deren Vater an den heligen Wassern gefallen ist, besonders gut gehe, und ließ ihre Augen leuchten: »Er wird schon einmal sehen, daß ich keine Giftkröte bin!«
Kapitel Neun
»So geht's zu in St. Peter. Man will nicht mehr für die Hinterlassenen derer einstehen, die im Gemeindewerk gefallen sind. Wie wohl wäre es einem wohlhabenden Bauern angestanden, wenn er Josi zu sich genommen hätte, nicht als Knechtlein, sondern als Sohn, wie der Garde Vroni als Tochter. Lest in den alten Protokollen, wie man für die Kinder derer, die an den heligen Wassern gestürzt sind, stets besonders gut gesorgt hat. Und sie wurden Leute, daß es eine Freude war. Jetzt aber kommt ein neuer Brauch. Auf einen bösen Handel legt man einen bösen Handel, man giebt den Buben rechtschaffener Eltern einem Lumpen. Was wird Josi bei Bälzi? Ein Halunke! Und was hat die Gemeinde davon? Die Schande!«
»Ich hätte ihn auch genommen, der Haushalt Blatter ist immer arbeitsam gewesen.«
»Einen Gotteslohn hätte man dabei verdient. Wahrhaftig, man schämt sich, wenn man denkt, daß der selige Seppi und die selige Fränzi vom Himmel herunter auf die von St. Peter schauen.«
So schwirrte das Gespräch.
Die Gemeinderäte, die ihre Pflicht versäumt hatten, ließen die Köpfe hängen und kratzten sich hinter den Ohren, der Presi aber hielt sich an das Haus voll Fremder und vermied den Verkehr mit den Dörflern.
Er hatte auch seinen Verdruß.
Bälzi, sein Schützling, war mit dem Bergführerberuf auf eine wenig ehrenvolle Art zu Ende gekommen. Ein Gast vermißte sein Taschenmesser, er sah es einige Tage später im Besitze Bälzis, der ihn auf einer kleinen Gletscherwanderung begleitet hatte; der Gast behauptete, sich deutlich zu erinnern, daß er es bei einem Imbiß am Rand des Eises habe liegen lassen. Bälzi hätte es ihm einfach zurückgeben können, aber er wurde frech und verlangte einen Finderlohn. Da kam's zum Bruch, und der Presi hatte die Vorwürfe seiner Gäste, die nichts mehr von Bälzi wissen wollten.
Bald aber war es am Presi, zu lachen.
Bälzi meldete ihm durch seine Aelteste, Josi Blatter sei aus dem Dienst gelaufen, sie hätten zusammen ein Unwort gehabt.
»Nun wird der Bursche kommen und man wird ihm einen neuen Dienst suchen müssen.«
Josi Blatter stellte sich aber weder dem Vormund noch den Behörden. Niemand wußte, wo er war, niemand wurde aus ihm klug.
Das Gerücht verbreitete sich, er treibe sich auf den Alpen umher. Aber wovon lebte er? Die Leute sagten: »Er zieht den Kühen und Ziegen heimlich die Milch aus dem Euter.«
Der Presi höhnte: »Da seht Ihr den Tagedieb, von dem Ihr mit so viel Erbarmen geredet habt. Ich habe den gekannt.«Niemand wagte mehr den Buben zu verteidigen.
Allein die Stimmung im Dorf war auch dem Presi nicht günstig. Manchmal schien es wohl, man würde sich an die Fremden gewöhnen, aber die Gäste, die wieder ins Thal gekommen waren, thaten und redeten so manches, was denen von St. Peter bis auf die Knochen ging.
Da war ein dicker Gast, der wie ein Fäßchen daherkugelte und stets mit den Leuten reden wollte, den sie aber in seiner fremden Mundart nur das dritte Wort verstanden. Als er auf den Feldern um das Dorf die Histen, die Holzgerüste sah, an denen die Bauern im Herbst ihren Roggen zum Ausreifen aufzuhängen pflegen, fragte er spöttisch: »Hat man denn in St. Peter so viel Diebe, Schelme und Mörder, daß man alle die Galgen braucht?«
Nun lief das Wort. Von Scherz und Humor wußten die Dörfler nicht viel, ihr Leben war Arbeit und Andacht. »Wir einen Galgen? – Mörder? – Seit Matthys Jul hat im Glotterthal kein Mensch einen anderen getötet. Und Diebe? – Wer schließt des Nachts die Thüre? kein Haus als der Bären hat ein Schloß mit Schlüssel. Seit Menschengedenken ist kein Diebstahl vorgekommen; die Briefe, die Päcklein und Wertsachen, die es zu besorgen giebt, legt man einfach an den Weg. Hat jemand schon daran gerührt als der Postbote, der sie aufnimmt und nach Hospel trägt? Aber die Fremden wollen uns andere Sitten bringen! Merkt ihr, was für ein neues Leben anfängt? Bälzi hat ein Messer gestohlen, und Josi Blatter ist Aufrührer geworden, es kann schon so kommen, daß wir einen Galgen brauchen.«
»O, der Fremde hat gewiß nur gescherzt.«
»Dann hat er das heilige Brot beleidigt! Wer darf über die Histen, die es reifen, spaßen?«
Bald beleidigte irgend einer die heligen Wasser.
