Hans Leip

Herz im Wind


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Der Holunder hatte ausgeblüht, die Beeren waren grün, und auf den Bänken, die schief vom Wind auf der Deichkuppe in die Büsche gedrückt stehen, saßen abends bei Mondschein die Mädchen und sangen zweistimmig. Die vier, fünf Leute aus dem dikken Malerboot wandelten auf dem Deich einher, und sie hatten einen leichten Schritt, fast wie die vornehmen Segler der Jachten, die nur notgedrungen bei schlechtem Sturm den Ort anlaufen. Sie blieben bei dem angepflockten Bockslamm stehen, das war ganz in der Nähe der Mädchen, und die Mädchen schwiegen plötzlich. Aber nach einer Weile, da die Männer sich mit dem Tierlein herumbalgten und sich komisch machten, kicherten sie allesamt, und eine ließ eine Bemerkung entschlüpfen über große und kleine Böcke; das war Meta, die Tochter zum »Schönen Blick«. Nunmehr war bald Unterhaltung genug im Gange. Jedoch als es dunkel wurde und der Leuchtturm sein Licht anzündete, gingen die Männer die Deichtreppe hinunter in die Wirtschaft. Sie hatten in den soliden Wochen viel Geld gespart, es wurde allmählich langweilig, und die Arbeit war jetzt leicht und es war kein Grund mehr, nicht tüchtig einen zu heben.

      Und je mehr der Leuchtturm seiner Vollendung entgegengedieh, desto mehr kitzelte ihnen das Geld in der Tasche. Im »Schönen Blick« spielte jeden Abend das Grammophon und im Gasthaus »Zur Fähre« das Radio, und im letzteren war nun sonnabends und sonntags Tanzkränzchen, den Leuchtturmmalern zu Ehren, und diese ließen den wöchentlichen Schlepper zumeist leer wieder wegfahren. Von weit her kamen die Mädchen und jungen Leute, und um Mitternacht, wenn Polizeistunde war, johlte es noch lange auf der sonst so stillen Landstraße, und hinter jedem Distelbusch am Deich lagen die flüsternden Paare. Auf den Bänken aber beim Holunder saßen die Alten noch spät, wenn es die Luft erlaubte, und sprachen von den früheren Zeiten und was da alles passiert sei, als der Leuchtturm gestrichen wurde. Weiß und rot blitzte das Leuchtfeuer über den Strom und die weite Marsch. Und der Brotmann Pümpel reckte den steifen Daumen in den Mund und verschwor sich, sein Sohn solle sich nicht dazwischenmischen.

      Sein Sohn steckte morgens die Rundstücke in die Beutel, welche zu dem Zweck an den Hausklinken des Dorfes hingen. Abends saß er im »Schönen Blick«. Er hatte es auf Meta, die Wirtstochter, abgesehen. Aber die Maler schienen das Grammophon auch mehr zu lieben als das Radio und die Tanzkränzchen; denn Meta hatte eine bestechende Art, ihnen die schäumenden Kugeln Helles hinzuschwenken, sie hatte stramme Beine und eine schlagfertige Zunge, und das Licht schien durch ihr dünnes Kleid. Dazu waren da seit kurzem drei Damen in »Penschon«, Damen aus der Stadt, wo sie in der Fabrik, die eine bei Puddingpulver, die andere bei Wollsplint, die dritte bei Kautschuk, tätig waren, sie hatten alle zugleich Ferien und waren befreundet und aus Gründen der Billigkeit in das gottverlassene Deichdorf geraten, wo es nicht einmal einen Badestrand gab. Dennoch liefen sie den ganzen Tag im Badeanzug umher, und die Maler kamen ihnen gerade recht und sie den Malern, so daß die weiteren Schönen des Ortes und das Gasthaus »Zur Fähre« ins Hintertreffen gerieten. Bezüglich der Tochter Meta jedoch war es der Meister selber, der gewogen blieb. Die Wirtin sah es wohl, jedoch sie beschwichtigte ihre Bedenken, denn es war ja der Meister, der auch ein Motorrad besaß und fast aussah wie ein Kunstmaler und staatlich angestellt war. Damals war es der Meister ja nicht gerade gewesen. Sie betrachtete ihn abschätzend auf Schwiegersohn hin und setzte ihm in der Küche manch kaltes Huhn ohne Abrechnung vor, er war sanftmütig und spielte mit dem Wirte und mit Brotmann Pümpels Sohn Schafskopf bis spät in manche Nacht. Meta saß dabei und tat, als ahne sie nichts, und holte Bier aus dem Keller und goß Steinhäger ein und war freundlich zu jedem, der da kam. Oh, es war ein Leben und Treiben im Dorfe, und der Koch brachte dem Pastor die ablenkenden Schriften mit Dank zurück.

      Die Fliederbeeren, wie man die vom Holunder nennt, wurden schwarz und reif. »Die geben gute Hitze!« sagte die Wirtin und lud den Meister zur Suppe ein. Aber auch die übrigen kamen mit; denn es war August geworden. Und Pümpels Sohn kam auch und auch Heinrich von der Mühle und etliche andere. Die »Penschonärinnen« jedoch waren schon wieder abgereist, ihre Ferien waren nicht wie etwa bei Lehrerinnen so groß.

