Frank Goyke

Mörder im Hansaviertel


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den Aufklebern Klaas & Klaas GbR. Auch die Bücher in einem niedrigen, aber breiten Regal sprachen Bände: »Brandschutz«, »Musterbuch Isolierung«, »Fachkunde Holztechnik«, »Türen- und Fensterbau«. Auf dem ziemlich aufgeräumten Schreibtisch am Fenster, aus dem man einen Blick auf die Schliemannstraße und ein gegenüberliegendes Haus hatte, standen mehrere Bände einer juristischen Schriftenreihe: »Öffentliches Baurecht Band I: Bauordnungsrecht«, »Öffentliches Baurecht Band II: Bauordnungsrecht, Nachbarschutz, Rechtsschutz« sowie »Kreditsicherungsrecht« und »Umweltrecht«, vermutlich alles Dinge, die ein Architekt zu berücksichtigen hatte.

      Neben dem Schreibtisch, den Aktenregalen und niedrigen Schränken fanden sich in dem nicht sehr großen Raum eine Couch, auf der mehrere zerwühlte Decken lagen, davor ein runder Glastisch und zwei Stühle aus namenloser Herstellung. Auf diese Weise war eine kleine Sitzecke improvisiert worden, außerdem sah es danach aus, als hätte Michael Klaas in Arbeitspausen ein Nickerchen gemacht. Oder gelesen, denn auf dem Glastisch lag ein Buch. Das große Titelbild zeigte in den Himmel ragende Betontürme, womöglich zwei Silos. Darüber stand in schlichter zweireihiger Schrift: TOWARD A CONCRETE UTOPIA: ARCHITECTURE IN YUGOSLAVIA 1948–1980. Rechts unten war bescheiden ein Signet angebracht: MoMA. Uplegger hatte eine Ahnung, was es bedeutete. Er hatte bereits vor dem Betreten des Hauses Handschuhe übergestreift und konnte sich daher erlauben, das Buch aufzuschlagen. Tatsächlich, so verriet der Klappentext, handelte es sich um das Museum of Modern Art in New York.

      In einer dem Fenster und damit auch dem Schreibtisch gegenüberliegenden Ecke stand ein offener Waffenschrank mit Platz für fünf Gewehre und einem Fach für Munition. Uplegger deutete dorthin.

      Manfred Pentzien verstand die Geste. »Zur Untersuchung beschlagnahmt«, sagte er knapp.

      »Wie viele Waffen hatte er?«, fragte Wendel.

      »Fünf, die mutmaßliche Tatwaffe eingeschlossen. Mehr hätten in den Schrank ja auch nicht gepasst.«

      »Alles Jagdwaffen?«

      »Alles Jagdwaffen«, bestätigte Pentzien. »Also Gewehre. Waidmesser und dergleichen haben wir bisher nicht gefunden, aber wir stehen ja auch erst am Anfang.«

      Die Wände in dem Arbeitszimmer waren ebenfalls mit Kunstwerken geschmückt, die allerdings kleiner ausfielen als im Wohnbereich, was sicher mit der Raumgröße zu tun hatte. Dominierend war jedoch ein sehr sorgfältig gezeichneter Plan für ein Wohngebiet, der an der Wand links vom Schreibtisch hing: Wer an dem Schreibtisch saß, musste nur ein wenig den Kopf wenden, um ihn zu sehen. Auf dem Plan gab es ein Schriftfeld, darauf befand sich der Firmenaufkleber sowie die Beschreibung: Projekt TOI-Rand 1. Planungsstadium Reinentwurf 17 IV 21. Jemand hatte den Plan mit rotem und schwarzem Filzstift so heftig durchgestrichen, dass er an einer Stelle einen Riss von mindestens zehn Zentimetern Länge aufwies.

      Uplegger warf nur einen kurzen Blick auf die gerahmten Zeichnungen, Ölskizzen und Aquarelle, die keineswegs alle abstrakt waren, eher im Gegenteil. Nur bei einer Ölstudie verweilte er etwas länger. Dargestellt war ein Fischerdorf, jedenfalls nahm Uplegger das an; allem Anschein nach ein mediterranes. Es gab eine Signatur: V. Bukovac 09. Der Name sagte dem Kommissar überhaupt nichts. Allerdings hielt er ihn für südosteuropäisch, für kroatisch oder serbisch oder dergleichen. Er wollte ihn schon googeln, hielt es aber dann doch nicht für wichtig genug angesichts der Umstände, unter denen er sich hier befand.

      Viel wichtiger war im Moment der Tresor. Es handelte sich nach der fachkundigen Auskunft ihres Begleiters um einen Wandtresor der Firma Eisenbach mit einem elektronischen Zahlenschloss und doppelwandiger Tür. Sehr groß war er nicht, aber wichtige Unterlagen oder kostbaren Schmuck konnte man schon in ihm aufbewahren. Der Tresor war in die Wand eingemauert, die das Arbeits- vom Nachbarzimmer schied, das nach Auskunft von Manfred Pentzien das Schlafzimmer des Ehepaares war. Anders als in allen Filmen, in denen Wandtresore vorkamen, hatte man ihn nicht hinter einem Bild verborgen, sondern er war für jedermann sichtbar. Vielleicht ließ das darauf schließen, dass Michael Klaas’ Arbeitszimmer für Besucher tabu gewesen war. Wie angekündigt war der Safe leer.

