Ausflüchte sucht, um ja nicht das Wirken des Teufels zugeben zu müssen.2
Papst Franziskus und der Teufel
Gegenwärtig greift Papst Franziskus die Rede vom Teufel betont auf. Für ihn ist seine Existenz eine Tatsache. Ausdrücklich warnt der Papst in den Abschnitten 160–161 des Apostolischen Schreibens „Gaudete et exsultate“ („Freut euch und jubelt“ – Über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute), das am 9. April 2018 veröffentlicht wurde, dass der Teufel mehr sei als ein Mythos:
Wir würden die Existenz des Teufels nicht anerkennen, wenn wir darauf beharrten, das Leben nur mit empirischen Kriterien und ohne übernatürlichen Sinn zu betrachten. Gerade die Überzeugung, dass diese böse Macht unter uns gegenwärtig ist, lässt uns verstehen, weshalb das Böse manchmal eine so zerstörerische Kraft besitzt […].
Als Jesus uns das Vaterunser lehrte, wollte er tatsächlich, dass wir am Ende den Vater bitten, er möge uns von dem Bösen erlösen. Der dort benutzte Ausdruck bezieht sich nicht auf etwas Böses im abstrakten Sinn, sondern lässt sich genauer mit „der Böse“ übersetzen. Er weist auf ein personales Wesen hin, das uns bedrängt. Jesus lehrte uns, täglich um diese Befreiung zu bitten, damit die Macht Satans uns nicht beherrsche. Wir sollen also nicht denken, dass dies ein Mythos, ein Schauspiel, ein Symbol, ein Bild oder eine Idee sei. Dieser Irrtum bringt uns dazu, die Hände in den Schoß zu legen, nachlässig zu sein und mehr Gefährdungen ausgesetzt zu sein. Der Teufel hat es nicht nötig, uns zu beherrschen. Er vergiftet uns mit Hass, Traurigkeit, Neid, mit den Lastern. Er nützt dann unsere Achtlosigkeit, um unser Leben, unsere Familien und unsere Gemeinschaften zu zerstören …3
Angesichts dieser klaren Haltung der größten christlichen Kirche der Welt, der immerhin ca. 1,3 Milliarden Menschen angehören, wundert der Protest gegen eine TV-Serie nicht, in der ein netter harmloser Teufel die Menschen zum Partyrausch in seinem Nachtclub verführt.
Der Teufel und das Vaterunser
Der Teufel ist also der große Gegenspieler Gottes, der versucht, alle Menschen ins Verderben zu führen. Papst Franziskus will deshalb auch das wohl bekannteste und wichtigste Gebet der Welt neu fassen: das Vaterunser.
Er liegt damit auf einer Linie mit dem KKK. Dort wird ausgeführt, dass das Böse, um das es geht, „nicht etwas rein Gedankliches“ ist, sondern eine Person bezeichnet, den „Satan, den Bösen, den Engel, der sich Gott widersetzt“ (KKK 2851) hat: „Der Teufel stellt sich dem göttlichen Ratschluss und dem in Christus gewirkten Heilswerk entgegen.“ Gemäß dieser Einsicht drängt Franziskus darauf, die Zeile „führe uns nicht in Versuchung“ neu zu formulieren, da man sie so verstehen könne, als ob Gott uns in Versuchung führe. Dies sei aber nicht der Fall. 2017 sagte er in einem Interview des italienischen Senders TV2000, dass nicht Gott den Menschen in Versuchung führen wolle, um ihn zu prüfen oder sogar zu Fall zu bringen. Franziskus sagte:
Ein Vater tut so etwas nicht; ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist der Satan.4
Dass man gegen den Teufel kämpfen muss, ist in entsprechenden Kreisen der römisch-katholischen Kirche damit auch klar. In Deutschland fand der letzte offizielle Exorzismus durch die römisch-katholische Kirche im Jahr 1976 statt, bei dem eine junge Frau, Anneliese Michel, schließlich an den Folgen von Unterernährung starb. Seitdem gab es im katholischen Bereich in Deutschland keinen bekannten „Großen Exorzismus“, bei dem man den Teufel aus einem Menschen austreiben will. Blickt man jedoch auf katholisch geprägte Länder, wie z.B. Polen oder Italien, erkennt man, dass Exorzisten gesucht werden und sich deren Zahl in den letzten Jahren drastisch erhöht hat.
Selbst in Deutschland kam es 2015 im freikirchlichen Kontext zu einem Exorzismus. In einer aus Südkorea eingewanderten Familie starb dabei diejenige, die exorziert wurde.
Sogar im Gemeindekontext deutscher evangelischer Kirchen, deren protestantisch-reformierte Nüchternheit eigentlich skeptisch gegenüber dämonischen Elementen machen sollte, bin ich Personen begegnet, die freimütig bekennen, an den Teufel zu glauben. Bei vielen Veranstaltungen und Vorträgen zum Thema „Teufel“ habe ich Menschen kennengelernt, die echte Ängste damit verbinden und oft vehement an der Existenz des Teufels als realem Wesen festhalten wollen.
