noch erwarten.
Was David Linnley betraf, waren sich Frederica und ihr Vater sehr ähnlich. Auch Philipp bedauerte dessen stille Zurückhaltung, denn im Grunde mochte er ihn sehr gern. Wenn er nur nicht so schrecklich phlegmatisch wäre! Linnley sprach nicht viel, und wenn, dann stimmte er seiner Frau zu. In all den Jahren, in denen sie sich kannten, war es Philipp erst einmal gelungen, Linnley aus der Reserve zu locken, als die Männer über den Krieg in Amerika in eine Diskussion geraten waren.
»Der König hat vollkommen recht, der Aufstand muss blutig niedergeschlagen werden«, hatte Philipp sich ereifert.
»Denkt Ihr dabei auch an die vielen unschuldigen Menschen, die ihr Leben verlieren?« Linnleys Blick war trübe, beinahe schon melancholisch gewesen
»Daran hätten sie denken müssen, bevor sie die Waffen gegen ihren rechtmäßigen Herrscher erhoben haben«, beharrte Philipp auf seinem Standpunkt.
Linnley schüttelte den Kopf. So leise, dass Philipp Mühe hatte, ihn zu verstehen, sagte er: »Krieg ist das Grausamste, das es auf dieser Welt gibt. Es lässt sich kein vernünftiger Grund finden, einen Krieg zu beginnen und ihn zu führen. Wenn Sie so viele Schlachten miterlebt hätten wie ich, Sir Philipp, würden Sie anders darüber urteilen. Als Sie in Schottland stationiert waren, waren die Kampfhandlungen lange vorbei und Sie durften sich um Verwaltungsangelegenheiten kümmern. Culloden allerdings ...« Er brach ab und drehte den Kopf zur Seite.
»Sie waren in Culloden dabei, Mylord?«, fragte Philipp erstaunt und beinahe schon ehrfurchtsvoll. »Sie haben mitgeholfen, die Jakobitenaufstände niederzuschlagen und den Thronräuber aus dem Land zu scheuchen?« Nie zuvor hatte Linnley auch nur eine kleine Andeutung gemacht, dass er in der Armee gedient hatte. Philipp war immer davon ausgegangen, Lord David habe sein ganzes Leben in Linnley Park verbracht. »In welchem Fort waren Sie stationiert? Und haben Sie den Herzog von Cumberland persönlich kennengelernt?«, erkundigte er sich interessiert.
David Linnley schritt bedächtig auf und ab, blieb dann vor Philipp stehen und beugte sich so tief zu ihm hinab, bis nur noch eine Handbreit ihre Gesichter trennte.
»Ich sage Ihnen eines, junger Freund: Das, was ich in Schottland erlebt habe, war das Widerwärtigste, das ich in meinem ganzen Leben sehen und erdulden musste. Ich war jung, nicht einmal achtzehn Jahre alt, und folgte dem Willen meines Vaters. Deswegen trat ich in die Armee ein. Ich weiß, es klingt grausam, aber als mein Vater vier Monate nach der blutigen Schlacht im Culloden Moor starb und ich gezwungen war, meinen Abschied zu nehmen und nach Cornwall zurückzukehren, um den Besitz zu übernehmen, dankte ich Gott auf den Knien dafür.«
»Lord David!«
Er winkte ab und seine Mundwinkel zogen sich nach unten.
»Sehen Sie mich nicht so entsetzt an, Philipp. Natürlich trauerte ich um meinen Vater, das Glücksgefühl, niemals wieder nach Schottland zurückgehen zu müssen, überdeckte jedoch alle anderen Empfindungen. Glauben Sie mir, wenn Sie nur einen Bruchteil von dem, was ich gesehen habe, erblickt hätten, würden Sie verstehen, dass meine Hand niemals wieder eine Waffe führen kann.«
»Erzählen Sie mir davon«, forderte Philipp David Linnley auf, er schüttelte aber den Kopf und sah aus dem Fenster in den Park, wo Lady Esther und Maureen mit dem Flechten von Blütenkränzen beschäftigt waren.
»Wir sollten die Damen nicht länger warten lassen«, sagte er leise, wandte sich zur Tür und ging langsamen Schrittes, als wäre er ein alter Mann, hinaus.
Dieses Gespräch lag einige Jahre zurück. Seitdem hatte David Linnley nie wieder über seine Zeit in der Armee gesprochen, obwohl Philipp mehrmals versucht hatte, den Nachbarn aus der Reserve zu locken. Dieser schwieg aber beharrlich, wenn das Thema auf die vergangenen Ereignisse oder den Krieg im Allgemeinen kam. Es schien, als bereute Linnley seine Redseligkeit, denn er zog sich mehr denn je von anderen Menschen zurück. Maureen gegenüber erwähnte Philipp nichts, dass Linnley einst in Schottland stationiert war. Womöglich käme sie noch auf die Idee, mit Linnley über das Land zu plaudern. Philipp wagte es gar nicht, sich vorzustellen, wie Lady Esther darauf reagieren würde.
