aus dem Nirgendwo materialisierte, hatte eine göttliche Dimension, und genauso müssen sich die Sprecher auch gefühlt haben, als sie sich an ihr unsichtbares Publikum wandten.
Die großen Reporter der zwanziger und dreißiger Jahre – neben dem bereits erwähnten Dr. Bernhard Ernst auch Leute wie Paul Laven oder Rolf Wernicke – waren Superstars. Paul Laven, ein Name, der klingt wie aus einem Ufa-Schinken („Das Kabinett des Dr. Laven“), bezog damals eine monatliche Gage von 3.000 Reichsmark, hinzu kam ein Spesenkonto von 7.000 Reichsmark. Wenn man das inflationsbereinigt auf heutige Verhältnisse umrechnet, ist man schnell bei Gagen in Thomas-Gottschalk’schen Dimensionen.
Hört man sich die Tondokumente aus dieser Zeit heute an, kann man diese Begeisterung nur schwer nachvollziehen. Besonders Rolf Wernicke, der mit seinem Stil noch Generationen von Reportern prägen sollte, klingt in unseren Ohren mit seiner gewollt markigen Ansprache wie ein Feldwebel, der das Nibelungenlied über den Exerzierplatz brüllt. Außerdem unterliefen den Stars immer wieder Formulierungen, die noch nie politisch korrekt waren, aber heute höchstens unfreiwillig komisch wirken. Bei den Olympischen Spielen in Berlin erzählte Paul Laven anlässlich des 10.000-m-Laufs über den japanischen Läufer Kohei Murakoso: „Der kleine, strampelnde gelbe Mann hat die Spitze erkämpft.“ Und Rolf Wernicke lautmalte noch 1952 über den amerikanischen Kugelstoßer O’Brien: „Da geht er vor, der amerikanische Hüne, und lässt seine Hose herunter zu seinem letzten Stoß.“ Das klingt schon verdächtig nach Heinz Maegerleins „Tausende standen an den Hängen und Pisten“.
Bei Dr. Paul Laven war Pathos Programm. Seine Stimme schlug die Hörer in ihren Bann. Während er von Ereignissen berichtete, soll es vorgekommen sein, dass die Menge sich um ihn versammelte, anstatt sich dem Gegenstand der Reportage zu widmen. Dr. Lavens Anspruch war hoch: „Das Match der Stadt und der Atem der um Leben und Dasein kämpfenden Menschen, die Dynamik der schaffenden, in der Not um sich schlagenden oder resignierenden Kreatur, ihre Gedanken und Empfindungen – dies alles war es, was ich in Worte zu fassen und in den Sprachklang zu bannen versuchte.“
Olympia 1936. Die Bezeichnung „Foto-Kanone“ ließ Schlimmes ahnen – zu Recht.
Laven arbeitete nicht nur als Sportreporter, damals gab es auch noch Kulturreportagen – zum Beispiel über Italien –, aber Lavens große Momente waren die Sportereignisse, die Automobilrennen, die Fußballspiele, die Olympiaden.
„Das Mikrofon kämpft mit“
Man kann sich leicht ausmalen, wie bei solchen Hochtönern eine simple Verkehrsdurchsage geklungen hätte, aber das Radio war noch weit davon entfernt, einfach nur ein Gebrauchsgegenstand zu sein. Und bei einem Publikum, dem die englische Schnöseligkeit immer etwas hüftsteif erschein und die amerikanische Lockerheit immer etwas zu frivol, kamen die Rundfunkherolde ohne Zweifel an. Sport war für die gedemütigte verunsicherte Nation ein Strohhalm, an dem man sich in unsicheren Zeiten festhalten konnte und wenigstens ab und an mal das Gefühl des Sieges und respektierter Größe atmen konnte.
Unter den begeisterten Hörern vor den Apparaten draußen im Lande, war auch ein gewisser Adolf Hitler, der seine Lieblingsreporter wie Rolf Wernicke dazu ermunterte, nicht nur über Sportereignisse zu berichten. Und man kann feststellen, dass sie sich gegen diese Aufgaben nicht sonderlich gesträubt haben. Sie berichteten nicht nur von Sportereignissen, sondern traten auch in Propagandastreifen auf. „Das Mikrofon kämpft mit“, lautete die Parole. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass besonders zackiges Auftreten vor dem Mikrofon vermutlich eine gute Methode war, sich vor einem Fronteinsatz zu drücken, der Umfang und die Begeisterung beim damaligen Mittun ist schon bemerkenswert.
Rolf Wernicke, der karrieretechnisch Dr. Laven beerbte, soll zeitlebens ohne Manuskript gearbeitet haben, seine Verehrer bewunderten an ihm seine Improvisationsfähigkeit und sein lautmalerisches Vermögen, mit dem er in seinen besten Momenten Klanggemälde schuf.
