Charles Platt

Free Zone


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Wollen es wohl immer noch den Islamischen Läuterern zeigen.« Sie hob die Nase zum Schnüffeln. »Ich mag diesen Geruch nicht.«

      »Den Holzrauch?«

      »Nein, den anderen.« Sie drehte sich weg. »Napalm. Davon gab’s eine Menge in Panama.« Die Erinnerung ließ sie verstummen.

      »Ein Weihnachtsgeschenk von Seinen Gnaden Clarence Whitfield für die religiösen Extremisten von Pasadena«, sagte Thomas. Sein Gesicht blieb ausdruckslos.

      »Nicht mehr lange, dann gehen sie auch auf uns los«, sagte Dusty. »Über kurz oder lang wird Whitfield eine Spur zu gierig und kriegt die Vorstellung, dass er die Zone ebenso gut schmeißen kann wie wir, und dann …«

      »Das war schon immer eine Möglichkeit.« Thomas’ Tonfall war sachlich.

      Sie seufzte. »Du hast keine Kämpfe direkt erlebt, mittendrin. Du weißt nicht, wie das ist.«

      »Da hast du recht. Das weiß ich nicht.« Er bahnte sich durchs Wohnzimmer einen Weg zur Computeranlage in der Ecke, schaltete sie ein und setzte sich auf einen abgenutzten Drehstuhl. Er klappte ein Notebook auf und fing an, eine Serie von Zugangscodes einzutippen.

      Dusty erkannte, dass er recht hatte: Mit dem Job weiterzumachen war das Einzige, was jetzt zu tun war. Sie drehte sich um und machte sich auf den Weg durchs Wohnzimmer. Es war übersät mit Stapeln von Handbüchern, leporellomäßig gefalteten Ausdrucken, Elektronikbauteilen, Motorradwerkzeug und Bodybuilding-Gerätschaften. An einer Wand waren grobe menschliche Silhouetten hingepinselt, die mit Kugellöchern gesprenkelt waren. An einer anderen eine enorme Planungskarte, jede Straße der Free Zone eingezeichnet, vom Ventura Freeway im Nordwesten bis zum Pasadena Freeway im Südosten. Eine alte Couch mit Vinylbezug, der schon bessere Tage gesehen hat, bot Sicht auf einen mit schmutzigem Geschirr bedeckten Couchtisch und einen auf Schlackensteinen aufgebockten Fernseher. Zwei M16-Gewehre, ein Granatwerfer und ein Surfbrett standen in der Ecke bei der Tür.

      Dusty suchte sich einen Weg über den verdreckten Nylonteppich, knipste den Fernseher an, ging dann in die Küche. Noch mehr schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle, und auf dem Küchentresen sammelten sich Bierdosen und leere Ladestreifen. Sollte was gegen das Chaos tun, dachte sie vage, als sie den Kühlschrank aufmachte und ein paar Sojariegel von Dr. Feelgood und einen Karton Orangensaft herausholte.

      Der Fernsehsender der Free Zone brachte nostalgische Weihnachtsmusik – »Santa Claus Is Coming to Town«, im Stil der Punkbands von Mitte der Siebziger. Sie ging hin und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden vor dem Fernseher. Auf dem Bildschirm in handgeschriebenen Lettern DEMNÄCHST DIE 9-UHR-NACHRICHTEN HIER AUF KFZ, SOBALD WIR UNSERN SCHEISS ZUSAMMENHABEN!!! Dazu ein grob gezeichneter Weihnachtsmann, ans Kreuz genagelt und mit hervorquellenden Augen. Dusty biss in einen der Sojariegel, nahm eine 20-Kilo-Hantel mit der linken Hand auf und machte, während sie wartete, ein paar Curls. Hinter ihr, am Computerterminal, war Thomas in periodischem Stakkato am Tippen. »Was hab’ ich heute zu tun?«, fragte sie über die Schulter hin.

      »Zehn Uhr Schiedsgericht, wie üblich. Dann – um elf rum darfst du einen Überraschungsbesuch erwarten. Anscheinend hat ein Dr. Percival Abo heute Morgen angerufen. Mein Expertensystem hat mit ihm geredet. Er ist aus Hongkong, sucht Lagerraum. Muss Ladung löschen.«

      »Ein Doktor? Was für ein Doktor?«

      »Hat er nicht gesagt. Ich guck’ nach … nein, weder hier noch in Hongkong noch in Festlandchina als Doktor für Medizin registriert.« Mehr Tastengeklapper, dann wieder Pause. »Hier hab’ ich ihn. Hawaii, 1975. PhD der Biochemie. Aber keine Publikationen aufgeführt. Sieht komisch aus; als wär’ die Datei frisiert. Willst du, dass ich tiefer nachgrabe?«

