ich nicht alles schreiben mag. Auch sonst geschieht nichts Gutes in St. Peter. Du hast damit, daß Du auf die Krone gingest, ein großes Unglück angestellt. Kein Frieden, keine Ruhe ist mehr in der Gemeinde! Sei froh, daß Du fort bist! Die Bini hält in vierzehn Tagen Hochzeit mit Thöni Grieg. Wer hätte gedacht, daß sie den Fötzel nehme! Aber der Presi hat es halt wollen. Und das Vroneli hat noch am Tag, wo es gestorben ist, gesagt, es sei ihm recht, daß es die Hochzeit nicht mehr erlebe, es hätte keine Freude daran wegen Dir. Es hat Dich noch tausendmal grüßen lassen. Du sollst für die Selige beten. Lebe wohl, Josi, und tröste Dich! Auf Wiedersehen kann ich nicht sagen, denn Du wirst jetzt wohl nie mehr nach St. Peter kommen. Hans Zuensteinen, Garde.«
Vroni schaudert vor Entsetzen. Der Garde läuft wütend hin und her: »Merkst du nicht, wer den Brief geschrieben hat, Vroni?« Er nimmt ihn wieder. »Gerade meine Buchstaben sind es im Anfang, aber zuletzt sind es andere.« Er wühlt mit zitternden Händen im Buffert. »Da ist noch etwas Geschriebenes von Thöni Grieg. – Da schau, schau! – Da am Ende hat es von seinen Buchstaben – du unseliger Hund! – Thöni, du unseliger Hund. – Und du nennst dich nur Fötzel – und bist so ein Schuft!«
Josi schluchzt: »Ich habe nicht auf die Buchstaben gesehen, mich hat der Brief halt gerade so angetönt, als ob er von Euch wäre – ich habe so viele Thränen darauf vergossen. Thöni – das hast du mir gethan! – Und Bini ist gewiß auch nicht sein Weib.«
Da öffnet sich die Thüre ein wenig, man hört draußen Eusebis gedämpfte Stimme. »Schau nur schnell, Bini – er ist wirklich und wahrhaftig da – aber zittere nicht so!« Ein Schrei, wie wenn eine Saite sich zerfasert und springt: »Josi!« Binia fällt an der Schwelle nieder, sie stützt gegen die Thüre und diese öffnet sich breit.
Josi macht eine taumelnde Bewegung gegen Binia. »Bineli!« schreit er in seliger Freude, aber er fährt zurück, tonlos stammelt er: »Sie trägt doch einen Ring!« Er ruft: »Geh fort, Bini, geh fort – ich halte es nicht aus – ich kann dich nicht ansehen – – fort, fort – Frau Thöni Grieg!«
Eine Welt voll Elend liegt in den abgerissenen Worten. Vroni müht sich um die Gestürzte und begleitet sie aus dem Haus.
Der Garde nimmt Eusebi beim Rockärmel: »Wie hast du auch Bini hereinbringen können,« knurrt er wild.
»Wir haben Sägeträmmel in der Glotter geflößt, da kommt ein Bub Bälzis gesprungen: ›Josi Blatter ist wieder in St. Peter!‹ Ich renne heim, wie ich vor das Haus komme, stehen die Leute da – mitten unter ihnen wie eine arme gestorbene Seele Binia. Sie nimmt meine Hände. ›Ich komme gerade von daheim, ist es wahr, ist Josi da?‹ Ein Stein hätte sich ihrer erbarmen müssen. Und gebettelt hat sie: ›Laß mich nur durch die Thürspalte lugen wie er jetzt ist.‹ Ihr hättet auch nicht widerstehen können, Vater!«
Der Garde knurrt wieder etwas, Eusebi hört es nicht mehr. Er hat sich zu Josi gewandt: »Josi – Schwager – lieber Schwager.«
»Ja so – du bist es, Eusebi!« stammelt Josi. »Dich habe ich nicht gleich wieder erkannt. Was bist auch für ein Mann geworden – und ich habe dich immer noch im Gedächtnis gehabt, wie du so ein blöder Bub gewesen bist!« »Schwager!« wiederholt Eusebi.
»Wie rufst du mir! – ›Schwager?‹ – das ist eine spaßige Welt.«
»Du weißt noch nicht, daß Vroneli meine Frau ist – meine liebe, herzige Frau.«
»Eusebi, was sagst – Vroni, deine Frau!« Josi stürzt von einer Ueberraschung in die andere.
»Und du weißt noch nicht,« sagt Eusebi, »daß wir ein so liebes, herziges Kind haben, komm und beschau's!«
Der Glückliche zieht den von allem Neuen auf den Kopf geschlagenen Josi in die Nebenstube: »Siehst, da liegt es und schläft und weiß nicht, daß du gekommen bist. Es ist jährig, und weil es gesund ist, so schläft es bei allem Lärm.«
»Wie heißt es?« fragt Josi.
»Joseli heißt es wie du und dir zu Ehren.«
»Joseli heißt es und mir zu Ehren,« wiederholt er wie in tiefem Traum.