      »Was mich irritiert, ist die Ordnung«, sagte Uplegger. »Es sieht aus, als wäre dieser Raum nicht durchsucht worden.«

      »Das haben wir natürlich auch registriert«, meinte Pentzien. »Ich kann nicht definitiv sagen, dass die Täter nicht im Schreibtisch gewühlt haben, denn darin sah es aus wie bei Hempels unterm Sofa. Könnte natürlich auch die schöpferische Unordnung des Herrn Architekten gewesen sein.«

      »Sind denn alle anderen Räume durchwühlt worden?«, fragte Uplegger noch einmal nach.

      »Alle, sogar die Schränke in Bad und Küche. Nun ist dieses Zimmer das letzte im Obergeschoss nach Schlaf- und Kinderzimmer. Will sagen, nachdem die Täter den Tresor entdeckt und die Zahlenkombination aus den Geschädigten herausgeschnitten hatten«, Pentzien hüstelte, »haben sie vielleicht die Schätze gefunden, auf die sie scharf waren. Warum hätten sie dann noch weitersuchen sollen?«

      »Klingt logisch.«

      »Ihnen, Kollege Uplegger, dürfte aus langjähriger Zusammenarbeit bekannt sein, dass ich nie etwas sage, das nicht logisch ist.« Das hörte sich zwar überheblich an, war aber eher selbstironisch gemeint, denn Pentzien grinste von Ohr zu Ohr.

      »Ihre Logik ist legendär«, bestätigte Uplegger schmunzelnd.

      Der Mann ohne Eigenschaften hatte inzwischen eine Schreibtischschublade und dann noch eine geöffnet und rief: »Die sind ja leer!«

      »Wir haben schon alles sichergestellt. Das meiste ist bereits auf dem Weg ins Labor be-zett-weh zur Auswertung.«

      »Und? Etwas auf den ersten Blick Interessantes?«

      Pentzien hob die Achseln. »Das aus meiner Sicht Interessanteste dürfte die Mappe mit Kontoauszügen und dann das Inventarverzeichnis der Gemälde, Zeichnungen, Stiche und Grafikmappen sein.«

      »Grafikmappen?« Uplegger schaute sich suchend um. Wo sollten hier solche Mappen Platz gefunden haben?

      »Im Homeoffice der Frau. Das ist unten. Aber keinen Schreck kriegen, dort sieht es aus wie nach einem Bombeneinschlag.«

      Jonas Uplegger und der Chef hatten nur einen flüchtigen Blick in das Schlafzimmer und dann in das Zimmer des jüngsten Sohnes geworfen, die beide deutliche Zeichen einer hektischen Durchsuchung aufwiesen. Wendel hatte sich in den Keller begeben, um sich die Opfer und die Tatortsituation anzuschauen, sodass Uplegger nur in Begleitung von Pentzien ins Arbeitszimmer der Frau getreten war. Doch Pentzien hatte ihn mit den Worten »Sie sind ja schon groß« allein gelassen, weil er sich um die Arbeit seiner Leute im Garten kümmern wollte.

      Uplegger hatte sich noch nicht umgesehen, als Barbara hereinkam. Sie hatte von Pentzien erfahren, wo er sich aufhielt, und den dringenden Wunsch geäußert, sich mit ihm auszutauschen. Zunächst blieb sie wie angewurzelt stehen. »Das sieht ja hier noch katastrophaler aus als im Wohnzimmer!«, bemerkte sie. In das hatte sie soeben einen Blick geworfen.

      »Ja. Bis auf das Arbeitszimmer des Mannes wurden alle Räume durchwühlt. Eigentlich kann das nur bedeuten, dass sowohl die Frau als auch der Mann der Folter zunächst standgehalten haben. Wohl sogar lange Zeit, aber irgendwann müssen sie dann doch die Zahlenkombination des Tresors verraten haben.«

      »Der Herr über Pinsel und Pinzette meint, sie hätten bisher keine Einbruchspuren gefunden«, sagte Barbara. »Möglicherweise haben sich die Täter unter einem Vorwand Zugang verschafft. Oder sie waren sogar Bekannte. Im schlimmsten Fall Freunde. Wobei es mit Freundschaften wohl eher mau aussah.« Im selben Moment fiel ihr ein, dass der Verfasser der Studie über Lütten Klein auch Mau hieß, und sie musste schmunzeln.

      »Tja …« Uplegger widmete sich zunächst den Kunstwerken, die die Wände zierten; es waren überwiegend eher abstrakte oder am Expressionismus und Konstruktivismus orientierte Arbeiten, aber auch ein paar Landschaften und sogar ein Porträt: die Kohlezeichnung einer Frau mittleren Alters. Das Ehepaar Klaas hatte sich eine umfangreiche Sammlung zugelegt, über deren Wert er nicht einmal spekulieren konnte. Ob etwas aus der Kollektion gestohlen worden war, entzog sich ebenfalls seiner Kenntnis, allerdings schien