im Ohr. Mutter! – Mutter! – Hilf mir, daß ich nicht wanke!«
Und ein Wunder geschah! Für viele Wochen gab Thöni Grieg manchmal sein wildes, eifersüchtiges Drängen auf, er schwieg, nur in seinen Augen lag etwas Unerklärliches, etwas wie Haß und Drohung.
Er war nicht mehr der schöne Thöni, der lustige Thöni, er war ein reizbarer, übellauniger Herr mit einem aufgedunsenen rötlichen Gesicht. Sobald der Vater aus dem Haus gegangen war, wurde er nachlässig und grob, er kam alle paar Augenblicke aus der Poststube und schenkte sich Wein ein. Ein paarmal fanden Frau Cresenz oder Binia auch in der Ablage geleerte Flaschen. Und auf ihre Vorhalte grollte er: »Was hat das Weibervolk im Bureau zu thun, was geht euch die Poststube an?«
Binia aber liebte die Post, besonders das Telegraphieren, so viel als möglich besorgte sie mit flinken Fingern die Depeschen selbst.
»Das ist langweilig,« sagte sie vorwurfsvoll, »daß du immer die Schlüssel ziehst. Früher wußte ich alles, was auf der Post ging – hast du so eine Lumpenordnung, daß man nicht mehr hineinsehen darf?«
»Eben, gerade Ordnung habe ich, du Wildkatze,« höhnte er.
»Dann mache doch die Sendungen bereit, die noch liegen!«
»Ich gehe jetzt Revolverschießen,« trotzte er.
»Wozu brauchst du einen Revolver?«
»Er ist für solche, die nach St. Peter kommen, aber nicht hergehören,« lachte er seltsam.
Binia kam ein fürchterlicher Verdacht, aber sie wagte ihn kaum zu denken. »Nein, so bodenlos schlecht ist Thöni doch nicht,« beruhigte sie sich selbst.
Im übrigen schoß er, wenn er ausging, nicht immer mit dem Revolver, sondern saß ebenso häufig im Wirtschäftchen des Glottermüllers oder bei irgend einem hübschen Mädchen.
Frau Cresenz und Binia, Gäste und Dorf sahen es, der schöne Thöni, der lustige Thöni, hatte einen Wurm, die einen sagten im Kopf, die anderen im Leib.
Zuletzt sah es auch der Presi: »Thöni, du gefällst mir nicht mehr – weiß der Kuckuck, was du hast und was mit dir ist.« »Ich meine, man sollte jetzt einmal bauen, das Holz liegt schon lange genug,« gab Thöni mürrisch zurück.
»Natürlich wir bauen jetzt,« antwortete der Presi fest.
Als man den ersten Spatenstich führte, rief er Binia auf seine Stube. Er streifte sie mit forschendem, sorgenvollem Blick; dann hob er an: »Binia, du verlobst dich jetzt mit Thöni, spätestens im Frühjahr heiratet ihr. Ich habe dir Zeit gegeben, eine Wahl nach deinem Sinn zu treffen, du hast sie verwirkt. Jetzt befehle ich dir!«
Binia stand totenblaß; mutlos und verschüchtert wagte sie keinen Widerspruch.
Man baute, aber im schlechtesten Zeichen. Die Werkleute brachten die »Krone« nicht vorwärts. Als hätte Gott selbst einen Zorn darauf, regnete und wetterte es im Glotterthal den ganzen Sommer durch und der Presi eilte in hundert Nöten zwischen dem Bären und der Baustelle hin und her. Zum erstenmal, seit Fremde nach St. Peter kamen, füllte sich der Bären nicht. Und er wünschte das Trüpplein von Sommerfrischlern, das da war, wieder nach Hospel zurück und weiter. »Herr Präsident,« fragten sie Tag um Tag und jede Stunde, »glauben Sie, wir bekommen bald schönes Wetter?« – »Ich weiß es nicht. In hundert Jahren kann der Sommer ja auch im Glotterthal einmal herzlich schlecht sein.« Mit verhaltener Wut sagte er es. Die Maulaffen! Wer litt mehr unter dem schlechten Wetter als er.
Und zum erstenmal waren die Fremden mit dem Bären nicht zufrieden. »Der Herr Präsident ist mürrisch,« klagten sie, »Herr Grieg, der früher so jovial war, unaufmerksam und grob. Frau Cresenz lächelt so seelenlos wie ein Automat. Und Binia, die alpige Rose, hat alle Schelmerei verloren oder dann zuckt sie so heftig und seltsam heraus, daß es wie ein Lachen im Fieber ist.«
Die Freier blieben aus. Nur einer wandte sich noch an sie, ein junger stiller Gelehrter.
