkeit und Unbekümmertheit die Herzen der jungen und noch mehr der alten Herren im Sturm eroberte, zudem eine ausgezeichnete Tennisspielerin war, die schon auf verschiedenen Turnieren Preise davongetragen hatte, sah man keinen Grund, sie nicht in den Klub aufzunehmen.

      Gleich bei der ersten Partie hatte Timm sie als Gegnerin und wurde nach erbitterter Gegenwehr von ihr geschlagen.

      Und das entschied.

      Ein Frühlingstag, wie er schöner nicht gedacht werden kann, umschmiegt die alte Hansestadt mit jungen Liebesarmen.

      Nicht in dunstige Schleier mehr gewoben, wie in der Frühe des Morgens, scheint die Sonne des Mai. Von hell durchsichtiger Klarheit ist ihr Licht geworden, sendet seine mitleidsvoll suchenden Strahlen bis in die engsten Gassen, liegt in weithin leuchtendem Gold auf der Ratsturmspitze, windet einen Kranz von mattsilbernen Perlen um das trutzige Haupt von St. Marien, weckt aus dem Schlafe von Trägheit und Gleichgültigkeit, der Nacht von Sorgen und Finsternissen, macht alles froh und lind und lebensstark.

      Keiner freut sich des schönen Tages mehr als Timm. Denn er kann ihn für seine Paddelfahrt brauchen. Wohlzusammengepackt liegt das Faltboot in seinem Auto, in dem er mit Locki der Stelle des Umfluters entgegenfährt, an der die grosse Fahrt beginnen soll.

      Nun sind sie am Ziele, legen Mäntel, Kappen, Autobrillen ab und freuen sich, der lastenden Hüllen entledigt, einer an dem anderen.

      Aber Locki sieht auch wirklich aus wie ein Kind des lachenden Frühlingstages da draussen. Weich schmiegt sich das von einem feschen Ledergürtel umschlossene rohseidene Kleid an den jungblühenden Körper.

      Die schönen, in einem matten Bronzeton gefärbten Arme bleiben frei, und die kleinen Füsse stecken in zierlichen Sandaletten. Die Strümpfe, von derselben goldbraunen Tönung wie die Arme und an den Knien ein bisschen kokett aufgewirbelt, umschliessen tadellos gebaute Beine.

      Aber auch Timm kann sich sehen lassen in seinem kurzärmeligen Seidenhemd, über dem das dunkelgebräunte Gesicht und der muskulöse Hals fast kupfern funkeln. Schwarze Satinhosen fallen weit und luftig bis hart an die Knie, während die Füsse von weissen Gummischuhen und ebensolchen