Thilo Koch

Briefe aus Krähwinkel


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ein gewisses Fräulein weiter ungehindert quer über die Wiese und verdirbt sich den Magen an alten, dürren Disteln. Peng.

      Übrigens habe ich entdeckt, was das Schönste ist an einem Pferd. Rate mal. Es ist rund, groß, weich und warm. Der Bauch, wenn das Fell von der Sonne durchwärmt ist. Ich faß’ das zu gern an und streiche drüber. Und natürlich das rosa Maul, und wenn es prustet durch die Nüstern, Übrigens schnuppert es an einem rum wie ein Hund. Und dieses große dunkle, ruhige Auge in dem langen feinen geäderten Kopf. Wenn man es an der Ohrwurzel krault, hält es ganz still. Und für den schönsten Ton, den es macht, fehlt mir ein Wort. Es ist kein Wiehern. Ich meine ein dunkles brummendes Gluckern tief in seiner Kehle, wenn jemand kommt, wenn es Hafer haben will oder Wasser. Es spricht. Wie spricht das Pferd? So.

      Wundere Dich über diesen komischen Vater. Jawohl, Krähwinkel verbauert mich. Herrlich. Ich werde zwar nie auf diesem, wenn es groß ist, oder einem anderen Pferd, sitzen. Ich mache auch kein Heu — erstens wegen des damit verbundenen Schnupfens, zweitens weil mich das an den sogenannten RAD (Reichsarbeitsdienst) unseligen Angedenkens erinnert. Also meine Ökonomistentauglichkeit ist recht bedingt. Aber für Harzduft, Hügelblau, Wolkenzug, Margeriten, Waldesrauschen, Bachgemurmel, Bussardflug fühle ich mich bereits zuständig. Ich sperre jedenfalls Mund und Nase auf, Aug’ und Ohr, um alles zu empfangen: Natur . . .

      Zugegeben, die Gesellschaft, die menschliche-allzumenschliche, ist mir darüber etwas aus dem Sinn geraten. Nachbarschaftlicher Verkehr — mittels durchVerbrennungsmotor angetriebener Kraftfahrzeuge — hat sich angebahnt, wie Du weißt. Alles gibt partys — man nennt es bundesdeutsch auch in Krähwinkel und in Nachbarorten so; aber piano piano, ich möchte gar nicht in den ersten Wochen schon wissen, wer mit wem, warum und wann und wo — oder gar wie und wieso. (Ist das W nicht ein merkwürdiger, ein des Merkens würdiger Buchstabe? Visuell so verschlungen, verschränkt, wägend — werdend. Phonetisch so fragend anlaufend, aus Urgründen aufsteigend, wissend, sich wundernd — Interrogativpronomen mit W umreißen eigentlich jedmöglichen Tatbestand: wann, wo, wer — that’s what it is; witzigerweise geht’s auch englisch: when, where, who.)

      Aber die O’s, die das ganz flache »abstrakte« Haus am Walde bauen, hatten neulich einen Aprikosen-Geist (Geischt, sagt man ja hier) — da blieb kein Auge trocken. Auch das der höchst liebenswürdigen Frau O. nicht. Ist sie nicht, let’s face it, eine beauty? Außerdem könnte sie in unseren guten alten USA getrost antreten zu einem dieser Wettbewerbe um die am besten angezogene Frau des Jahres. Aber sie sieht nicht nur gut aus, hat nicht nur Geschmack (und das Geld, ihn zu betätigen), es liegt jener Charme, für den wir nur ein Fremdwort haben, über ihrer ganzen Erscheinung, jener scheue Liebreiz, den die deutsche Frau der amerikanischen Frau voraus hat, voraus haben kann.

      Nach einigen Stamperln Aprikosen-Geischt schwindet die Scheu und der Liebe Reiz entfaltet sich reicher. Die bundesdeutsche Oberschicht, so lehrten mich Krähwinkels upper ten, spricht Freund Alkohol gar kräftig zu, und in vorgerückter Stunde — keine US-Party würde je solange dauern — fällt g’schwind auch jede falsche Scham, und jede echte, leider, manchmal hinterdrein.

      Sei’s drum. Aber daß sie dann in ihre vielhundertpferdigen Mercedesse und Porsches wanken, mit ihrer italienischen Akkord-Hupe das werktätig nachtschlafene Krähwinkel wecken und mit »hundert Sachen« um jede Kurve preschen — das, das Tochter, find’ ich, ja wie find’ ich das? Kriminell find ich das.

      Ist er Old-fashioned

      nein, hully-gully habe ich nicht gesehen in Bonn. Auch nicht und madison. Als ich nach locomotion fragte, griff sich ein Boy im Königshof verstohlen an die Stirn. Nur eine glutäugige Telefonistin, die gerade Luft schnappte, lächelte verzehrend, schnippte mit den Fingern und stellte ihr linkes Bein schräg nach außen. Watussi? Ja, nickte man im A. A., die neuen Neger-Republiken Uran-da-Burundi sind uns bekannt, der Bundespräsident wird bei seiner bevorstehenden Ost-Afrika-Reise (Heia Safari, Lettow-Vorbeck) auch den Watussi einen Besuch abstatten. Wenn sie dann noch leben. Bekanntlich werden sie gerade von den Balutus ausgerottet.