Wolfgang Hempel, der für Radio DDR das Endspiel in der Weltmeisterschaft 1954 aus Bern übertrug, wird von Erik Eggers in dem kenntnisreichen Buch „Die Stimme von Bern“ mit den Worten zitiert, dass er als 14-Jähriger 1941 von Erfurt nach Berlin zum Finale der Deutschen Fußballmeisterschaft fuhr. Es spielten Schalke 04 gegen Rapid Wien. Und wie so oft galt Schalke als Favorit, ging mit 3:0 in Führung und verlor am Ende doch noch 3:4. Die 95.000 im Stadion waren nicht nur von den spielerischen Finessen begeistert, sondern auch von der Ansprache des Reporters Rolf Wernicke, der sie kurz vor dem Anpfiff en passant darüber informierte, dass die Wehrmacht gerade in Russland einmarschiert war. Wie diese Auseinandersetzung ausging, konnte man vier Jahre später am selben Ort besichtigen.
Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reichs ging auch Paul Lavens Reporterkarriere zu Ende. Als die Amerikaner ihn nach Kriegsende vernahmen, war er für sie der „Furtwängler des Rundfunks“, während der Reporter seinerseits darauf verwies, dass er niemals Mitglied der NSDAP gewesen sei und in Hessen mit Gauverbot belegt worden war. Doch sein Reportagestil galt inzwischen als antiquiert, und außerdem spricht einiges dafür, dass er sich bei seinem Versuch der Wiedereingliederung nicht unbedingt geschickt angestellt hatte. Der frühere Star des Mediums sollte nun für eine Funkbehörde arbeiten, bei der das Regelhonorar für eine Reportage 100 Mark betrug. Das frühere Reporteridol arbeitete fortan als Autor. Rolf Wernicke hingegen fasste auch in der neuen Zeit schnell Fuß, wiewohl ihm auch dann noch immer mal wieder sprachliche Fehlleistungen unterliefen.
Direktfernsehen
Während das Radio sich als Massenmedium etablierte, wurden die Entwicklungsarbeiten am Fernsehen intensiviert. 1929 kam es zur Gründung der Deutschen Fernseh AG, Ziel war es, zu den Olympischen Spielen 1936 in Berlin die Welt mit Fernsehbildern beglücken zu können.
Dieses Ziel wurde nach der Machtübernahme der Nazis weiter forciert, mit mehr als deutlichen propagandistischen Untertönen. Für Joseph Goebbels war das Fernsehen die „achte Großmacht“ (in diesem Zusammenhang ist nicht bekannt, welche aus seiner Sicht die anderen sieben waren), und er sah natürlich die Möglichkeiten, die sich hier für das Regime auftaten.
In Berlin begann der Sendebetrieb am 15. Januar 1936. Es wurden zwei Stunden Programm am Abend und zwei am Vormittag ausgestrahlt. Weil damals noch kaum jemand ein TV-Gerät besaß, wurden in der Reichshauptstadt 15 Fernsehstuben eröffnet, die sich über das gesamte Stadtgebiet verteilten. So gab es Einrichtungen in Steglitz und Reinickendorf ebenso wie in Lichtenberg und Pankow. Meist waren diese Stuben in Postämtern eingerichtet worden. Hier konnten bis zu 30 Leute gleichzeitig und kostenlos fernsehen, allerdings dürfte das bei den kleinen Bildschirmen ein eher zweifelhaftes Vergnügen gewesen sein. Dennoch geht man davon aus, dass während der Olympischen Spiele 1936 bis 150.000 Zuschauer das Geschehen vor dem Bildschirm verfolgten. Die Live-Übertragungen heißen damals übrigens „Direktfernsehen“. Psychologisch dürften die Fernsehstuben in den späteren Jahren vor allem eine Wirkung gehabt haben: Als nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten Privatgeräte auftauchten, sank die Hemmschwelle, beim Nachbarn vorbeizuschauen, um mal zu gucken, „was so läuft“.
Jenseits von Olympia tat sich Fußball im Fernsehen am Anfang schwer. Weshalb die ersten Sportübertragungen vor allem Boxkämpfe zeigten. Ein Ring war kleiner als ein Fußballfeld und konnte zur Not auch im Studio aufgebaut werden.
Die großen Fußballarenen stellten die primitiven Kameras bei wechselnden Witterungsbedingungen vor enorme Herausforderungen. Trotzdem gelang es am 26. November 1939, das Länderspiel Deutschland gegen Italien aus dem Berliner Olympiastadion zu übertragen, und das war dann auch die Premiere dieser Form der Berichterstattung. Kommentatoren mussten damals noch ohne Monitore auskommen, was ihre Berichterstattung manchmal zu einem Ratespiel werden ließ. Schließlich wussten sie nicht immer, welche Ecke des Spielfelds gerade von den Kameras eingefangen wurde. Davon abgesehen, dass in dieser Zeit also noch so einiges anders lief, hörte man da schon eine Zuschauerklage, die sich bis in die heutige Zeit erhalten hat: Reporter sollten doch bitte weniger reden und mehr das Geschehen wirken lassen.
Da der Zweite Weltkrieg etwas anders verlief als es sich Goebbels & Co. vorgestellt hatten – möglicherweise spielten bei den enttäuschten Erwartungen