Der Glaube an den Teufel durchzieht dabei alle Konfessionen und beachtet deren offizielle Lehre nicht. Dieses Phänomen lässt sich zwar an verschiedenen Themen beobachten, z.B. bei der Haltung zu Frauenordination oder Homosexualität, kann beim Teufel allerdings sehr gut auf ein grundlegendes Thema zurückgeführt werden: Wie verstehe ich die Bibel? Muss man sie als Gottes Wort wörtlich nehmen oder darf bzw. muss man sie interpretieren? Die Frage der Bibelauslegung steht also im Hintergrund des Teufelthemas.
Der Teufel als Sinndeutung des Bösen
Der Umgang mit dem Teufel in der Gegenwart erscheint also paradox, und es können leicht Situationen entstehen, in denen sich Dialogpartner gegenüberstehen, die keinen Dialog mehr führen können, weil die Art und Weise, wie sie die Welt sehen, zu verschieden ist. Ihre Verstehensvoraussetzungen, ihre Weltdeutungen sind so fundamental unterschiedlich, dass sie keine Grundlage des Dialoges finden können. Wer sich „Lucifer“ im Fernsehen anschaut und sich darüber amüsiert, kann nicht an den Teufel der römisch-katholischen Kirche „glauben“, die Bibel nicht wörtlich verstehen und letztlich auch kaum Verständnis für „bibeltreue“, fundamentalistisch angehauchte Christen aufbringen. Wer umgekehrt glaubt, dass der Teufel in dieser Welt real am Werk ist und Menschen in den Untergang führt, kann nicht akzeptieren, dass man sich über ihn lustig macht. Die Chance, hier einen Graben zu überbrücken, ist nicht groß. Nichtsdestotrotz scheint das Thema „Teufel“ lohnend zu sein, um zu zeigen, wie eine mythologische Figur, als solche wird der Teufel hier verstanden, „gebraucht“ werden kann, um die eigene Deutung der Welt zu leisten. Dies ist die Grundthese dieses Buches: Der Teufel existiert nicht als Person, die in der Hölle (oder in Los Angeles) wohnt, sondern ist eine religiöse Deutung von Phänomenen, die Menschen als bedrohlich, ängstigend oder schädigend erfahren. Insofern existiert der Teufel zwar, aber lediglich als – mehr oder minder – abstrakte Idee, die je und je aktualisiert und eingesetzt wird, als Symbol, das eine Rolle bei der menschlichen Deutung der Welt spielt. Der Teufel als Symbol hilft den Menschen, das Böse in der Welt und in sich selbst zu deuten.
Der Teufel als Sinndeutung des Bösen – diese Grundthese hat zwei Voraussetzungen, die zunächst erläutert werden müssen:
Die Welt als Deutung
2 x 3 macht 4 –
Widdewiddewitt und 3 macht 9e!
Ich mach’ mir die Welt – widdewidde wie sie mir gefällt …
Hey – Pippi Langstrumpf hollahi-hollaho-holla-hopsasa
Hey – Pippi Langstrumpf – die macht, was ihr gefällt.
(Wolfgang Franke nach Astrid Lindgren)
Erstens: Seit Immanuel Kant wissen wir, dass es das Ding an sich für uns nicht gibt, sondern die Dinge so sind, wie wir sie wahrnehmen. Wir können die Dinge nur so erkennen, wie es uns möglich ist. Wenn wir die sprichwörtliche rosarote Brille auf der Nase haben, dann sehen wir die Welt in rosa Farben. Wenn wir überall nach dem Teufel suchen, dann werden wir ihn überall finden. Das bedeutet also: Farben, Themen, die Welt an sich – all das gibt es eigentlich nicht an sich. Die Welt wird uns durch unsere Sinnesorgane und durch die Verarbeitung von Sinneseindrücken im Gehirn vermittelt. Wenn wir in der Welt handeln, mit ihr umgehen, sie verstehen, dann ist das unsere Erschließung der Wirklichkeit. Dabei ist die Wirklichkeit widerspenstig. Wir können sie nicht nach Belieben verändern. Die äußeren Bedingungen unseres Lebens sind uns vorgegeben. Wir bestimmen nicht, wann wir wo und warum und als was geboren werden. Wir erfinden nicht die Hindernisse, die sich uns im Leben entgegenstellen. Den Stein, an den wir stoßen, haben wir nicht konstruiert. Er ist einfach da und wir werden auf ihn aufmerksam, weil wir uns an ihm stoßen, und erkennen ihn dann als Stein. Die Wirklichkeit leistet Widerstand. Das ist das Argument dafür, dass wir die Welt – im Gegensatz zu Pippi Langstrumpf – nicht so machen können, wie sie uns gefällt. Aber was wir daraus machen, das ist unsere Sache. Das ist die Botschaft des Sinnspruchs „Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt,