Ueberlieferungen von St. Peter am meisten Silber enthielt. Ein alter Venediger hatte dabei seinen Schlegel und sein Brecheisen stehen lassen. Damit machte er das Erz los und hatte reiche Ernte. Er häufte den Reichtum für Kaplan Johannes, der wie er selbst den Silbergehalt des Erzes weit überschätzte, und über dem Tagewerk im Dunkel des Berges verfloß die Zeit.
Als aber der Schnee zu schmelzen begann, der Frühling an den sonnigen Berglehnen die ersten Blüten hervorlockte, war Josi so elend zu Mut, daß der Gedanke, eines Tages aufgegriffen zu werden, alle Schrecken verlor. Die Lust, auf die Berge zu steigen, war ihm vergangen. Er war wund am Herzen und an den Füßen.
Oft saß er im Teufelsgarten, kaum verborgen vor denen, die des Weges gingen, ließ die Sonne auf den Rücken scheinen und horchte auf das einförmige Klappern an den Weißen Brettern.
Er dachte an seinen Vater, an das große Unglück, aber er hatte gegen niemand einen Groll mehr, kaum gegen den Presi, ihm war alles gleichgültig.
Warum hatten ihn die Leute nicht in die Glotter springen lassen?
Einmal schlief er an der warmen Sonne ein; da war ihm, er rieche Veilchen, nein, eine Mücke krieche ihm durch den Flaum der Oberlippe, er wollte die Hand erheben, aber sie sank ihm bleiern zurück.
Schon eine Weile betrachtete Binia, die wie einst dem Vater entgegengeritten war, den Schläfer. Zuerst mit mächtigem Erschrecken. Auch sie hatte geglaubt, Josi sei tot. Aber der Sitzende, wenn er auch bleich wie ein Toter war, atmete tief und ruhig. Wie namenlos arm war er in seinen Lumpen und Fetzen, durch die der bloße Körper schimmerte. Zwischen dem Filz der langen Haare floß das wässerige Blut offener Wunden und die Frostbeulen an den bloßen Füßen schwärten. Sie schluchzte vor Mitleid. Aber die Freude, daß sie den toten Josi lebendig fand, war stärker als die Trauer über sein Elend. Als sie ein paar Läuse lustig durch sein Haar spazieren sah, stutzte sie, dann kam mitten aus dem tiefsten Mitleid der Schalk zum Durchbruch, sie strich ihm mit dem Veilchensträußchen, das sie sich gesucht hatte, leicht unter der Nase hin und lächelte, als seine Hand sich regte, aber wieder sank.
Noch einmal wiederholte sie das Spiel. Da schoß er taumelnd auf. Er that einen Schrei: »Binia!« Dann aber maß er sie mit einem finsteren, verächtlichen Blick und wollte gehen.
»Schau mich doch nicht so böse an, Josi,« bettelte sie mit feinem, sanftem Stimmchen, indem sie bis in die dunklen Haare errötete und den Blick wie eine Schuldige senkte.
»Was willst du? Ich habe nichts mit dir zu thun,« erwiderte er mit dunklem Groll.
»O, ich freue mich, daß du noch am Leben bist, Josi, gewiß freue ich mich.«
Das tönte so lieb, so hingebend, daß er nun doch aufhorchte. Er erhob sich und setzte sich in einiger Entfernung von Binia auf einen Stein.
Zu nahe bei ihr wollte er nicht sein. Wie war sie schön geworden in den paar Monaten, da er sie nicht gesehen! Wie ein Engel, dachte er. Die Röte der Hagrose prangte duftig auf ihren Wangen, die großen, dunklen Augen hatten die gleiche Lebhaftigkeit wie früher, und doch war noch etwas hinzugekommen, was früher nicht darin war. Etwas Sanftes, etwas unsäglich Liebes, Trauliches. Wie barmherzig sie ihn ansah. Sein letzter Trotz zerschmolz wie Schnee an der Sonne. Und alles, was Kaplan Johannes Häßliches gesagt hatte, war vor ihrer Reinheit und Schönheit aus seinem Gedächtnis entschwunden. Aber er schämte sich wegen seines Aussehens, er war ganz scheu.
Sie fanden den ungezwungenen Ton von ehemals nicht wieder. »Wie groß ist Josi geworden,« dachte Binia, »er ist ja beinahe ein junger Mann,« und beide sahen sich verlegen an.
»Wie geht es Vroni?« stotterte Josi.
»Ihr geht es gut. Hast du sie nicht am Sonntag hier vorbeireiten sehen?« fragte Binia. »Der Garde, die Gardin, Eusebi und Vroni sind zu einer Taufe nach Hospel geritten. Sie trug die Tracht, das Hütchen mit den langen Seidenbändern und ein buntes, seidenes Brusttuch, dazu Geschmeide wie eine Bauerntochter. Wie unsäglich glücklich wird sie sein, wenn sie hört, daß du lebst!«
»Wie eine Bauerntochter,« dachte Josi. Er aber war arm wie jener Lazarus, von dem einmal der Pfarrer gesprochen hatte.
