Will Berthold

Hölle am Himmel


Скачать книгу

können. Aber der Mann, von dem eine berühmte US-Journalistin gesagt hatte, er könne länger fliegen als laufen – sein verstorbener Vater war ein Lufthansa-Pionier der ersten Stunde gewesen – erledigte wie immer die Dreckarbeit selbst.

      »Wir haben eine kleine Verspätung, weil Manöver der NATO den Luftraum blockieren«, log er mit dem Charme des geborenen Verführers. »Ich darf Sie zu einem kleinen Frühstück in unsere Cafeteria einladen …«

      Er schaffte den Auszug der Passagiere mühelos.

      Ein VW-Transporter karrte Sprengstoff-Spezialisten heran. Sie begannen, den üppigen Jumbo mit elektronischen Suchgeräten abzutasten. Die Männer arbeiteten stumm und schnell, hatten angespannte Gesichter und wissende Hände, die vor den zurückgelassenen Taschen und Aktenmappen nicht haltmachten.

      Martin Nobis nahm an, daß die Fluggäste in Kürze wieder an ihre Plätze zurückkehren dürften.

      »Können Sie noch eine verspätete Passagierin an Bord nehmen?« fragte jemand von der Flugabfertigung.

      »Von mir aus eine ganze Hammelherde«, knurrte Nobis. »Wenn sie stubenrein ist.«

      2

      Aus geschäftlichen wie persönlichen Gründen hätte sich der Flugkapitän gewählter ausgedrückt, wäre ihm der Name der Nachzüglerin bekannt gewesen, die schon beim Betreten der Abfertigungshalle die verlogene Ruhe an den Schaltern gewittert hatte: eine Verschwörung des Schweigens, um keine Panik aufkommen zu lassen.

      »Oh, Miß Fairday«, überschlug sich der Jet-Air-Vertreter bei der Begrüßung. Obwohl seine Linie mit dem Slogan warb: »Bei uns ist jeder prominent«, führte sie eine Geheimliste besonders bedeutender Persönlichkeiten. VIPs – very important persons, und auf dieser stand die verspätete Passagierin ganz oben.

      »Vielleicht kann ich Sie noch in unseren Jumbo einschleusen«, raunte er der attraktiven Journalistin zu, die gerade den deutschen Bundeskanzler für das amerikanische Fernsehen interviewt hatte.

      Er griff nach ihrem Gepäck; wild die Koffer um sich schleudernd bahnte er sich einen Weg durch das Gewühl, als kämpfte er sich mit einer Machete durch den Urwald, aber Brenda Fairday kam rascher voran. Willig wichen die Passagiere beiseite, und selbst Herren gesetzten Alters drehten sich nach ihr um. Sie ging sicher, mit ausgesprochen melancholischen Schritten. Achtlos, wenn auch ohne Arroganz, ließ sie die bewundernden Blicke hinter sich liegen wie wurmstichige Äpfel, die vom Baum fielen.

      An den Schaltern der Polizei- und Zollkontrolle stauten sich die Menschen. Pedantisch kontrollierten die Beamten heute die Pässe zweimal und das Gepäck dreimal. Man brauchte Brenda nicht erst zu erklären, daß etwas faul war, wenn sie um 7 Uhr 30 noch die Maschine nach New York erreichte, die um 6 Uhr 59 starten sollte.

      Der Mann von der Jet-Air-Intercontinental versuchte, die VIP-Passagierin ohne Kontrolle durchzuschleusen, er verschwendete seine Beredsamkeit an taube Ohren. Die Beamten wollten höflich bleiben, sich aber dabei auch auf keinerlei Risiko einlassen. Seit die Unterwelt den Himmel entdeckt hatte, war die modernste Art zu reisen zu einer der gefährlichsten geworden.

      »Rasch, rasch«, sagte der Mann von der Fluglinie.

      Der Wagen mit Brenda Fairday fuhr Slalom um abgestellte Riesenvögel. Auf einem Welt-Flughafen, auf dem in einem Abstand von 20 bis 30 Sekunden Flugzeuge starten und landen, genügte eine Unterbrechung von einer halben Stunde, um die Abstellplätze zu verstopfen. Bei der Starterlaubnis würden dann die Passagier-Flugzeuge bevorzugt, und der dicke Eierfrachter konnte so lange in der Sonne stehen, bis Küken ausschlüpften.

      Brenda passierte eine DC-10, aus deren Leib kreischende Geräusche kamen.

      »Sie verlangen ihr Frühstück«, sagte der Lotse.

      »Wer?« fragte Brenda zerstreut.

      »Eine ganze Fuhre Affen«, versetzte der Mann lachend.

      Im letzten Moment kam die Amerikanerin an Bord, als Passagierin Nr. 366. Peggy, eine alte Bekannte von einem halben Dutzend Atlantik-Flügen, begrüßte sie mit Handschlag und geleitete sie an ihren Platz.