Der Kleine in seinem Bettchen wimmert, erwacht; wie er den Vater sieht, streckt er lachend die Aermchen, und Eusebi nimmt den Kleinen liebkosend auf den Arm: »Joseli!«
»Schwager!« sagt er, »wie mich das freut – wie mich das freut, daß du wiedergekommen bist. Vroni hat so viel getrauert um dich, jetzt mein' ich, ist sie dann erst recht glücklich mit mir, weißt, das ist eine Frau, wie die Fränzi selig, wie deine Mutter – o so himmelgut.«
Wie die beiden Männer wieder in die Wohnstube treten, ist Vroni, die junge Frau, eben von der Begleitung Binias zurückgekehrt und auf einen Stuhl gesunken. Mit gefalteten Händen spricht sie: »Bini ist heimgegangen – aber was jetzt geschieht, weiß Gott!«
Da kommt die Gardin mit den Knechten und Vroni ist glücklich, wie die Mutter Josi herzlich begegnet: »Tausend, was für ein schöner Mann Ihr seid! Einen so braunen Bart! So freie Augen! Hochgewachsen und stark. Und die häßliche Narbe sieht man nicht mehr.« Sie schüttete einen ganzen Korb voll neugieriger Fragen vor ihm aus.
Der Garde sagt aber ernst: »Ich gehe noch ins Dorf, es muß in der ersten Frühe ein zuverlässiger Bote nach Hospel auf die Post! Schweigt zunächst über die Briefe, St. Peter ist schon halb toll, wird noch das Verbrechen Thönis bekannt, so haben wir den offenen Aufruhr gegen den Bären.« Er geht und die unaufschiebbaren Abendarbeiten, welche Eusebi und die Gardin in Anspruch nehmen, fügen es, daß die Geschwister allein sind.
Leise sänftigen sich die Wogen des überraschenden Wiedersehens.
Josi sitzt am Tisch und weint still vor sich hin. Der Sturm hat ihn überwältigt.
Da streichelt ihn Vroni und fragt: »Wie hast auch den Heimweg wieder gefunden, Josi, nach mehr als fünf Jahren?«
Mit geröteten Augen schaut er auf: »Ich will es dir nur bekennen,« erzählt er, »ich wäre nicht wieder gekommen, hätte mich Felix Indergand nicht mit Gewalt zurückgeschleppt. Wie zwei Brüder haben wir zusammen gelebt. Wenn ich fast umgekommen bin vor Weh, daß du gestorben seiest, und Binia an mir so schlecht gewesen ist, so hat er manchmal meine Hand genommen und so warm geredet, daß ich ganz tröstlich geworden bin. ›Was willst im fremden Land freudlos leben?‹ sagte der gute Felix, ›kreuzige dich nicht so stark. Untreu' ist schon vielen geschehen.‹ Und wenn ich von dir, Vroni, erzählt habe, sagte er: ›Gerade so ist die Beate, mein liebes Schwesterkind zu Bräggen.‹ Und er meint, ich soll sie um ihre Hand fragen. Er drängte mich. Und nun, Vroni, gab ich ihm ein Versprechen, das mich reut, aber wenn man keinen lieben Menschen auf dieser Welt mehr zu haben meint, thut man einem guten Freunde viel zu Gefallen. Jedes Jahr am Fridolinstag fährt das Mädchen von Bräggen in die Stadt zu seinem alten Oheim, dem Chorherrn Fridolin Indergand, um ihm als Patenkind Glück zu wünschen. Also auch morgen. Und ich muß ohnehin in die Stadt gehen, um nachzusehen, ob mein Geldlein richtig auf die Bank angewiesen worden ist. Da kann ich sie sehen, ohne daß sie vom Plan weiß. Sie muß in Hospel übernachten. Doch ist mir so sonderbar! Ich hätte schon vor drei Tagen in St. Peter sein können, aber ich meinte: ›Nur geschwind beten auf den Gräbern und durch das Dorf laufen‹ – Und, Vroni, um die Beate kümmere ich mich nicht – ich kann nicht – sieh, wer von Bini ein Reiflein hat, der hat keine andere mehr lieb! Immerhin will ich dem Freund das Versprechen halten.«
So berichtete Josi.
»Schon morgen willst du wieder fort, Josi, Herzensbruder? Sei nicht so bitter, glaube mir, Binia hat gräßlich um dich gelitten. Sie ist zu der Verlobung mit Grieg gezwungen worden.« Und in fliegenden Zügen schildert ihm Vroni die Ereignisse der Zeit. »Sie hat gräßlich gelitten um mich.« Tonlos sagt es Josi und weint.
»Daß ich auch so flennen muß,« stammelt er, »es ist ja eine Schande, wenn ein Mann greint, aber ich kann mich nicht wehren – ich flenne vor Freude, weil es dir so gut gegangen ist, Vroni, – wer hätte gedacht, daß Eusebi so ein Mann, wer hätte gedacht, daß wir die nächsten Verwandten des Garden würden – ich flenne, weil dein Kind Joseli heißt – weil ich wieder in St. Peter bin,