doch still,« antwortete sie, »die Bursche bei uns lungern lieber vor den Gasthöfen herum.«
Da stellte sich Josi, wie wenn er Lust hätte, bei ihr als Knecht einzutreten. »Ach, geht,« sagte sie errötend, »so ein gescheiter, schöner Mann wie Ihr, der in Indien Aufseher gewesen ist, wird doch nicht Knecht, das könnte ich gar nicht leiden.«
Und sie sah ihn so sonderbar fröhlich und gütig, mit so viel Achtung an, daß er ganz verwirrt wurde.
»Kommt aber,« sprach sie, »nur sonst bald einmal nach Bräggen, Felix wird eine große Freude haben und Euch alles bieten. Wir lassen Euch dann selbstverständlich ein paar Tage nicht los.«
Sie blinzelte ihn freundlich an, dann sagte sie: »Ja, etwas muß ich Euch noch erzählen. Wie ich gestern mit der Post im Kreuz zu Hospel angekommen bin, saßen zwei Männer von St. Peter da, der Präsident und ein jüngerer Herr, Thöni haben sie ihn genannt. Ich frage sie, ob Ihr schon daheim seid. Da sagt der Präsident: ›Der ist ja gestorben!‹ der jüngere aber wird grün und gelb wie eine Leiche und wiederholt auf spaßige Art: ›Ja, der ist gestorben!‹ Jetzt bin ich eifrig geworden und habe erzählt, was ich von Felix über Euch wußte: wie Ihr, obgleich noch so jung, geachtet und angesehen und Aufseher über mehr als hundert Arbeiter gewesen seid und gute Zeugnisse bekommen habt, worin steht, daß man Euch wieder an einen guten Posten stellen wird, wenn Ihr Euch wieder meldet. Die haben Mund und Augen aufgesperrt, der Präsident hat vor Schlucken nichts sagen können als: ›So – so – – Josi Blatter – so – so!‹ Der jüngere aber hat die Gläser nur so gestürzt. Es war ganz sonderbar. Da hat aber der Kreuzwirt auf einmal gesagt: ›Die Maultiere sind bereit – reitet heim, ihr habt ja eine große Neuigkeit zu bringen.‹« »So lieb habt Ihr von mir geredet,« dankte Josi, seine Wangen glühten, er versprach den Besuch zu Bräggen und nahm ihre Hand. »Ihr seid so ein artiges Mädchen!«
»Ihr gefallt mir auch gut – ich bin sonst nicht von der Art, daß einer nur meine Hand nehmen darf, sondern recht wählerisch,« lächelte sie.
Da hielt die Postkutsche im letzten Dorf, ein Mann stieg ein, und weil Josi und Beate nichts Gleichgültiges sprechen wollten, so wurden beide still.
Es wäre gewiß ein schöner Traum: Ein freundliches Gut im grünen Oberland, darauf gesegnete Arbeit, das Lachen eines so jungen sonnigen Weibes wie Beate, am Feierabend das Geplauder des liebsten Freundes, der in schweren Jahren genug Proben wankloser Treue abgelegt hat, und dazu den Frieden der Heimat.
Josi weiß es. Aber er ist kaum allein, so bereut er das Versprechen, nach Bräggen zu kommen, bitterlich. Es wäre ein Unrecht an der sonnigen, arglosen Beate, wenn er ihr Liebe heuchelte, während er doch ein anderes Bild im Herzen trägt: Binia, das feurige Herz, die mutvolle Seele. Da giebt es keine Rettung.
Indem er sich Beate vorzustellen sucht, sieht er immer Binia, ihr glänzendes Augenpaar, die frischen Lippen, das rosige Ohr und er geht mit ihr am Gestade von Santa Maria del Lago.
Wie einen Diebstahl an ihr empfindet er jedes gute Wort, das er Beate gegeben hat.
»Felix, ich kann dir nicht helfen!« sagt er für sich, und dann: »Bini! – Bini! – Ich komme, wenn es das Leben kostete, in den Teufelsgarten – ich muß deine dunklen Augen sehen – deinen Ruf ›‹Josi‹ hören. – Dann aber fort, wieder zu George Lemmy nach Indien
– morgen schon fort – trotz Garde, Vroni und Joseli
– fort – fort! ein einsamer heimatloser Mann.
»Wie gern wäre ich für dich an die Weißen Bretter gestiegen, aber – o Bineli – weil du mit Grieg gegangen bist, habe ich den Mut nicht mehr.«
Kapitel Sechzehn
Einen Tag zurück.
