Betonung.
Der Presi stellte ihm den lustigen Thöni Grieg zur Verfügung. George Lemmy pfiff eine Melodie vor sich her und maß den Burschen mit einem scharfen Blick: »Well, ich will ihn prüfen!« Aber am dritten Tag kam er wieder: »Ich mag Thöni nicht, er schwatzt mir zu viel, er ist eingebildet wie ein Hahn und schwindelt, daß die ganze Geographie dieser Gegend ins Wanken kommt.«.
Da machte der Presi ein langes Gesicht: Was verstand der frisch angekommene Engländer von der Gegend? Er wagte einige Einwendungen, man sei mit Thöni bis jetzt immer zufrieden gewesen, der Ingenieur aber schlug seine Karten auf und erklärte dem Presi die Aufschneidereien Thönis mit Heftigkeit.
Der Presi stand und that so, als ob er auch etwas von den Karten verstände, und seufzte verlegen.
»Ich will mir selbst einen Mann suchen.« Damit klappte der Ingenieur die Karten zusammen. Er hatte sich beim Presi in einen großen Respekt gesetzt, Thöni aber, der sonst so aufgeblasene junge Herr, schlich herum wie ein gezüchtigter Hund. Er wußte es schon, wie oft er die Fremden mit den tollsten Angaben beschwindelt hatte. Jetzt war er an den Unrechten geraten. Und der Presi sah's kommen: Sein erster Engländer fand in St. Peter keinen, der mit ihm ging – er reiste wieder ab.
Nein, nach einer Stunde kehrte der Ingenieur zurück, pfiff vor sich her und lachte befriedigt: »Ich habe ihn schon – habe ihn schon« – und rief Josi Blatter, der etwas zögerte, vor dem Presi zu erscheinen, lustig zu: »Komm, zeige dich, Boy!«
»Teufel auch,« knirschte der Bärenwirt leis, und als er die rote Narbe auf der Wange des Burschen sah, ging ihm doch ein Stich durch die Brust.
»Josi, ist der Garde auch einverstanden, daß Ihr Bergführer werdet?«
Josi war über zweierlei verwundert, über den freundlichen Ton, den der Presi anschlug, und darüber, daß er ihn mit »Ihr« anredete. Er stotterte es beinahe: »Ja, ich finde halt sonst nichts zu thun.«
So war's! Mit schwerem Herzen hatte der Garde, als die Augen des Jungen hoffnungsvoll aufflammten, eingewilligt, daß er mit dem Fremden gehe. Nur aus bitterer Verlegenheit, nur weil sich niemand des Burschen annehmen wollte, weil die Gardin stets über den ungebetenen Kostgänger murrte, obgleich der kaum Wiedergenesene überall tüchtig zugriff, wo er etwas zu thun sah.
»Was denkt das Dorf? – Wohl, er, er, der Garde, helfe mit am Hudligwerden!«
Als der Presi den Bescheid des Garden hörte, lächelte er sonderbar befriedigt, aber Josis Gesicht verfinsterte sich, er erriet, was sein Gegner dachte, und der Engländer mit den stechend klugen Augen merkte, daß die beiden übers Kreuz standen. Lustig sagte er: »Bitte, besorgen Sie meinem Boy ein Nest, er kann, wo er bis jetzt gewohnt hat, nicht bleiben. Haben Sie im Bären einen Schlupf für ihn?«
Das war nun dem Presi doch zu viel. Er ging zu den armen Leuten, die in Josis Vaterhaus wohnten, und mietete dort für den Burschen das Dachkämmerchen, in dem er zu Lebzeiten seiner Eltern geschlafen hatte. Ein saurer Gang, aber der Presi wollte es mit dem Garden, der das Häuschen und den Acker verwaltete, nicht ganz verderben und der grollte ihm wegen Josi schwer.
Als er zurückkam, meinte Thöni eifersüchtig: »Ihr werdet es doch nicht zugeben, daß der Rebell Führer wird!«
Da schnauzte ihn der Presi an: »Ich glaube, daß der eher auf einen grünen Zweig kommt als du.«
Thöni hatte seine Schwächen. Das wußten nicht nur der Bärenwirt und seine Frau, sondern bald auch die Gäste. Die Damen, die in der Sommerfrische waren, trieben häufig ihren heimlichen Ulk mit dem fröhlichen Jungen, indem sie seine kleinstädtische Galanterie herausforderten und dann mit ihrem Spott über ihn fielen.
Das brachte den Wirtsleuten manchen stillen Aerger und oft donnerte der Presi: »Herrgott, Thöni, so ziehe doch einmal die Bubenschuhe aus. Du bist ja der Narr aller.«
Dann stellte sich der schöne Thöni einige Tage beinahe hochmütig gegen die Fremden, aber er erlag ihren Schelmereien immer wieder.
Jetzt merkte er erst, wie wild der Presi über seinen Mißerfolg bei dem Engländer war, und nachdem er zuerst mit dem größten Hohn auf Josi Blatter gesehen, haßte er ihn. Eines nur ließ ihn den Engländer leicht verschmerzen, die Lasten, die er dem Rebellen zu tragen aufbürdete!