»Was sprechen die Leute von mir. – Sagen sie, ich sei ein Halunke?« Er lächelte bitter.
Binia schwieg purpurrot.
»O, sage es nur, ich weiß es schon – aber weißt, wer mich dazu gemacht hat?«
Binia senkte den zierlichen Kopf. Nach einer langen Pause hauchte sie kaum hörbar und in zitternder Scham: »Mein Vater.« »Ja, dein Vater!« bestätigte Josi vorwurfsvoll.
Ihr stürzten die Thränen aus den Augen, mit einer raschen Wendung kniete sie vor ihm.
»O Josi! – Josi! – Ich weiß, daß ich an allem schuld bin. Aber – o Josi – wenn du keinen Fetzen auf dem Leib hättest und noch zehnmal mehr Läuse auf dem Kopf, ich liebte dich doch!«
Ihre molligen kleinen Hände umspannten seine ausgemergelten Finger, sie sah ihn so rührend demütig an und ihre Stimme bebte wie ein Glöckchen: »Ich habe ohne Absicht über dich gelogen – ich war so krank – aber ich will gewiß alles an dir gut machen, Josi!«
Ihre Lippen berührten seine Hände, ihre Thränen liefen durch seine Finger, er wollte reden, aber er schluchzte nur: »Bini – Bini, wie lieb bist du mit mir.« Der wunderbare erste Gruß aus einer Welt, die er verloren hatte, ging über seine Kräfte.
Da verzerrte sich Binias Gesicht: »Va –«
Ein Peitschenhieb sauste durch die Luft – das Blut strömte über die Wangen Josis.
Vor den beiden stand furchtbar der Presi. Sie hatten das Kommen seines Wagens überhört, er hatte das Vorspanntier ohne Hüterin getroffen und Binia gesucht.
Einen Augenblick waltete die Ruhe grenzenloser Ueberraschung.
Binia starrte entgeistert auf das blutüberströmte Haupt Josis. Da riß sie der Presi hinweg.
Kapitel Zehn
Was man in St. Peter erlebte!
Vor einigen Tagen war es gewesen. Da hatte der Pfarrer, der zwischen Tag und Nacht von Hospel kam, im Teufelsgarten ein unheimliches Stöhnen gehört. Er war ihm als Diener des Herrn, der den Satan nicht zu fürchten hat, nachgegangen und hatte Josi Blatter, den Rebellen, gefunden, den man verhungert und erfroren glaubte. Er hatte Anzeige beim Garden, dem Vormund des Burschen, gemacht, und dieser den schwerkranken, blutrünstigen Jungen, der vor Entkräftung nicht mehr gehen konnte, mit einem Wägelchen in seine Wohnung geholt.
Und gestern war ein neues Ereignis gekommen. Der Presi hatte, ohne daß er vorher mit einem Menschen davon gesprochen hätte, fast heimlich und über Nacht Binia aus dem Dorf fortgeschafft. Wohin? – Die Bärenwirtin erzählte den Dörflern, die es hören wollten, sie sei in eine Erziehungsanstalt verreist, wo sie die fremden Sprachen lerne, die man im Verkehr mit den Sommerfrischlern brauche.
»Es ist aber doch seltsam,« sagten die Leute, und sie ergingen sich in allerlei Mutmaßungen, doch ohne die Ursache der plötzlichen Reise zu ergründen. Und heute hatte der Gemeinderat einstimmig beschlossen, daß Kaplan Johannes den Gemeindebann verlassen müsse, da er einem minderjährigen jungen Menschen Unterschlauf gegeben und in der Auflehnung gegen die Behörden unterstützt habe.
Der Pfaffe schlug ein lautes Gejammer an und eilte in alle Häuser, wo er auf Gehör rechnen konnte. »O, der meineidige Rebell. Wem als mir hat es St. Peter zu danken, daß das Dorf noch steht. Ich schwöre es, er hat es an allen vier Ecken anzünden wollen, nur mit den höchsten Formeln habe ich ihm die Hände binden können. Aber wißt, wißt: Durch den Rebellen Josi Blatter wird früher oder später ein Unglück, wie noch keines erlebt worden ist, über das Glotterthal kommen. Ein Alraun hat es mir im Spiegel gezeigt: Die Kirchhofkreuze hat man in St. Peter ausgerissen und die ganze Gemeinde hat geschrieen: ›Laßt uns den Uebelthäter erschlagen!‹ Und der Bären lag in Schutt und Asche.«
Die Zähne der Weiber klapperten, doch