Er hatte ihr die paar Blumen gebracht, die trotz dem schlechten Wetter an den Bergen gewachsen waren, aber sonst eine große Zurückhaltung gegen sie beobachtet. Am Abend, bevor er abreiste, erst nahm er ihre Hand: »Fräulein Waldisch – Binia,« sagte er tief bewegt, »diese Hand ist zu klein und zu mollig für Ihr rauhes Bergthal. – Kommen Sie mit mir in die Stadt – ich liebe Sie – werden Sie meine Braut – meine herzliebe Frau.« – – – –
Es war so ein gediegener Mann und redete so warm.
Binia wurde dunkelrot und ihre Hand zitterte: »Herr Doktor!« Sie senkte das Köpfchen. »Ich passe nicht in die Stadt, ich kann ja kaum recht lesen und schreiben und bin ein schlichtes Bergkind.«
Da drang er heiß in sie: »O Binia! für mich ist das genug – ich bin selbst ein einfacher Mann. Was Sie an Wissen nicht haben, das ersetzen Sie mir hundertmal mit Ihrer sonnigen Natürlichkeit, mit Ihrem klugen Auge, mit der Wärme Ihres Gemütes. Ich habe eine liebe alte Mutter daheim – sie ist auch schlicht und kann keine überbildete Tochter brauchen.«
Bei dem Wort »Mutter« begann Vinia zu schluchzen. Eine Mutter! In ihrem Leben noch einmal eine Mutter, Das war ein stürmischer Angriff.
»Die oberflächlichen Leute meinen,« fuhr der junge Mann fort, »Sie seien nur ein überaus gescheites, allerliebstes Naturkind, aber ich will es Ihnen sagen: Sie sind ein großes, liebeheischendes, heißes Herz – und wenn ich Sie verstanden habe, wenn Sie es sind, Binia, so gehen Sie um Ihres eigenen Glücks willen nicht kalt an mir vorbei. Darf ich mit dem Herrn Präsidenten reden?«
Wie die Männerstimme zitterte!
»Nein – nein – Herr Doktor, nein,« erwiderte sie angstvoll, »ich ehre Sie – ich will Ihnen ein Geheimnis verraten – ich bin verlobt.« – –
Da ging der junge Mann in tiefer Trauer. Er schrieb ihr aber später: »Ich weiß, was ich verloren habe. Sie einzige – tausend-, tausendmal Glück!«
Ueber diesen Brief weinte sie bitterlich. Sie wußte es, sie hätte froh werden können mit dem Manne. Und, seine Hand wäre Rettung vor Thöni Grieg gewesen.
Wozu diese wahnsinnige Treue für Josi? Das fünfte Jahr erfüllte sich jetzt bald, daß er fortgegangen war.
Tiefen Kummer bereitete ihr die durch das schlechte Sommerwetter entstandene Stimmung im Dorf.
Wenn man nur mit dem Vater reden, ihn warnen dürfte, aber er ist wie ein Pulverfaß. Man darf nicht an ihm rühren. Alles muß sich vor ihm drücken. Thöni – Frau Cresenz – am meisten sie selbst: »Bini,« donnert er sie an, »Gott's Hagel – ich mache das Wetter nicht, lasse mich mit den Kälbern im Dorf in Ruh'.«
»Binia,« sagten die von St. Peter, »Ihr seid ja lieb und gut, aber wir wollen nichts aus dem Bären, es klebt Unglück daran,« und einige Weiber erklärten es frei heraus: »Kommt uns nicht mehr ins Haus. Wenn Ihr schon so lieb lächeln und reden könnt, mit Euren dunklen Augen seid Ihr doch eine Hexe und der Bären ist das Unglück von St. Peter.« Eine furchtbare Zeit war gekommen. Immer lagen Nebel an den Bergen; wenn die Sonne am Morgen auch ein wenig schien, so donnerten am Nachmittag doch wieder die Gewitter, und wenn sich die Wolken ein wenig lichteten, sah man neue Runsen an den Bergen. Die oberen Alpen wurden spät schneefrei, ehe das Gras gewachsen war, deckte sie schon wieder Schnee, ein früher Reif vernichtete die Ernte und am Glottergrat rückte der Gletscher vor. Die Wildleutlaue rüstete sich!
Not herrschte bei Menschen und Vieh, ein Angstgefühl legte sich über das Dorf, als dürfe es nie mehr auf bessere Zeiten hoffen, und der gräßliche Kaplan Johannes, der wieder von Fegunden heraufgekommen war, verließ St. Peter nicht mehr.
Binia wußte es. Dieser Wahnsinnige lebte fast nur von dem Haß gegen den Vater, der ihn vor Jahren hatte aus der Gemeinde treiben lassen. Er wühlte und hetzte im Dorf mit den dunkelsten Künsten des Aberglaubens. Entsetzlicher noch! Der böse Narr hatte seine Begierde auf sie geworfen. Sie fürchtete ihn wie die Taube den Habicht; seit er ihr letzthin zugerufen: »Jungfer, merkt Ihr, wie mein Korn reif wird?« zitterte sie vor ihm und ahnte schwere Ereignisse.
Gewiß