Binia ist vom Haus des Garden wieder daheim. Mit verkrampften Händen sitzt sie am Rand des Bettes. Die dunkle Flut ihrer Haare ist ihr zu beiden Seiten niedergeglitten, zwei brennende Augen schauen zwischen den Strähnen hervor. Das Gesicht ist starr und blaß wie ein Steinbildnis, aber im Blick funkelt das Leben, strömt die Leidenschaft. Sie stößt einen Ton hervor, wie ein kleines Kind, das seufzt. Es beben die Lippen: »Er ist gekommen wie ein Held – er ist schön wie ein Held!«
Dann wimmert sie und beißt sich die Fingerknöchel wund. »Wie hat er mich genannt? – Frau Thöni Grieg!« Das Wort brennt sie wie eine Hölle im Herzen! »Es ist nicht wahr. Nein. In Ewigkeit nein. – Ich werde es nicht.«
Sie schleudert den Reifen weit von sich.
Sie wankt zum Schrank, sie nimmt aus einer kleinen bemalten Truhe ein goldenes Kettchen, sie öffnet die Kapsel die daran hängt, und ein Tautropfen glänzt. Sie küßt ihn mit glühenden Lippen und sagt: »Wie ein Tautropfen so frisch, so rein, so sonnenvoll habe ich wollen sein, damit ich dir immer gefalle, Josi.«
Die Stimme erbebt zart und fein. Da merkt sie erst, daß ihr die Haare niedergefallen sind. Sie tritt vor den Spiegel und ordnet sie. Und nun lächelt sie doch. Sie ist wohl blaß und ihre Wänglein sind schmal, aber ihre gewölbte Stirn ist rein – und die Lippen sind rein.
Und sie stammelt: »Das Herz ist rein! – Und er liebt mich noch – ich habe es ihm angesehen – ich will demütig sein gegen ihn – o, so demütig – und wenn er mich nicht mehr will –«
Ein Schrei!
Und nun staunt sie wieder: »Wenn der Vater nicht will, wenn Thöni nicht will. Sie wollen nicht!«
Kämpfen, kämpfen will sie jetzt um Josi bis ans Ende – gegen Thöni – gegen den Vater – gegen die ganze Welt. Nein, um das einzige große Glück ihrer Liebe darf sie sich nicht betrügen lassen.
Und wenn sie Josi fortjagt, so will sie zu ihm hinkriechen und betteln: »Dulde mich bei dir!«
Sie sinnt und nach einer Weile tönt wieder ihr kleiner Schrei.
In den fliegenden Gedanken hat sie etwas Sonderbares gehört und gesehen; die Leute haben gesagt, Josi habe geglaubt, Vroni sei tot. Und auf dem Tisch des Garden lagen zwei Briefe. – Ein alter Verdacht zuckt auf: »Warum hat Thöni die Postschlüssel immer abgezogen?« Ist sie hellseherisch geworden aus langer, unbegreiflicher Blindheit?
»In verbrecherischer Weise hat sich Thöni zwischen mich und Josi gestellt.« Mit einem Schlag hat sie die sichere Ueberzeugung gewonnen.
»Ja, jetzt Kampf!« Ihre Augen flammen auf, alles an ihr lebt und bebt. »Du wirst sehen, Vater, du armer, in einen Verbrecher vernarrter Thor, wie ich Thöni liebe.«
Mit fieberglühendem Köpfchen schwankt sie hinab in die Postablage. Sie hat die Hand am Telegraphenapparat: »Postdirektion. In St. Peter ist ein Postverbrechen geschehen. Ich bitte um Untersuchung. Binia Waldisch.« Da läßt sie die Hand sinken – der Schrecken lähmt sie. Der Vater ist der Posthalter, nicht Thöni. Hat je ein Kind seinen Vater den Gerichten ausgeliefert?
Wie mit Wasser begossen schleicht sie davon. Sie weiß ja nicht einmal, ob ihr brennender Verdacht gerechtfertigt ist. Und nun noch ein furchtbarer Gedanke: »Wenn der Vater in seinem wilden Haß auf Josi der Anstifter der Briefunterschlagungen wäre?«
»Schäme dich, Binia,« flüstert sie, »so ist er nicht. – Unerhörte Gewaltthaten haben dir sein Bild verdunkelt, aber du mußt ihm nur in die Augen sehen, in die lieben und schönen Augen, dann siehst du einen gewaltigen Mann, der sich eher würde zerbrechen lassen, als daß er mit Absicht und wissentlich bei einer Schlechtigkeit mithülfe. – Er ist das Opfer – armer, armer Vater!«
Ehe es Morgen wird, will sie hinter den Geheimnissen Thönis sein.
Sie sieht, wie ihr die Blicke der Frau Cresenz mißtrauisch folgen – sie geht in ihre Kammer – – sie liest den Ring Thönis knirschend auf – aber sie bringt ihn nicht mehr an den Finger – sie läßt ihn in die Tasche gleiten.
»Mutter,« flüstert sie, »jetzt sollte dein armes Kind klug sein wie eine Schlange.«
Sie