      Diesen letzten Abend war es anfangs recht still im »Schönen Blick«, doch später machte der gläserne Stiefel die Runde und wurde oft geleert nach Handwerksbrauch, und Pümpels Sohn holte seine Harmonika, und man sang das Lied vom Pfannenflicker und tanzte mit Meta und untereinander, und Heinrich von der Mühle sagte, die Damen aus der Stadt hätten es auch wohl gut gekonnt, nun sei er an der Tour, und der Koch sagte, er habe auf »Friedrich dem Großen« gedient im Skagerrak und brauche sich das nicht bieten zu lassen, und Pümpels Sohn sagte, Meta würde sich mit keinem Kletteraffen einlassen, und die Wirtin sagte, ihr Haus sei ein reines Haus, und der eine Maler, der von den Maurern herkam und das Händeklatschen vorführen wollte, wie es zünftig ist, hieb jemanden versehentlich in die Fresse, und ein wenig später alarmierte der Wirt den Gendarm, und manches war danach trotzdem blau, zerbrochen, eingeknickt und ausgerenkt. Und dann wurde weiter Abschied gefeiert.

      Der Meister und Meta waren dem Krakeel entronnen und saßen auf der Holunderbank, und sie weinte, sie habe sich schon drei Morgende übergeben. Da standen sie auf. Der Schafbock, der so munter gewesen war vor zwei Monaten, kaute träge im abnehmenden Mond und war den Tag ein Hammel geworden. »Dja«, sagte der Meister trübe, und weiter sagte er nichts und verzog sich auf sein Boot, das schon wieder bepackt war mit den Haufen der Leitern, und seine Leute kamen um die Frühdämmerung ebenfalls, mitgenommen, sternhagelvoll, doch vergnügt. Hinter ihnen, verbunden und geschient, humpelten einige vom Dorfe und hofften giftig, daß die verfluchten Maler allesamt in den Bach kippen würden. Aber sicher wie die Engel glitten sie über den dünnen Plankensteg an Bord, obwohl er sich wie eine Sense krümmte. Um sieben Uhr kam der Schlepper und holte die Arche Noah wieder ab, um sie nach Bützfleth zu bringen oder zum Hungrigen Wolf oder wo sonst ein Leuchtturm zu streichen ist.

      Gespenst im Nebel

      Es waren schon ein paar warme Tage gewesen, und dann war es wieder kühl. Die munteren Dünste, von der Sonne schräg aus den nassen Wiesen, dem Watt und der See gesogen, krochen zusammen und rollten graugelb wie unordentliche Wülste Schafwolle über die Priele. Ein paar Fischer lagen draußen hinterm »Hundeloch« und hofften, ein bißchen Südost solle auffrischen und es sichtiger blasen. Einer aber konnte es nicht abwarten, ging ankerauf und seilte gegen Mittag los, als das Wasser hoch war, kam aber mit vollem Motor bald zurück und preite die anderen an, sein Junge sei über Bord gefallen. Da nahmen sie alle die Beiboote und suchten den ganzen Tag im dicken, stinkigen Nebel an den Schlicksänden entlang. Aber sie fanden die Leiche nicht. Die Ebbe hatte sie wohl mit in die See genommen.

      Den Abend klarte es auf, und der Kutter, der das Unglück gehabt hatte, setzte Segel und rutschte mit der Flut heim nach Friedrichskoog, und schon am andern Morgen stand es im Marner Blatt, das von dem Ertrunkenen, und darunter stand das Inserat des Fischers, daß er einen neuen Jungen suche. Der kam denn auch gegen Klock zehn an Bord mit seiner weinenden Mutter, und um elf bei günstiger Tide und prächtig hellem Wetter warf man die Leinen vom Hafendamm los und fuhr wieder davon, um das Geschäft nicht allzulange zu unterbrechen und um die Kosten wieder einzuholen.

      Zu Mittag mußte der Junge Graupen kochen, die allgemein »Scheeben Wind« heißen. Er kochte sie dem Schiffer zu pampsig, und der prophezeite dem armen Bengel handgreiflich nichts Gutes für seine Seefahrt und Laufbahn. Pech klebt an Pech, und so hatten sie eben eine Kumme Kaffee zum Nachspülen genossen, da wurde es wieder diesig und bald so dick, daß sie ihre Pantoffeln an den Füßen nicht mehr sehen konnten und Anker werfen mußten. Der Schiffer fluchte, klopfte die Pfeife aus und haute sich in die Koje. Er hatte noch Schlaf zugute. Der Junge mußte oben bleiben. Weitere Mannschaft war ja nicht an Bord. Er hatte strenge Weisung, der Junge, seinen Schiffer nicht vor anständiger Sicht zu wecken, und hatte zweierlei zu tun: Erstens mußte er alle Minute mit einem alten Belegnagel an eine rostige Eisenplatte klopfen, die da frei am Backstag hing und einen durchdringenden Ton abgab. Das war das Warnungssignal für andere Boote, um bei dem Nebel einen Zusammenstoß zu vermeiden. Zweitens sollte er ab und an die Ankerkette einen Faden weiter ausstecken, um bei dem ablaufenden Wasser den Kutter im Strom zu halten. Er tat beides mit zitterndem Eifer. Er war nur ein schmächtiger Knabe, frisch von der Konfirmation, und hatte nicht Schuster werden wollen wie sein Vater, sondern Seemann. Er hatte immer von der hübschen blauen See geträumt mit Wogenkämmen weiß wie Milchschaum, weiß wie ungebärdige Schimmelhengste, darauf Rasmus reitete, der Nordseewind. Nie hatte er wie andere Knaben mit ihren Fischervätern