»Man kann nicht schlafen, wenn der Wind thalherauf weht. Das tattert die ganze Nacht. Geben Sie doch der verfluchten Klapperschlange etwas zu fressen, daß das arme Vieh nicht weiter so hungerleidig schättert,« sagte ein anderer.
Die heligen Wasser, an denen so viele wackere Männer zu Tod gefallen sind, die einen Flecken und fünf Dörfer erhalten und ernähren, eine hungerleidige Schlange!
Die von St. Peter bekreuzten sich. »Sünde über Sünde.«
»Und die heilige Religion beleidigen sie!«
Denn durch die Mägde war es bekannt geworden, daß manche Gäste im Bären auch am Freitag Fleisch essen. Der Presi und die Frau Presi gaben es also zu.
»Merkt ihr, wenn wir solche Dinge dulden, so kommt Gottes Züchtigung über uns. Unsere Buben können nicht mehr recht thun – seht Josi Blatter! Und er hat doch so rechtschaffene Eltern gehabt. Hudlig müssen wir durch die neue Zeit zuletzt alle werden.«
Vom Gemeinderat ging die Weisung, jedermann, der Josi Blatter antreffe, möge ihn auffordern, daß er sich der Behörde stelle.
»Josi Blatter, der Rebell,« dann kurzweg »der Rebell«. So sprach man in St. Peter. Sein Umhertreiben erregte Aufsehen und Aergernis. Man war es nicht gewöhnt, daß die jungen Leute sich dem Gehorsam der Behörden, der Kirche und der Dorfschaft entzogen. Dazu gesellte sich die Furcht vor Diebstahl. Aber weder die Sennen, die von den Alpen kamen, noch die Dörfler wußten die Spur einer Entwendung zu melden. Es konnte den Rebellen auch niemand auffordern, zurückzukehren, denn man sah ihn immer nur von ferne, meist an den hohen Felsen über den Alpen, ja viele glaubten, es sei überhaupt ein müßiges Gerede, daß er sich noch in der Gegend aufhalte. Aber heute war es ein Dörfler, morgen einer der kühneren Fremden, die hoch an den Flühen, wo Grünland und Weißland sich scheiden, einen verdächtigen Jungen gesehen haben wollten.
»Wir gehen nicht aus, man weiß nicht, was einem der geheimnisvolle Vagant anthäte!« meinten die Furchtsameren, und unter den ängstlichen Gästen kam St. Peter zum großen Aerger des Presi in den Ruf der Unsicherheit.
Ein Diebstahl – eine Verurteilung – dann wäre Josi Blatter für sein Lebtag im Thal gerichtet und alles zu Ende. Gefängnis nahmen die zu St. Peter furchtbar ernst, es genügten die roten Epauletten eines Landjägers, der alle paar Jahre einmal ins Thal kam, um die Bewohnerschaft in Aufregung zu versetzen.
Gegen Ende des Sommers erwartete der Presi den Rebellen des Diebstahls überführen zu können. Die Sonne schien noch warm, die Glotter aber, deren Wasser stark zurückgegangen war, floß klarer als sonst. Nun glaubte er Anzeichen dafür zu haben, daß aus seiner Fischenz nächtlicherweile Forellen gestohlen würden. Thöni und ein paar Mann legten sich in den Hinterhalt. Um Mitternacht watschelte es in dem Glotterbach, eine Gestalt bückte sich und langte mit den Händen in die Forellenverstecke, man faßte den Dieb – Bälzi!
Ganz St. Peter lachte, daß der Presi seinen ehemaligen Schützling gefangen hatte, sogar mehr, als wenn der Rebell verhaftet worden wäre, denn die Mißgunst gegen den Presi war größer als der Aerger über den unbotmäßigen Jungen.
Am meisten litt Vroni. Ihre letzte Hoffnung, daß Josi wieder auf gute Wege komme, war wie Aprilschnee geschmolzen, der Garde wollte nichts mehr von ihm hören, er war wütend auf sein Mündel. Nicht, weil Josi seinem Meister entlaufen war, das fand er fast selbstverständlich, aber weil er sich seinem Vormund nicht gestellt hatte. Von Zeit zu Zeit fragte er Vroni im Ton des Verhörs, ob ihr Josi noch nie ein Zeichen seiner Anwesenheit gegeben.
Das war's ja eben, was