aller Ruhe eine Tasse Kaffee ein, bevor er preisgab, was seine Nachforschungen noch ergeben hatten. »Archibald McCorkindale war zu Zeiten des alten Clansystems ein sehr vermögender und mächtiger Mann. Er herrschte zwar nur über ein verhältnismäßig kleines Gebiet, das im Westen an die Irische See grenzt, unter den Clanchiefs hatte sein Wort aber Gewicht. Der Besitz liegt wie eine Enklave im Hoheitsgebiet der Campbells. Daher kam mir der Name auch bekannt vor, denn ich war längere Zeit in Fort Augustus stationiert. Ältere Offiziere erzählten von einem durchtriebenen Schotten, der es angeblich geschafft hatte, die gesamte englische Armee hinters Licht zu führen. Nach der Schlacht bei Culloden wurden Listen mit den Namen der Clanführer, die nicht auf dem Schlachtfeld gestorben waren veröffentlicht, und der Name Archibald McCorkindale stand ganz weit oben. Man hatte ihm nachweisen können, dass der verräterische Prätendent in seinem Haus genächtigt hatte und McCorkindale seine Finger bei dessen Flucht im Spiel gehabt hatte. Der Schotte sollte dafür verhaftet und vor Gericht gestellt werden, plötzlich konnte er jedoch nachweisen, ein treuer Anhänger von König George zu sein. Er leugnete ebenso jegliche Beziehungen zu Charles Edward Stuart wie auch eine Beteiligung an den Aufständen. Es gelang ihm, sich von allen Anschuldigungen reinzuwaschen. Wie er das bewerkstelligte, wurde niemals geklärt. Auf jeden Fall wurde die Anklage gegen Archibald McCorkindale fallen gelassen, und er lebt noch heute unbehelligt in seiner Burg am Rande des Loch Melfort.«
»Dann habe ich tatsächlich noch einen Großvater«, stellte Maureen verblüfft fest.
»Sofern Laura nicht gelogen hat, und sie wirklich die Tochter von Archibald McCorkindale ist. Schau mich nicht so entsetzt an, Maureen! Ich kann deiner Mutter einfach nicht trauen.«
»Du hast keinen Grund, an den Worten meiner Mutter zu zweifeln«, entgegnete Maureen erstaunt. »Sie verhält sich zwar nicht immer höflich, warum hätte sie uns aber den Namen McCorkindale nennen sollen, wenn dieser nicht ihr Vater wäre?«
»Ganz einfach, meine Liebe, weil McCorkindale einst ein angesehener Clanführer war und Bothy Castle ein herrschaftlicher Besitz«, erklärte Philipp. »Sollte Laura wirklich seine Tochter sein, dann stammt sie aus einem weitaus älteren Adelsgeschlecht als die Trenance und ist damit unserer Familie um einiges überlegen, auch wenn die schottischen Adligen ihre Rechte verloren haben. Du erlaubst, dass ich diese Vorstellung zunächst einmal in Zweifel ziehe.«
»Kann das denn möglich sein?«, flüsterte Maureen mit kalkweißem Gesicht. »Warum hat meine Mutter darüber immer geschwiegen?«
Frederica rutschte aufgeregt auf ihrem Stuhl hin und her. Es war ihr schwergefallen, der Unterhaltung schweigend zu folgen, jetzt platzte sie heraus: »Ich kenne kein anderes Mädchen, das noch einen Urgroßvater hat. Wann besuchen wir ihn?«
Maureen hob abwehrend die Hände.
»Meine Mutter wird ihre Gründe haben, warum sie mir ihre Familiengeschichte verheimlichte. Ich muss erst noch einmal in Ruhe mit ihr sprechen. « An Philipp gewandt fuhr sie fort. »Kaum zu glauben, dass meine Mutter keineswegs ein armes Bauernmädchen war, für das sie gehalten wurde. Jetzt verstehe ich, warum ich immer dachte, sie wäre etwas Besonderes und sie passe nicht in die Kammer über den Stallungen. Obwohl alles um sie herum verkommen und schmutzig war, machte Laura immer den Eindruck, als wäre sie ... eine Lady.« Sie seufzte und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. »Sie muss eine hervorragende Erziehung genossen haben und doch führte sie dieses ärmliche Leben an der Seite meines Vaters.«
»Also, ich finde das sehr romantisch«, warf Frederica ein. »Wahrscheinlich hat sich Großmutter in einen einfachen Stallburschen verliebt, der nicht standesgemäß war, und ist mit ihm durchgebrannt. Sie ist einfach ihrem Herzen gefolgt, so wie auch du, Mama. Ich muss Großmutter unbedingt fragen, welch aufregende Abenteuer sie erlebt hat.«
Sie zwinkerte ihrer Mutter keck zu, und Maureen wusste, dass Frederica auf George Linnley und ihre Drohung anspielte, jederzeit mit ihm durchzubrennen, sollten sich die Eltern weiter gegen eine Heirat stellen.
Philipp lachte und strich Frederica übers Haar.