Erregt zerrten Maureens Finger so lange an dem bestickten Taschentuch in ihren Händen, bis der duftige Batist einriss.
»Philipp, kannst du nicht verstehen, dass ich meinen Vater noch einmal sehen möchte?«
»Warum, Maureen? Warum willst du Wunden, die längst verheilt sind, wieder aufreißen? Du bist diesen Menschen nichts schuldig, sie haben dich vor langer Zeit verstoßen.«
»Es sind meine Eltern. Das werden sie immer bleiben.«
Maureens Worte ließen Philipp nicht unberührt. Er trat hinter ihren Stuhl und legte eine Hand auf ihre Schulter.
»Waren sie denn jemals wirkliche Eltern für dich? Haben sie dir die gleiche Liebe gezeigt, die wir Frederica entgegenbringen?«
Stumm schüttelte Maureen den Kopf. Unmittelbar nachdem Philipp aus Linnley Park zurückgekehrt war, hatte sie ihm den Brief gezeigt und den Wunsch geäußert, so schnell wie möglich nach Schottland zu reisen. Während er die wenigen Zeilen las, hatte sie die Missbilligung in seinem Gesicht erkannt und die stumme Frage, warum sie zu diesen Menschen zurückkehren wollte. Wozu Erinnerungen heraufbeschwören, die man besser begrub?
»Ich könnte es mir niemals verzeihen, Vater seinen letzten Wunsch nicht erfüllt zu haben«, sagte Maureen leise, aber bestimmt.
Philipps Finger trommelten auf der Stuhllehne, ein Zeichen seiner Ungeduld.
»Wir wissen nicht, wie lange der Brief unterwegs war. Für eine Reise nach Schottland würden wir ungefähr drei Wochen benötigen. Es ist durchaus möglich, dass dein Vater längst tot ist, wenn du Edinburgh erreichst. Außerdem lautet sein letzter Wunsch, dass du ihm schreibst, und dagegen habe ich auch keine Einwände.«
»Zwei Wochen!«
»Wie bitte?«
»Wir können die Reise in zwei Wochen bewältigen. Das Wetter ist trocken und warm, die Straßen werden gut passierbar sein. Von mir aus können wir morgen bei Sonnenaufgang abreisen. Ich habe bereits alle Vorbereitungen getroffen.«
Philipp seufzte. Langsam verlor er die Geduld. Maureen konnte ihn mit ihrer Uneinsichtigkeit manchmal rasend machen! Dass sie sich von einem einmal gefassten Entschluss nicht abbringen ließ, hatte sie schon oft bewiesen. Er unternahm einen letzten Versuch.
»Ich denke nicht, dass Frederica Lust verspürt, den Rest des Sommers in Schottland zu verbringen. Sie sollte Gelegenheit bekommen, das Band, das sich zwischen ihr und George Linnley gewoben hat, zu festigen, oder wir reisen wie geplant nach London.«
Wütend fuhr Maureen zu Philipp herum, ihre grünen Augen funkelten.
»Wie kannst du das befürworten? Hast du vergessen, was Lady Esther über unsere Tochter gesagt hat? Außerdem ist die Heirat Georges mit dieser entfernten Verwandten der Linnleys so gut wie beschlossen. Aus diesem Grund sollten wir Frederica so schnell wie möglich von hier fortbringen, damit sie Abstand gewinnt. Sie ist noch so jung! Die neuen Eindrucke einer solchen Reise werden sie Linnley schnell vergessen lassen.«
»Das glaube ich nicht.«
Überrascht schauten Maureen und Philipp zur Tür, im Rahmen stand Frederica mit offenem Haar und im Morgenmantel. Weder Maureen noch Philipp hatten ihr Eintreten bemerkt. Auch aus Fredericas Blick sprühten Funken, und sie sah wie das jüngere Ebenbild ihrer Mutter aus.
»Kind, du solltest längst im Bett sein. Du wirst dich noch erkälten«, unternahmen Maureen den Versuch, das Thema zu wechseln, Frederica ließ sich aber nicht ablenken.
»Niemals wird George diese Frau heiraten, denn er liebt mich. Ich bin überzeugt, er wird mir noch in diesem Sommer einen Antrag machen. Und ich werde ihn annehmen!« Trotzig stampfte sie mit ihrem bloßen Fuß auf.
»Du bist noch nicht mündig«, sagten Maureen und Philipp wie aus einem Munde. Überrascht blickten sie sich an. In letzter Zeit war es selten vorgekommen, dass sie einer Meinung waren.
»Du gehst sofort wieder