aber nicht, dass die Frau da oben«, er deutete mit dem Daumen zur Zimmerdecke, »jemals in ihrem Leben in einem Bergwerk gearbeitet hat, oder?«
Maureen schüttelte den Kopf, und Philipp erklärte knapp:
»Sie hat ein arbeitsreiches Leben voller Entbehrungen hinter sich. Gibt es denn gar keine Medizin zur Heilung?«
»Es tut mir leid, aber bislang ist nichts dergleichen bekannt. Ich werde Ihnen aufschreiben, welche Säfte die Schmerzen lindern und die Hustenanfälle vorübergehend verringern können. Bald kommt der Winter, und dieses zugige Zimmer ... Ich glaube nicht, dass sie das Frühjahr noch erleben wird.«
»Und wenn wir sie von hier fortbringen?«, warf Maureen ein. »Irgendwohin, wo das Klima milder und angenehmer ist?«
Der Arzt brauchte für seine Antwort nicht lange zu überlegen.
»Vielleicht würde das ihr Leben um ein, zwei Monate verlängern, eine Heilung ist ausgeschlossen. Erlauben Sie mir bitte eine Frage: Warum kümmern Sie sich um diese alte Frau? Sie sind doch offensichtlich Angehörige der Oberschicht und – verzeihen Sie meine Offenheit – es bestimmt nicht gewohnt, sich in düsteren Schenken wie dieser aufzuhalten.« Er neigte sich über den Tisch, und seine kleinen Augen funkelten vor Neugierde. »Welches Interesse haben Sie an der Frau?«
»Das ist unsere Angelegenheit«, antwortete Philipp kühl. »Wir danken Ihnen für Ihre Bemühungen. Was bin ich Ihnen schuldig?«
Der Arzt nannte einen Betrag, der Maureen unangemessen hoch erschien, Philipp zückte jedoch ohne zu zögern seine Börse und legte die entsprechenden Münzen auf den Tisch. Der Arzt griff schnell nach dem Geld und ließ es in seiner Manteltasche verschwinden. In einer solchen Umgebung war es besser, niemanden merken zu lassen, dass man Geld mit sich führte. Mit einem kurzen Gruß erhob er sich. Bevor er den Schankraum verließ, wandte er sich noch einmal um und schüttelte verständnislos den Kopf.
Maureen lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie versuchte, sich das eben Gehörte zu vergegenwärtigen und ihre Gedanken, die wie ein Sturmwind durch ihren Kopf wirbelten, zu ordnen. Ihre Mutter würde in absehbarer Zeit sterben. Kurz nach dem Tod des Vaters sollte sie nun auch die Mutter verlieren. In den letzten siebzehn Jahren hatte Laura in ihrem Leben zwar keine Rolle gespielt, jetzt hatte es aber so ausgesehen, als wäre eine langsame Annäherung möglich. Sollte das nun so rasch wieder ein Ende haben? Sie erschrak angesichts dieser Vorstellung.
»Glaubst du, dass dieser Quacksalber recht hat?«, fragte sie leise. »Es war ihm offensichtlich unangenehm, eine arme Frau zu untersuchen. Vielleicht hat er sich gar nicht die Mühe gemacht, eine zutreffende Diagnose zu stellen.«
»Er ist der Hausarzt der Baines, und sie sind mit ihm sehr zufrieden«, gab Philipp zu bedenken. »Ich bin aber gern bereit, den Rat eines weiteren Arztes einzuholen.«
Maureen legte ihre Hand auf seinen Ärmel und sah ihren Mann liebevoll an.
»Danke, Philipp, dass du das für meine Mutter tust. Ich würde es verstehen, wenn dir ihr Wohlergehen gleichgültig wäre.«
»Ach was.« Beschämt winkte Philipp ab. »Auch ich habe schon etwas von christlicher Nächstenliebe gehört. Außerdem tu ich es für dich. Wie soll es jetzt weitergehen?«
»Wir müssen mir ihr sprechen«, sagte Maureen und erhob sich. »Wenn sie weiß, wie es um sie steht, können wir sie vielleicht endlich davon überzeugen, mit uns nach Cornwall zu kommen.«
Maureen hatte vor einigen Tagen über ihr Vorhaben, Laura nach Cornwall mitzunehmen, mit Philipp gesprochen. Wie erwartet hatte Philipp wenig erfreut, aber nicht ablehnend reagiert. Er sah die Sorge Maureens und erkannte die Notwendigkeit, Laura aus Schottland in ein milderes Klima zu bringen.