»Mein kleines Mädchen, überall vermutest du eine Romanze. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Laura aus Liebe zu einem Mann alles im Stich gelassen hat und ihm in die Armut gefolgt ist.«
Maureen stimmte Philipp zu. In ihrer Erinnerung waren ihre Eltern zwar höflich und freundlich miteinander umgegangen, von großer Liebe oder gar Leidenschaft hatte sie jedoch niemals etwas bemerkt. Laura war immer unnahbar gewesen und hatte nie jemanden an sich herangelassen. Weder ihre Tochter noch ihren Ehemann.
»Ich werde versuchen, mit ihr über Archibald McCorkindale zu sprechen«, sagte sie bestimmt.
»Dabei wünsche ich dir viel Glück. So, wie ich Laura kenne, wird sie wie immer schweigen«, erwiderte Philipp zweifelnd.
Auch dieses Mal sollte Philipp sich nicht geirrt haben. Maureen besuchte ihre Mutter am frühen Nachmittag desselben Tages. Nach einem gemeinsamen Gang zum Friedhof saßen sie in der kleinen, muffigen Kammer und tranken Tee. Als Maureen das Gespräch auf McCorkindale brachte, nahm Lauras Blick den für sie typischen abweisenden Ausdruck an. Sie sah an Maureen vorbei und sagte scharf: »Ich bat dich einzig und allein um den Gefallen, mich in Degnish beisetzen zu lassen. Wenn ich gewusst hätte, dass dein Mann ausschweifende Nachforschungen anstellt, hätte ich den Wunsch niemals geäußert.«
Hektische rote Flecken bildeten sich auf ihren Wangen, die sich von ihrer sonst fahlen Haut abhoben. Für einen Moment bereute Maureen, das Thema angeschnitten zu haben, denn es regte Laura offenbar sehr auf, und Maureen befürchtete einen erneuten Hustenanfall. Trotzdem war sie nicht bereit, Lauras Starrsinn nachzugeben. Schließlich ging es hier auch um ihre Familie! Sie wollte endlich wissen, wo ihre Wurzeln lagen.
»Findest du nicht, dass ich ein Recht darauf habe, zu erfahren, was für Menschen meine Großeltern waren, und warum du mir niemals von ihnen erzählt hast? Warum hast du Bothy Castle verlassen und ein Leben gelebt, dass deiner nicht würdig war?«
»Das geht dich nichts an!«, rief Laura. Sie wirkte plötzlich sehr stark, als würde diese Sache alle ihre Kräfte mobilisieren. Im Dämmerlicht des trüben Nachmittags funkelten Lauras Augen wie zwei glühende Kohlen. »Ich kann mich nicht erinnern, dich gebeten zu haben, nach Schottland zu kommen und dich in mein Leben einzumischen! Ach, hätte ich diesen Brief doch niemals geschrieben! Hätte ich nie wieder Kontakt zu dir aufgenommen. Weißt du was, Tochter? Vergiss die ganze Sache! Man soll meine Überreste einfach auf irgendeinem Friedhof verscharren. Was kümmert es mich, wo mein Leib vermodert!«
»Mutter!« Maureen musste sich beherrschen, um Laura nicht anzuschreien, denn auch ihre Geduld hatte Grenzen. »Selbstverständlich werden Philipp und ich dafür sorgen, dass du in deiner Heimat begraben wirst.« Sie sah Laura eindringlich an, die mit verstockter Miene vor sich hin starrte. »Also gut, wenn du mir nichts über McCorkindale sagen willst – was ist mit deiner Mutter? Ist sie der Grund, warum du so hart geworden bist?«
»Du bist ungerecht!«, schleuderte ihr Laura entgegen. »Ich habe stets meine Pflichten als Mutter dir gegenüber erfüllt. Oder hast du jemals hungern müssen? John und ich haben hart gearbeitet, damit es dir gut geht.«
Mit einem Ruck schob Maureen ihren Stuhl nach hinten, dass die Beine über die Dielen kratzten, stand auf und ging zum Fenster. Sie war mit ihrem Latein am Ende und kurz davor zu resignieren. Ohne sich umzudrehen, sagte sie leise: »Es ging mir wohl besser als vielen anderen Kindern in dieser Zeit. Wir hatten immer genügend zu essen, und ich durfte an den Unterrichtsstunden im Herrenhaus teilnehmen, aber oft habe ich mir gewünscht, statt eines Tellers Haferbrei eine Umarmung von dir zu bekommen. Dafür wäre ich liebend gern hungrig zu Bett gegangen.«
»Das sagt du nur, weil du nie erfahren hast, was Hunger wirklich bedeutet.«
»Ich will nicht behaupten, dass du dich nicht bemüht hast«, fuhr Maureen fort und sah weiter in den dichten Nebel, der die Royal Mile in ein diffuses Licht tauchte. »Durch Frederica weiß ich aber, was es bedeutet, sein Kind über alles zu lieben und sich in jeder Sekunde um sein Wohlergehen zu sorgen. Es zerreißt mir beinahe das Herz, wenn Frederica krank ist oder Kummer hat. Mein ganzes Denken und Bestreben ist einzig und allein darauf ausgerichtet, meine Tochter