Jeden Morgen erwartete Josi seinen Ingenieur und schleppte ihm die Instrumente, insbesondere den photographischen Apparat, nach. George Lemmy photographierte, indem er dazu fortwährend pfiff. Berge, Häuser, Bäume, Viehgruppen, spielende Kinder. Selten aber sprach er ein überflüssiges oder gar ein freundliches Wort zu seinem Gehilfen, doch gab es in seinem Verkehr so viel Neues zu sehen, daß Josi das Leben überaus kurzweilig erschien. Er lernte die Instrumente handhaben und die Furcht, sein Herr würde ihn eines Tages entlassen, verschwand vor dem beglückenden Gefühl, daß er ihm nützlich sei.
Freilich, hart genug ließ es ihm der Ingenieur werden, doch just, wenn er mit den letzten Kräften noch aushielt, indem er an die guten Vorsätze dachte, die er in der Einsamkeit seines Rebellentums gefaßt hatte, lächelte sein Herr: »Boy, ich glaube, wir arbeiten gut zusammen.«
George Lemmy war einer von denen, die mit sich selbst und anderen erst zufrieden sind, wenn sie von der Mühe des Tages am Abend zusammenbrechen.
Eines Tages drohten ihm die von St. Peter, sie würden ihm die Bildermaschine zusammenschlagen, wenn er sie und ihre Häuser damit nicht unbehelligt ließe; nun war er wütend über die »Pfahlbauern«, wie er sie nannte, und sein Zorn wuchs noch, als der Presi, der »Oberpfahlbauer«, erklärte, er könne ihn nicht schützen, man müsse die von St. Peter nehmen, wie sie seien.
Abreisen! – Allein George Lemmy war verliebt in das Glotterthal und wandte nun seine Aufmerksamkeit den heligen Wassern zu. Ihretwegen war er ja eigentlich ins Thal gewandert.
Er war von Bräggen im Oberland nach Hospel gekommen und hatte dort zufällig ein überraschendes Volksbild erlebt. Ein Ausrufer gab unter Trommelschlag den Leuten, die aus der Kirche strömten, bekannt, daß die Versteigerung eines »Baches« stattfinde. Neugierig schaute er zu, wie sich die Bauern in ihren halbleinenen Hosen und roten Westen sammelten, wie die Frauen, Mädchen und Buben sich in ihren malerischen Trachten an die blumenumsponnene Kirchhofmauer lehnten, auf der Straße der Präsident, der Garde und der Schreiber von Hospel Stellung nahmen und einen von den hundert Fäden, in die sich die heligen Wasser beim Flecken teilen, für den Sommer versteigerten. Sie schlugen ihn dem Meistbietenden zu, der damit das Recht erlangte, den Faden Woche um Woche während drei Tagen zu benutzen. Jedes Angebot malte der Schreiber mit großen Zahlen an ein Scheunenthor, damit jedermann ein klares Bild vom Gang der Steigerung erhalte, und aus dem Eifer, mit dem die Bauern boten, spürte der Ingenieur, wie wichtig ihnen der Besitz des Wassers sei. Bei der Gasttafel sprach er mit dem Kreuzwirt darüber: »Warum versteigert man das Wasser nur für die ersten Tage der Woche?« – »Nach einem alten Gesetz gehört es Donnerstag, Freitag und Samstag jedermann, also den Armen.« Und sie redeten von den heligen Wassern so lange, bis den Ingenieur eine große Neugierde dafür gefaßt hatte.
Jetzt studierte er sie. Er maß und photographierte ihren Einlaß am Gletscher, folgte den Känneln, bestimmte an vielen Stellen zwischen St. Peter und Hospel die Wärme des Wassers, merkte sich die Gefälle, die Wassermengen, die durchflossen, verpfropfte zahlreiche Wasserproben und zeichnete draußen in den Reben von Hospel die geeichten eisernen Schaufeln und Scheiben, mit denen die Winzer die Verteilung des Wassers besorgen.
Josi verstand nicht alles und sah den Zweck nicht für alles ein, was der Ingenieur that, aber er spitzte die Ohren und hörte es gerne, wenn George Lemmy über die heligen Wasser sprach.
Der Engländer forschte nach hundert kleinen Dingen, und wenn ihn die anderen Gäste foppend fragten, ob er denn nicht mehr von der großen Klapperschlange loskomme, antwortete er lachend: »Lassen Sie mich. Sie ist ein merkwürdiges Stück Bauerngenie, ein Riesenlaboratorium der Natur. Hier meine chemischen Ergebnisse: Die Leitung führt in ihren Wassern jede Woche hundert Zentner Schlamm, darunter zehn Pfund reine Phosphorsäure, sieben Pfund Kali und hundertfünfzehn Pfund Bittererde. Stattliche Düngerfabrik, was? Und der analytischen Wertung entspricht die praktische Erfahrung. Drüben