»Trenance Cove ist groß genug, dass Laura ihre eigenen Räume bewohnen könnte«, hatte er gesagt. »Wenn es dir so sehr am Herzen liegt, deine Mutter bei uns aufzunehmen, dann bin ich damit einverstanden.« Obwohl ich nicht weiß, wie ich das Lady Esther erklären soll, fügte er in Gedanken hinzu.
Für diese Antwort hatte Maureen ihn zärtlich geküsst. Welche Frau konnte sich schon glücklich schätzen, einen solch verständnisvollen Mann an ihrer Seite zu haben?
Kerzengerade aufgerichtet saß Laura auf dem Stuhl und sah mit unbewegter Miene Maureen und Philipp an. Abwehrend hob sie beide Hände und sagte: »Bloß keine Tränen, wir sind schließlich erwachsene Menschen.« Ihre Lippen verzogen sich, sie bemühte sich um ein Lächeln, das gründlich misslang. »Irgendwann müssen wir alle sterben, und es gibt auf dieser Welt nichts mehr, was mich hält.«
»Mutter, ich kann dich nur erneut darum bitten, uns nach Cornwall zu begleiten. Dort wird es dir besser gehen, und ich kann mich Tag und Nacht um dich kümmern.«
Resigniert zuckte Laura mit den Schultern.
»Schottland ist meine Heimat. Hier bin ich geboren und hier werde ich mein Leben beschließen. Das Thema ist für mich endgültig erledigt, und ich möchte niemals wieder ein Wort darüber verlieren.«
In diesem Moment wusste Maureen, dass es nichts gab, was ihre Mutter noch umstimmen könnte. Laura hatte ihre Entscheidung getroffen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als diese zu akzeptieren.
»Können wir noch etwas für Sie tun?«, erkundigte sich Philipp. »Selbstverständlich werden wir dafür sorgen, dass Sie alle Medizin erhalten werden, die Ihre Beschwerden lindern können.«
»Das ist sehr großzügig, vielen Dank.« Laura rang sich Philipp gegenüber sogar ein Lächeln ab.
Von tiefer Zuneigung überwältigt, kniete sich Maureen vor ihre Mutter und legte die Stirn in deren Schoß.
»Aber wir können dich doch nicht allein lassen.«
Sie spürte die harte, knochige Hand auf ihrem Haar, eine Geste, die sie von Laura niemals erwartet hatte.
»Gott hält alles in seiner Hand. Es geschieht immer alles nach seinem Willen.« Sie strich Maureen über den Kopf. »Es gibt allerdings wirklich etwas, das ihr für mich tun könnt.«
Maureen hob den Kopf. »Alles, was du willst!«
»Es ist keine kleine Bitte, und ich weiß nicht, ob ich euch das zumuten kann.« Sie zögerte für einen Moment. »Ich möchte gern auf dem Friedhof von Degnish begraben werden.«
»Degnish?« Philipp trat einen Schritt vor. »Wo liegt denn das?«
»An der Westküste. In der Nähe von …« Ein erneuter Hustenanfall schüttelte Lauras schmächtigen Körper. Maureen und Philipp griffen ihr unter die Arme, trugen sie zum Bett, legten sie hin und deckten sie behutsam zu. Maureen warf Philipp einen flehenden Blick zu.
»Was können wir nur tun?«
Philipp war genauso ratlos wie sie. So standen sie schweigend am Bett, bis der Anfall vorüberging und Laura in einen unruhigen Schlummer fiel.
»Degnish …«, wiederholte Maureen flüsternd, um ihre Mutter nicht zu wecken. »Ich habe den Namen noch nie zuvor gehört.«
Philipp zuckte mit den Schultern. »Vielleicht stammt sie von dort?«
»Meine Eltern haben mir nie darüber gesprochen, wo sie vor meiner Geburt gelebt haben. Ich bin immer davon ausgegangen, sie stammen aus der Gegend um Tomnavoulin, wo ich geboren wurde.«
Es blieb Maureen und Philipp nichts anderes übrig als abzuwarten, bis es Laura wieder besser gehen und sie Einzelheiten erzählen konnte.
Gegen Abend brachte der Wirt einen Topf mit einer dicken und herzhaften Kartoffelsuppe. Mit den entsprechenden Münzen hatte Philipp dafür gesorgt, dass Laura einmal täglich eine warme, kräftige Mahlzeit erhielt. Missmutig stellte der Wirt den Topf auf den Tisch. Das Geld nahm er zwar gerne, musste er deswegen gleich die Frau bedienen? Seltsame Leute waren das, die seit Wochen hier ein- und ausgingen. Engländer … Was die wohl mit der armen Frau zu schaffen hatten? Einmal hatte er versucht, an der Tür zu lauschen, aber diese englische Lady schien durch Wände sehen zu können. Sie hatte ihn verjagt und ihm sogar gedroht, sollte er es noch