      Die Stewardessen trugen bereits flache Schuhe. Die schlanken, hochgewachsenen Mädchen stellten sich Fragen, die sie nicht beantworten konnten. Sie schritten den schmalen Gang entlang, als präsentierten sie sich auf einem Laufsteg zur Wahl der Schönheitskönigin. Schon ihr Anblick förderte das Wohlbehagen der Passagiere.

      »Ich habe eine Überraschung für Sie«, sagte die blonde Bordfee.

      Brenda schaute verblüfft auf die neueste Ausgabe des TIME-Magazins. Sie blickte auf die Titelseite wie in einen Spiegel: ein schmales Gesicht, umrahmt von sanftroten Haaren, beherrscht von moosgrünen Augen. Das Foto war kaum retuschiert und hervorragend gedruckt. Sie durfte mit Original und Kopie zufrieden sein.

      »Ladys and Gentlemen«, sagte Peggy in das Bordmikrofon, »wir bedauern die Verspätung. Bei dem hervorragenden Wetter werden wir sie wieder einholen … Inzwischen darf ich Sie mit der Schwimmweste vertraut machen.«

      Man kennt sie in fünf Kontinenten, las Brenda Fairday ihren Steckbrief. Man liest sie in mindestens 16 Sprachen. Sie versteht es, den Zeitungsleser an die Mattscheibe zu locken oder dem Fernsehzuschauer wieder eine Zeitschrift in die Hand zu drücken, je nachdem, in welchem Fach sie sich versucht, las sie und lächelte. In jedem hat sie Erfolg.

      Brenda sah einen Augenblick zu Peggy, die in ihrer Unterweisung fortfuhr:

      »Unsere Boeing 747 ist das wohl sicherste Flugzeug der Welt. Sie fliegt mit einer Reisegeschwindigkeit von 940 Kilometern in der Stunde, und sie kostet über 80 Millionen Mark …«

      Während die anderen Passagiere diese imponierenden Zahlen anhörten, um sie gleich wieder zu vergessen, las Brenda weiter:

      Ihr Gesicht ist eher schön als hübsch. Interessant geschnitten. Ihre natürliche Sinnlichkeit wird durch den Verstand gefiltert. Sie kann tragen, was sie will. Sie wirkt in Jeans genauso attraktiv wie im Cocktailkleid. Sie huldigt nicht der modischen Unsitte, ihre weiblichen Reize in das Schaufenster zu legen, doch sie unterschlägt sie auch nicht.

      Sie arbeitet hart mit dem Einsatz ihres Kopfes, nicht mit den Vorzügen ihres Geschlechts. Sie läßt die Blicke ihrer Bewunderer an sich heran, nicht deren Hände. Sie hat das Glück der Tüchtigen. Nicht sie jagt die Ereignisse, die Sensationen scheinen hinter ihr her zu sein. Die Niederung eines nicht selten verkrampften Gespräches über die Gleichberechtigung der Frau läßt sie unter sich wie ein Falke das Mauseloch. Die Männer träumen von einer solchen Frau – und die Frauen von einem solchen Erfolg …«

      »Wir werden in einer Höhe von über 12000 Metern fliegen«, fuhr die Chefstewardeß Peggy fort. »Und den Nordatlantik in …«

      Aber dieser Erfolg ist teuer bezahlt, überflog Brenda den Text: Miß Fairday gibt ihr Lieblingsalter mit 29 an. Heute ist sie 30 und klug genug, zu wissen, daß sie alle zwölf Monate ein Jahr älter wird. Es muß ihr klar sein, daß sie alles ihrer Karriere opferte. Sie hatte keine Zeit für Dinge, die andere Frauen erfüllen mögen. Entweder sie versteht es, Affären und Romanzen gegenüber der Öffentlichkeit perfekt zu tarnen, oder – was wahrscheinlicher ist – es gibt sie nicht …

      Brenda lehnte sich zurück. Das Heft in ihrer Hand wurde schwer, ihr Lächeln starr. Sie war getroffen und konnte sich nicht dagegen wehren. Dinge, die sie kaum zu denken wagte, wurden hier in einer Zeitschrift mit Millionen-Auflage breitgetreten.

      Mit Männern hatte sie es schwer, weil sie es mit ihnen zu leicht hatte. Aus der großen Zahl ihrer Bekannten tauchten in der Erinnerung Figuren auf; Szenen – kürzere und längere – rollten noch einmal ab.

      Erleichtert stellte Brenda fest, daß ein Gesicht stehen blieb: Martin.

      Zuerst nur ein Kontrast von nachtblauen Augen und schwarzen Haaren; Martin – einer, der mehr dachte als sprach. Nie über Geld, nie über Frauen, nie über Gesundheit, nie über Krieg.

      Sie hatte ihn interviewt, und daraus