      »Warte, bis ich ihn getroffen hab. Bringt er Illegales ins Land?«

      »Ganz bestimmt.«

      Dusty nickte. »Wir können ihn für einen Tag als Besucher zulassen.«

      »Hab ich grade gemacht.«

      »Und wir können ihm eine Nachmittagshostess in LoveLand zuweisen.«

      »Hab ich auch grade gemacht.«

      Sie zerknüllte die Sojariegelverpackung und warf sie beiseite. Sie ging forsch zu Thomas, stellte sich hinter ihn und zupfte spielerisch an seinen Haaren. »Hey, wer hat in der Free Zone das Sagen, du oder ich?«

      Der Fernseher kam seiner Antwort zuvor. Die weihnachtliche Punkmusik endete, und auf dem Bildschirm erschienen zwei Gesichter: eine kleine grauhaarige alte Dame mit rosigen runzligen Wangen und ein junger Bursche in abgerissener Lederjacke, das Haar zur Hälfte abrasiert, die andere Hälfte festlich grün und rot gefärbt und mit Silberkonfetti überstreut. Im Gesicht eine rote Gumminase und auf dem Kopf ein Geweih aus Plastik. »Hey, Freeps, wie läuft’s?«

      »Guten Morgen allerseits«, sagte die kleine alte Dame. »Und willkommen zu den Morgennachrichten mit Ursula Venus Milton und dem unverfrorenen Sammy Savage.«

      »Willst du mitgucken?« Dusty legte Thomas den Arm um den Hals. »Nur um der alten Zeiten willen?«

      Er grummelte irgendetwas über ineffiziente Nutzung verfügbarer Zeit, folgte ihr aber rüber zur abschilfernden Vinylcouch und fläzte sich neben ihr hin.

      »Überall im Land«, sagte Nachrichtensprecherin Ursula, »feiern Millionen Amerikaner diesen letzten Weihnachtstag des 20. Jahrhunderts. Hier in der Free Zone sind wir zu vernünftig, einem abergläubischen Ritus zu folgen, den multinationale Konzerne der Kirche gestohlen haben, um einen Markt für schäbige Konsumgüter zu schaffen.« Die ganze Zeit über geriet ihr strahlendes Lächeln nie ins Wanken.

      »Scheiß drauf, da hast du recht.« Sammy riss Nase und Geweih ab und warf sie ins Off. »Dieser Scheißkram.«

      »Gut, Sammy. Sehr ideologisch korrekt.«

      »Kommen da wirklich mal irgendwelche Nachrichten?«, beschwerte sich Thomas.

      »Gib ihnen eine Chance«, wies ihn Dusty zurecht. »Sie müssen doch erst durch ihre Routine durch. Das wird von ihnen erwartet.«

      Der unverfrorene Sammy setzte eine riesige Hornbrille auf. Er griff sich ein fleckiges Blatt Typoskript. »Okay, kommen wir also zum ernsthaften Scheiß. Im Rahmen eines Benefizdinners gestern Abend, an dem Hunderte Prominente aus dem Showbiz teilnahmen, gab Clarence Whitfield, der Bürgermeister von Los Angeles, den Abschluss eines neuen Vertrags und eines Handelsabkommens bekannt, die, wie er versprach, den Guerillakrieg zwischen L. A. und der Republik Beverly Hills beenden würden.«

      »Dem Zeitplan voraus«, bemerkte Thomas. »Der gerissene Schweinehund.«

      »Gleichzeitig hatten wir hier in Freep Town die Weihnachtsparade«, fuhr Sammy fort, »von der ich Bilder hätte machen sollen, ich hatte aber zu viel intus, und da hab ich die Kamera kaputt gemacht.«

      »Jetzt eine Meldung zur Aufheiterung«, schaltete sich Ursula ein. »Gestern Abend durchbrachen die Videostars Rickie Revell und Lizzie Beaumont in einem roten Ferrari die Grenze der Free Zone, und zwar an der Absperrung Alvarado Street. Bei ihrem Versuch, der Verfolgung durch die Hell’s-Angels-Grenzwächter zu entkommen, verursachten sie einen Streifschaden an Billy’s Bettengeschäft, das gegenwärtig als Sexclub für ungehobelte Schwarze betrieben wird – wie, äh, einige von euch wissen könnten, glaube ich.« Sie brachte es zustande, peinlich berührt auszusehen.

      »Von den Nutten und ihren Freiern wurde glücklicherweise niemand verletzt«, übernahm Sammy. »Ricky und Lizzy, diese verdammten Idioten, behaupteten, es sei alles nur unglücklich zusammengekommen, weil sie stockbesoffen waren. Unsere Leute hatten aber keinen Bock auf Entschuldigungen, da haben sie ihnen alles ausgezogen, ihnen die Köpfe kahl rasiert, sie rot angemalt und auf dem Harbor Freeway freigelassen.«

      »Ihr Wagen«, brachte Ursula es zu Ende, »wird versteigert, der Erlös kommt den Eremiten im Griffith-Park zugute. Und nun zu einer Empfehlung aus Tante Annies homöopathischer Apotheke, Erfinder und alleiniger Hersteller von Saf-T-Ray, dem UV-Blocker mit extra Vitaminen.«

      Thomas sah Dusty an. »Das wird Ärger geben mit denen von Beverly Hills.«