den Hof, die sah ihn zu Tod erschrocken an und gehörte keineswegs in die Vergangenheit.
Während Peter mit ihr redete und sich bemühte, im dichten Nebel den Zusammenhang des alten Bauwerks mit der Gegenwart zu ergründen, trat aus den Schleiern des Tages eine schöne schlanke Frau. Sie trug einen dunklen Kleidrock und ein über der Brust mit Goldfäden geschnürtes Ärmelmieder aus braunem Sammet. Es war die Burgfrau selber; sie sah aus wie ein lebendig gewordenes Ahnenbild. Sie gab der kleinen Rundlichen einen Befehl und blickte den Gast fragweis an, als sie mit ihm allein war. Sie kamen gleich in ein fesselndes Gespräch; denn die rundliche Frau mit dem Melkeimer hatte im Stall das Gespenst gesehen mit den feurigen Zähnen …
„Nun,“ sagte die Burgfrau, „es geistert in solch einem Bergnest in allen Ecken. Und wenn sich die Nebel tagelang um das Gemäuer wälzen, gehören in der Tat klare Augen dazu, die simple Wirklichkeit nicht in eine Welt von Geistern zu verdichten.“
Es war zu ebener Erde ein Gelass in einem Rundturm. Dort brannte Feuer im Kamin. Sein Schein lachte zu der offen gebliebenen Tür heraus. Ein Tisch und Stühle mit geschnitzten Lehnen standen darin. Decke und Wände waren wuchtig mit dunkelbraunem Eichenholz getäfelt. Geschlechter hatten sich durch dies Gemach gelebt. Man trat aus dem Burghof hinein.
„Sie suchen Gestorbene,“ begann die schöne Frau, „Ihr Weg hat Sie nicht falsch geführt. Sie suchen eine Ruine. Nun, diese Burg ist zur Hälfte Verfall, zur anderen von Toten bewohnt: man ist hier langsam dem Leben aus den Händen gefallen. Ein Stamm, der an seinem Alter stirbt.“
Schmerzvolles Lächeln machte ihren Mund für einen Augenblick noch trauriger. Unsagbar traurig. „Ich habe einen Sohn, der die Volksschule des Städtchens besucht. Sein Vater ist unter die Goldgräber gegangen — in Kalifornien. Zuvor hat er die Spielhöllen bereist. Nun hausen wir hier oben — der Knabe, ich und die Magd Kathinka. Aussenseiter des Lebens, haben wir keinen Wunsch nach Menschen und ihrer Gesellschaft …“
Damit war Frau von Landroff an die Stelle auf dem Wege gekommen, an der sie einander begegneten. Peter Lebegern erkannte: es war in diesem Haus auf dem Berge das Schicksal zu seiner ganzen brutalen Macht gelangt. So beschloss er, zu bleiben.
„Gnädige Frau,“ sagte er, „gestatten Sie mir, dass ich Ihren Sohn eine Zeitlang als Lehrer und Erzieher in meine Obhut nehme. Lassen Sie mich dafür an Ihrer Tafel speisen und unter Ihrem Dache wohnen.“
Die Burgfrau horchte auf. Der Gedanke, dass ein Mensch ihre Ruinenverlorenheit teilen wolle, befremdete sie. Einen Augenblick schloss sie die Lider. Dann erklärte sie ihr Einverständnis mit dem Gleichmut der Fatalistin.
Die Burgfrau hatte Peter auf seinen Wunsch freigestellt, sich einen Raum auszuwählen zum Wohnen und einen zweiten zum Schlafen nach seinem Belieben. Deshalb begab er sich ungesäumt auf eine Entdeckungsreise, auf der ihn die Magd und Beschliesserin Kathinka führte. Ausser der Kemnate, in der frühere Herrinnen der Burg ihre Schönheit gepflegt hatten und in der nun Maria die Letzte traurig war in ihrer Vereinsamung, war noch ein Schlafraum für Balder von Landroff eingerichtet. Es war ein Trinksaal da mit einer langen Tafel und hohen Stühlen und mit einem Erker. In diesem stand ein Steintisch. Daran sass die Zeit wie der alte Kaiser und liess den Bart durch den Tisch wachsen. Ja. An den Wänden hingen Ahnenbilder — vielleicht — und es hingen dazwischen gedunkelte Trink- und Jagdszenen guter und geringerer Meister. Es waren kahle Wandflächen da, welche besagten, dass hier ein Stück von antikem Werte gewesen und verkauft worden war. Auf Tisch und Estrich, auf Fensterbänken und Lehnen lag Staub. Es war in jüngsten Tagen ein Mensch durch diesen Saal geschritten und hatte mit seinen Füssen eine Spur im Staube gezogen. Ringsum lagen noch einige kleinere Gelasse, zu denen ein paar Stufen hinauf- oder hinabführten. In diesen Gemächern waren Hausgeräte aller Art aufgestapelt oder eingestellt: Tische, Stühle, Sessel, ein Spinnrad, Waffen, Uhren und Ührlein, die — längft verstaubt — die Stunde nicht mehr wiesen, aber die die Zeitalter anzeigten, aus denen sie kamen.
Die Beschliesserin Kathinka erklärte diese Dinge für Gerümpel, an dem sich in den Nächten die Gespenster lustierten.
Peter Lebegern schritt treppauf, treppab. Er kam über eine Steinstiege, über der das Dach hinweggewittert war. Man konnte sehen, wie Sturm, Regen und Frost über diese Stufen wandelten … „und die schwarze Burgfrau,“ beteuerte Kathinka.
Ein Stück weiter — und man gelangte zu einem vorgebauten Auslug. Die Nebel hingen schwer und triefend umher. Aber selbst die Nebel liessen erraten, dass von hier ein weiter und freier Blick ins Land war, sobald die Tage klarten. Es lagen zwei Gemächer in dem Turme, zu dem dieser Ausguck gehörte. Darüber hing die Glocke mit dem sehr schönen Klang.
Peter Lebegern erklärte kurzerhand, er werde hier wohnen und das Glöcklein an jedem Tage zur Zeit des Sonnenuntergangs läuten. Da schlug die böhmische Kathinka ein Kreuz und rief die Heiligen an; denn dieser Turm erschien ihr vor anderen Winkeln der Burg als der Sitz der Gespenster. Aber danach half sie ihm dennoch, aus den Speichern Tisch und Bett herzutragen und was dort zu finden war, die verödeten Turmstuben wohnlich zu machen. — Es gelang am ersten Tage kümmerlich.
Nach dem Nachtmahle sassen Frau von Landroff, Balder und Peter Lebegern drunten um das Kaminfeuer. Kathinka schlief nebenan in der Küche auf einem Schemel am Herd. Sie war seit Jahren nicht dazu zu bewegen, vor der Burgfrau ihr Lager zu suchen. Sie hatte das in dem Baderaum neben der Kemnate aufgeschlagen.
Im Rundturm sass man bis nach Mitternacht. Auch der dreizehnjährige Knabe blieb dabei. Die Burgfrau mochte ihn nicht entbehren in den Abenden, in denen alle Dinge zu reden begannen. Es war dann oft schauerlich einsam und gespenstisch. Und schwer von Leid.
Balder war ein hochaufgeschossener Knabe von bereits jünglinghaftem Aussehen und Behaben. Bleich. Mitternächtig überwacht. Er hatte suchende Augen; allzufrüh war er gewöhnt worden, auszublicken nach Bergen, von denen die Hilfe kommen sollte. Und die Burgfrau hatte ihm die Geschichten aus ruhmreichen Tagen seines Geschlechts erzählt, seit er denken konnte. Er hatte ein stolzes Herz und war von ritterlicher Art. Aber das Leben der geringen Stadt und des Kleinbürgertums kümmerte an ihn heran und kümmerte sich in ihn hinein. So war sein Los: Suchen und Nichtfinden. Die Burgfrau hatte ihm nichts verborgen von dem Niedergang, in dem er aufwuchs. Und nur allzuberedt war sie, wenn es galt, die Vergangenheit Zeugnis ablegen zu lassen wider die verlorene Gegenwart …
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