      Du siehst, Deine modernen Tänze kennt hier keiner, oder sie führen zu Verwechslungen, die selbst vor der Villa Hammerschmidt nicht Halt machen. Ich war übrigens drin. Ein Empfang mit Dienern: sahen aus wie Heiducken. Nicht Heidschnucken — das sind richtige Schafe, aus der Lüneburger Heide (». . . in dem wunderschönen Land, ging ich auf und ging ich unter, allerlei am Weg ich fand . . .« Hermann Löns, Dir natürlich kein Begriff mehr, Heimatdichter mit Zweitem Gesicht, wirklich, Rosemarie, sieben Jahre sein Herz nach ihr schrie, aber sie hörte ihn nie.)

      Heiducken wurden die Lakaien an den zahllosen deutschen Fürstenhöfen genannt. Nichts gegen unseren demokratischen Präsidenten; er ist nicht nur tatsächlich ein Demokrat — er hat dafür eingestanden, als es gefährlich war. Ich wollte nur andeuten: alles bißchen steifleinen, altfränkisch. Aber Bonn überhaupt ist ja konservativ, rückwärts gewandt; mit Zopf.

      Laß mich einhalten. Es ist furchtbar schwer, auch nur eine einzige, einigermaßen zutreffende, wahrhaftige Zeile über Bonn zu schreiben. Koeppen fand den Romantitel Treibhaus angebracht. Kuby, wenn ich mich richtig erinnere, formulierte in seinem Deutschland-Buch schiefbös großartig: hier hackt jede Krähe der anderen ein Auge aus — aber sie leben einäugig weiter. Leonhardt brachte es in Xmal Deutschland zu knapp acht Seiten über »die verfemte Metropole«. Bonn-Mots gibt’s unzählige; aber, Tochter, die deutsche Bundeshauptstadt hat — anders als die Dir besser bekannte amerikanische Bundeshauptstadt — kein image, keine Ausstrahlung. Politisch ist das Bundesdorf ein Vorort der Ortschaft Rhöndorf, woselbst der erste deutsche Bundeskanzler zu Hause ist. Er wollte »et jerne einfach« haben und legte sich seinen Amtssitz vor die eigene Haustür. Der Berg kam willig zum Propheten. Sowat jeht in Deutschland, am Rheine, un’ ohne Jedöhns.

      Apropos Zopf — der jungen Dame stand er fast so gut wie Dir Dein Pferdeschwanz, und das will wirklich was heißen. Sie wippte quer durch den Hofgarten, das Mandelauge cleopatrark mit Trauerrand gerahmt, zierliches Ohr, Pullover stramm, und nur die Bücher unterm Arm nährten die Illusion, es sei die ehrwürdige Alma Mater Bonensis, was sie hierher verschlagen.

      Bei Euch in München wär sie kaum aufgefallen — hier entstand sofort die Frage: Was tut sie abends? Halt Deinen alten Vater nicht für frivol. Aber selbst wenn man das puritanische Washington gewöhnt ist, begreift man nicht diese totale Abwesenheit jeglichen Nachtlebens in Bonn. »Bedaure, die Dame ist heute in Köln« — der doofste aller Bonn-Witze, er trifft noch immer zu. Keine Bar für irgendein »atmosphärisches« Gespräch. Nach zwölf nirgendwo mehr ein Drink. Sorry.

      Dafür bekam Väterchen ganz unverhofft Kaffee und Kuchen beim Staatssekretär für das Informationswesen. Jawohl »Wesen«; darunter machen sie’s bei uns nicht, wo so viel Wesentliches west. Und Gulaschsuppe in der Kanzlei des persönlichen Referenten des Herrn Bundeskanzlers, weil er (Dein Vater) keine Zeit hatte, Mittag zu essen. Das, Tochter, passiert Dir nicht in Washingtoner Büros, nicht in London, Paris oder Rom.

      In Tokio bekam ich auch einmal Tee im Auswärtigen Amt; aber in Tokio bekommst Du überall Tee. Und die herrlichen kleinen heißen Tücher für Gesicht und Hände. Ich warb überall in Bonn dafür, diesen ostasiatischen Brauch flugs zu übernehmen, des Klimas wegen: feuchte Wärme. Also mindestens insofern doch Treibhaus. Und es fällt auch leichter, das Gesicht zu wahren, wenn es immer schön frisch aussieht. Und es fällt auch leichter zu lächeln, mit frischem Gesicht. Keep smiling. Kein Mensch lächelt in Bonn. Doch einer. Er heißt Katsushiro Narita und ist seine Exzellenz, der japanische Botschafter.

      Hab’ Dich, wieder einmal, vermißt bei einer kleinen Partie (nicht Party) auf dem Rhein. Da gibt’s dies rührende alte Bild Überfahrt am Schreckenstein. Find mal raus, wer’s gemalt hat. (Frag, meinetwegen, das Riemenschneider-Antlitz mit den »edlen Händen« — und füge gleich hinzu: Vater weiß alles. Und dann beschreib mir, was er für’n Gesicht gezogen hat.) Glücklicherweise brach keine rheinische Fröhlichkeit aus: warum ist es am Rhein so schön, Schnetterätäng. Die Berliner Stachelschweine machten mal diesen Witz: »Da jibt et Fraaren, uf die jibt et keene Antwort; zum Beispiel: