Charles Platt

Free Zone


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Sie zog einen Finger über die Kehle.

      »Natürlich«, gab Thomas zu. »Aber jetzt, da Whitfield mit Beverly Hills Frieden geschlossen hat, brauchen sie einen gemeinsamen Feind, um ihre Leute zu vereinen. Jemanden, den sie alle hassen können. So wie uns.«

      Der Werbespot war zu Ende. »Nachrichten aus der Wirtschaft, für die von euch da draußen, die das überhaupt noch kümmert«, sagte Sammy. »Beim gestrigen Börsenschluss ging der Dow Jones mit 132 aus dem Handel, ein historisches Hoch seit dem letzten Crash, steht hier. Gewinne verzeichneten National Biotech, Solar Systems und die gute alte bundeseigene U. S. Oil.« Er blinzelte und rieb sich die Augen. »Verdammt, hab ich einen Kater.«

      »Nachrichten aus aller Welt«, übernahm Ursula. »Nach drei Jahren ist die Evakuierung Hollands endgültig und plangemäß abgeschlossen. Laut einer aktuellen Vorhersage von Klimatologen wird sich dank der Wirtschaftskrise und des Rückgangs industrieller Aktivitäten der Treibhauseffekt im Lauf der nächsten zwanzig bis dreißig Jahre abschwächen, wodurch die Meerwasserspiegel um nicht mehr als drei bis viereinhalb zusätzliche Meter ansteigen werden. Es gibt also neue Hoffnung für die sturköpfigen Deichbauer in Santa Monica. Richtig, Sammy?«

      »Du hast es erfasst, Süße. Und um euch allen mal so richtig das Herz zu wärmen, sendeten die Astronauten der chinesischen Raumstation heute Morgen der Welt eine Grußbotschaft und riefen zum Frieden im kommenden Jahrtausend auf.« Er schnaubte verächtlich und ging aus dem Bild.

      »Das Wetter«, sagte Ursula, »heute sonnig bei Temperaturen bis etwa vierundzwanzig Grad, klare Luft, aber gefährliche UV-Werte, also denkt bloß an eure Sonnenbrillen, Schutzcremes fürs Gesicht und Sonnencapes, wenn ihr nach draußen geht. Es folgt jetzt die Sendung übers Gärtnern im eigenen Garten, heute mit Tipps zum Anpflanzen von Peyotl-Kaktus im Winter. Zuerst aber diese wichtige Information von Elaines erotischem Emporium.«

      Dusty stand auf und schaltete den Fernseher aus. Sie biss in den zweiten Sojariegel und nahm ihre Gewichte hoch. »Gib’s zu, Thomas. Du hast es genossen.«

      Thomas stand auf und ging zu seinem Terminal zurück. »Es hat tatsächlich einen primitiven Charme.«

      »Das stimmt. Genau wie du. Okay, bevor ich geh, was tut sich auf Whitfields Datenbank? Hast du sie schon gecheckt?« Die Free Zone verdankte ihr Überleben zum Teil Thomas’ Geschick, in die meisten Onlinesysteme hineinzukommen, das der City Hall eingeschlossen.

      Er tippte ein paar Zugangscodes. »Zu früh für die da drüben. Du weißt ja, es ist Weihnachten. Der Bürgermeister ist ein gläubiger Mensch. Ist wahrscheinlich in der Kirche, betet für unsere Erlösung.«

      »Darauf kannst du wetten«, sagte sie grimmig. Sie ging zurück ins Schlafzimmer, überprüfte die Patronen in ihrer 375er-Magnum, schnallte ihr Pistolenholster um, nahm ihre Sonnenbrille und legte ihr Sonnencape an, die Kapuze dicht ums Gesicht gezogen.

      »Muss ich dich daran erinnern, dass du heute Abend den Predigtmarathon im Dodger-Stadion eröffnest?«, rief Thomas ihr nach.

      Sie verteilte Sunblocker im Gesicht. »Nur für so lange, bis ich da verschwinde, bevor es in Krawalle ausartet. Du weißt doch, wenn da fünfundzwanzig Propheten der Apokalypse sind und allesamt außer sich vor gerechtem Zorn …«

      »Siebenundzwanzig. Gestern haben sich noch zwei angemeldet.«

      »Ich könnte Hilfe brauchen.«

      Er wies aufs Terminal. »Ich werde hier sein, falls du mich brauchst.«

      Sie küssten sich, und sie verstrubbelte sein Haar. Sanfter: »Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte.«

      »Hey, das weiß ich doch.« Er sagte es wie gleichgültig, doch wie immer schien er insgeheim erfreut von ihrer Zuwendung.

      Ein wenig später fuhr sie auf ihrer Norton Commando von 1974 mit gewagten Kurvenmanövern den Holboro Drive runter. Der Fahrtwind riss an ihrem Sonnencape, und sie fühlte sich warm und gut und stark, bereit, es mit der Welt aufzunehmen, und zu tun, was immer nötig war.

      7. Eichhörnchen zu Besuch bei der Teufelsbrut des libertären Dogmas

      Dr. Percival Abo fuhr mit seinem Honda Civic höchst vorsichtig über den Santa Monica Freeway, vorbei an Motorrädern, Pferdegespannen und Radfahrern. Sein Hund Lucky hockte auf dem Beifahrersitz und starrte auf die Landschaft mit ihren mutierten Palmen und abgefackelten Reihenhäusern. »Ich mag diese Gegend«, sagte Lucky. »So viel Platz.«

      »Gut, gut«, sagte Dr. Abo, nicht ganz bei der Sache. Er drosselte das Tempo und schaute blinzelnd auf einen von Kugeln durchlöcherten und mit revolutionären Parolen besprühten Richtungsanzeiger. »In Richtung Pasadena wollen wir sicher nicht.«

      »Von hier aus kommt man doch zu vielen Orten«, war Luckys erwartungsfroher Kommentar. »Vielen Orten, wo man in der Sonne rumtoben kann.«

      »Sehr richtig, Lucky. Aber leider darf man sich nicht ohne wirksamen Schutz der Sonne aussetzen. Die Ozonschicht ist in der Region stark ausgedünnt. Die UV-Strahlung ist extrem gefährlich.«

      Lucky stellte die Vorderpfoten aufs Armaturenbrett und drückte die Nase an die mit Schutzbeschichtung versehene Windschutzscheibe. »Ich will Kaninchen jagen.«

      »Ich bezweifle, dass es noch Kaninchen gibt, Lucky. Nur die nachtaktiven Tiere dürften überlebt haben.« Dr. Abo schwieg nachdenklich. »Andrerseits, wenn doch noch Kaninchen existieren, sind sie wahrscheinlich aufgrund der Strahlung blind und lassen sich viel leichter schnappen.«

      Er schlug plötzlich das Lenkrad ein, hatte schließlich doch entschieden, die Ausfahrt zu nehmen.

      Rechts neben ihm hupte es gewaltig. Er trat auf die Bremse und vermied knapp, gegen die Seite eines El Camino zu geraten, der von seinem Besitzer mit Monsterreifen und einem Maschinengewehrstand aufgemotzt worden war. Die Seiten des Fahrzeugs schmückten Airbrush-Bilder von Jesus, der die Menschheit im Himmel willkommen heißt.

      »Tut mir leid!«, rief Dr. Abo. Er winkte freundlich.

      Der Fahrer des El Camino lehnte sich aus dem Fenster, seine Dreadlocks wehten im Wind. Er sah sich Dr. Abo gelassen an, signalisierte dann mit einer Kopfbewegung, ihn vorlassen zu wollen.

      »Danke!« Dr. Abo nickte und lächelte. Er lenkte den kleinen Wagen die Ausfahrt hoch, vorbei an ein paar kleinen Bombentrichtern und dem ausgebrannten Wrack eines Cadillac, der die Leitplanke durchbrochen hatte und nun halb über dem Ödland hing. Im Rückspiegel sah Dr. Abo, dass der El Camino neben dem Wrack zum Stehen kam. Der Fahrer stieg aus, mit Bolzenschneider und Schneidbrenner in den Händen.

      »Sie zehren hier immer noch von den Überbleibseln ihrer Vergangenheit, Lucky«, sagte Dr. Abo. »Sie haben den Glauben an Ihre Zukunft verloren. Ich glaube trotzdem, dass ich den Amerikanern noch helfen kann, den Sinn für eine Bestimmung wiederzuentdecken.«

      Lucky wandte sich und sah seinen Herrn mit unergründlichem Blick lange an. »Es ist heiß«, sagte er schließlich.

      »Natürlich ist es heiß!« Dr. Abo gestikulierte aufgebracht. »Die Klimaanlage funktioniert nicht, habe ich dir doch schon gesagt!« Er wischte sich die Stirn mit einem weißen Taschentuch aus der Innentasche seines abgetragenen Straßenanzugs. »Entschuldige, Lucky, manchmal vergesse ich, dass du diese Dinge nicht verstehen kannst. Sei einfach froh, dass wir überhaupt ein Auto bekommen haben. Hab Geduld.«

      Er fuhr auf den Harbor Freeway. Hier waren mehr Motorräder und Fahrräder unterwegs, die Fahrer in weiße Kapuzencapes gehüllt, die im Wind flatterten. Manche Mittelklasseautos und Transporter waren mit aufgeschweißten Stahlplatten gepanzert, die Fahrer sahen gemein und gefährlich aus, egal ob Mann oder Frau. Dr. Abo machte sich möglichst klein auf seinem Sitz, ihm war unbehaglich beim Gedanken an den Aktenkoffer mit Goldstücken im Wert von einer Million Neudollar hinten im Kofferraum des Hondas. Das war alles, was ihm vom Risikokapital geblieben war, das seine Hongkonger Genforschungsfirma eingesammelt hatte. Lieber wäre ihm gewesen, er hätte dem Kapitän trauen und die Goldstücke auf dem Schiff lassen können.

      Große Bürogebäude auf