Der Presi, der sich selber zürnte, daß er Johannes zu lange hatte gewähren lassen, schickte kurzerhand ein paar Mann nach dem Schmelzwerk, die das Gerümpel des Kaplans aus der Ruine warfen und sie so weit abbrachen, daß sie sich nicht mehr zur bescheidensten Wohnstätte eignete.
Dafür war besonders der Pfarrer dem Presi dankbar – jetzt, in alten Tagen, konnte er ungestört das Wort Gottes säen, der böse Feind, der immer das Unkraut des Aberglaubens dazwischen gestreut hatte, war vertrieben. Zum Dank dafür richtete der alte Priester, der es sonst für klüger hielt, sich nicht unmittelbar in die Angelegenheit der Bauern zu mischen, am Sonntag ein kräftiges Wort an seine Herde und bat darin, daß man sich des wiedergefundenen Josi Blatter, der in aller Verirrung nichts Böses gethan, in Liebe erbarme.
Die einen hingen nun an Kaplan Johannes, die anderen am Pfarrer.
Inzwischen genas Josi.
Eines Tages spürte er das Gesicht Vronis über sich und er hatte einen wunderschönen Traum: Er, Vroni, die Mutter und Binia saßen auf dem Felsen über dem Haus, sie sangen: »Du armer Knabe, schlaf am Meere,« und die goldenen Schwingen der Abendluft brachten ein leises Echo von den Bergen zurück. Plötzlich aber fing es an zu regnen, die heiße Erde kühlte sich, die Blumen erhoben die Häupter, die ganze Welt trank das köstliche Naß. Der Regen kam aber nicht vom Himmel, es waren Thränen Vronis!
Ja, sie fielen auf seine Wange. Er erwachte, sah Vroni, lächelte, dann fielen ihm die Augen müde wieder zu und er träumte weiter.
Als ein wackerer Mann hatte sich der Garde des verlorenen Sohnes erbarmt, der wiedergefunden war. Er schlachtete zwar kein Kalb zu seinen Ehren, aber er beruhigte die Gardin, die über den unerwarteten Familienzuwachs ungehalten war.
»Hätte Fränzi zehn Kinder gehabt, ich glaube, du würdest mir alle zehn an den Tisch bringen – sind wir eigentlich das Waisenhaus von St. Peter?«
Sie war kein unbarmherziges, sondern ein zu Wohlthaten für andere geneigtes Weib, das keinen Vorwurf der Härte auf sich kommen ließ, aber Josi litt sie nicht wohl. Seit man ihn gereinigt und ihm das Haar geschnitten hatte, war er in aller Verelendung, mit seinem blutroten vernarbenden Riß über die Wange, der hübschere Bursche als Eusebi. Und doch hätte sie auf der Welt nichts Lieberes gehabt als einen eigenen schönen Sohn, als ein ganzes Haus voll schmucker Kinder, Knaben und Mädchen. Heimlich neidete sie nicht nur alle Frauen, die hübsche Kinder besaßen, sondern auch der Anblick fremder schöner Jugend bereitete ihr Herzeleid.
»Aber Frau, siehst du nicht, wie Eusebi wächst und erwacht? Nimm den Segen nicht mit unchristlicher Rede von ihm. Ich habe eine Hoffnung, die ist so groß, daß ich sie nicht verraten darf,« mahnte der Garde.
»Thun wir nicht genug an Vroni?« fragte die Frau.
»Was genug ist, weiß der Herrgott – ich meine, bis er wieder ganz gesund ist, bleibt der arme Bursche da.«
Murrend fügte sich die stolze Gardin.
Vor dem Haus saß Josi auf dem Dengelstein, er sonnte die sich kräftigenden Glieder und ein unsägliches Glück summte in seinem Kopf. Der Garde hatte sehr ernst und väterlich mit ihm geredet. Alles hatte er ihm bekennen müssen, was er das Jahr lang als Rebell erlebt hatte. Dann hatte er ihm in die Hand versprochen, daß er sein Leben lang nie mehr mit Kaplan Johannes verkehre und dem Presi nichts nachtragen wolle.
»Nein – nein,« versicherte Josi, er war ja überglücklich, daß er durch den Streich des Presi wieder unter die rechten Menschen gekommen war.
So viel war der grausame Hieb schon wert.
Da schlarpte der letzköpfige Pfaffe heran und redete dem Burschen, der in einem hübschen Kleid aus einem alten Sonntagsgewand des Garden steckte, schmeichelnd zu: »Du liebes Söhnchen, komme mit mir – bei Fegunden baue ich eine Einsiedelei – du bist es mir für den Winter schuldig, daß du mir sommersüber Krystalle suchst. Im Herbst will ich dich loslassen.«
»Gebt Euch keine Mühe, Johannes, mit Euch bin ich fertig,« erwiderte Josi, den Blick verachtungsvoll von seinem Peiniger wendend.
Da wütete der Schwarze gräßlich: »O du räudiges Schaf – du Lügner – du teuflischer Judas. – Deinetwegen werde ich aus St. Peter vertrieben – Du Satansaas! – du vom Teufel Gezeichneter – du ekliger Dämon! – ich weiß es, du liebst den Balg des Presi noch, aber auf des Teufels Großmutter reite ich, wenn ihr die Hände nacheinander streckt, zwischen euch; meine weiße Seele werfe ich dafür hin, daß ihr nie zusammenkommt.«
Josi lächelte über die Ohnmacht des Tobenden: »Thut, so wüst Ihr wollt, ich glaube nicht an Eure schwarze Kunst.«
Mit entsetzlichen Flüchen ging der Kaplan. Josi lächelte immer noch verträumt in sich hinein. In die Schläfrigkeit der Genesung gaukelten die lieblichsten Bilder: Binia und Vroni! – Vroni und Binia! Es war ihm, als habe die Begegnung mit Binia im Teufelsgarten allen seinen Gedanken eine andere Richtung gegeben, sein Wesen mit Licht übergossen. Wie ein Engel war sie in den dunklen Kreis seines Elends getreten, er schämte sich, daß er sie so viele Jahre in seinem Herzen nie anders als die »Giftkröte« genannt hatte. Er sann allerlei schöne Namen aus für sie. Glich sie nicht jenem leuchtenden Krystall, den man Tautropfen nennt?
»Tautröpfchen, Tautröpfchen, du liebes, wo bist du jetzt?«
In seiner Brust brannte das Mitleid mit der, die seinetwegen aus dem Thale hatte gehen müssen.
Der Garde hatte ihn zwar eindringlich gemahnt, daß er sich jeden Gedanken an Binia aus dem Kopf schlage, das sei überspanntes Zeug, aber ihm klang es immer in den Ohren: »Wenn du keinen Fetzen auf dem Leib hättest und noch zehnmal mehr Läuse auf dem Kopf – o Josi – ich liebte dich doch.« Das rauschte wie Orgelton durch seine Sinne; wenn es auch der Garde nicht ausdrücklich gewünscht hätte, so hätte er es schon um Binia gethan: er sagte keinem Menschen, woher der häßliche rote Strich auf seiner Wange kam.
Dafür mußte er es freilich dulden, daß ihn jeder, der des Weges ging, mit neugieriger Scheu betrachtete und die Leute von St. Peter es einander zuraunten: »Seht, der Kaplan Johannes hat doch recht, der Teufel hat den Rebellen gezeichnet, damit er ihn kennt, wenn er ihn holen kann.«
Die Geschichte machte dem Garden schwerer als Josi selbst. Mit gelassener Ruhe suchte er für den Burschen bei rechtschaffenen Leuten einen neuen Dienst, erhielt aber überall ausweichenden Bescheid: »Ja, als er zu Bälzi kam, hätten wir ihn auch genommen, aber jetzt – man weiß nicht, was er in dem Jahr aufgelesen hat und einem ins Haus bringen würde. Und hat er nicht St. Peter anzünden wollen?«
Doch forderte wenigstens niemand mehr, daß man ihn ins Gefängnis werfe. Den breiten, schwerfälligen Garden aber hielt das Dorf für einen gutmütigen Narren.
Der obdachlos gewordene Kaplan Johannes ging erst aus der Gemeinde, als man ihn bei knappstem Futter einige Tage eingesperrt hatte. Sein Abschied waren gräßliche Flüche auf den Presi: »Holt der Satan nicht ihn,« schwor er mit rollenden Augen, »so holt er sein Kind.«
Der Presi hatte aber genug Arbeit mit den Fremden, die wieder nach St. Peter kamen und mit fröhlichem Lachen durch das Bergthal schweiften – Schweizer, Deutsche, Franzosen und – der erste Engländer. Auf diesen war er besonders stolz, erst die Engländer gaben seiner Meinung nach einer Sommerfrische die Vornehmheit, die man sich wünschte.
Ein Lord war nun freilich George Lemmy nicht, aber – was fast ebensoviel bedeutete – ein Ingenieur der britischen Regierung in Indien.
Er war bergsteigermäßig gekleidet, trug Nagelschuhe, grünwollene Strümpfe mit gewürfeltem Muster, graue Kniehosen, graue Jacke und grünen Filz. Er war ein Dreißiger mit blondem, kurzgeschnittenem, zugespitztem Bart, gelblichem, ausgemergeltem Gesicht, prachtvollen Zähnen, ein Mann von beinahe schwächlichem Körperbau, aber von überraschender Energie des grauen Auges und der Haltung. Er wußte immer genau, was er wollte, und setzte es mit einer gewissen Schärfe durch. Und als der Presi die wissenschaftlichen Apparate sah, die sich Georg Lemmy nachführen ließ, galt es ihm für ausgemacht, daß er ein Besonderer sei.
»Nun, Herr Bärenwirt, hätte ich gern