Hüttentür in sanftem Blau hinaus. Aber er legte seine Schleier auch ganz leise über Ham Rugens blanke, fernhinschauende Augen.
Und langsam gingen die Jahre.
In den Tagen, in denen Ham Rugen ein Birkenreis auf das andere legte und Besen band — mehr, um sich die müde, schleichende Zeit zu kürzen, als die Besen um karge Pfennige einem Bauern zu verkaufen — dachte er wieder daran, ein Weib zu nehmen.
Er legte die Handvoll Birkenreiser beiseite, griff in die Hosentasche und nahm mit Daumen und Zeigefinger ein wenig schwarzen feingeschnittenen Tabak aus dem zerknüllten Papier. Ham Rugen priemte den Rauchtabak. Er schob das Knöllchen behende zwischen Lippe und Kiefer. Dann legte er die Arme mit den Ellbogen auf die Knie und starrte in den glosenden Torf. Im russigen Kessel sang das teebraune Moorwasser.
„Dat’s nu ok tau lat“, sagte er — „zu spät zum Freien! Nun, da einer keine Arbeit hat, kein Geld ins Haus bringt und keine Freude mehr am Leben hat — da ist’s zu spät!“
Er ging, setzte sich auf das Bett und wühlte im Stroh — da war der Strumpf. Er zählte — zählte: 76 Taler.
Das war freilich ein schön Stück Geld und reichte zum leben, reichte noch manches Jahr, auch wenn Ham Rugen nicht arbeitete. Für einen, der nicht mehr schmuggeln kann, nicht in Bremen in der Schifferkneipe die Nacht erwarten muss, für einen, der toteinsam im Moore sitzt und nur Kartoffeln und Buchweizen zu kaufen braucht, reicht das über Jahre.
„Hm“, machte Ham Rugen, „Bookweetzen un Kartuffeln?“ —
Die andern bauten sie ja auch selber. Warum sollte er so etwas kaufen für sein mühsam erspartes Geld? Dieses Geld für Dinge ausgeben, mit denen er das im Grunde verpfuschte Leben fristete? Ja, die andern hatten aber Streifen Landes, die sie im Schweiss ihres Angesichts ertragfähig gemacht hatten! ...
Der Winterwind heulte über das Moor und warf Schnee gegen die Scheiben.
Da ward das Licht in der Hütte Ham Rugens noch dämmeriger. Um das Gebälk spann die langen Tage der Rauch des Torffeuers und bräunte den Speck, der in den Wiemen hing. Den hatte Ham Rugen ungeräuchert für Waren eingetauscht, als noch die fröhliche Zeit des Schmuggelns war.
„Ä!“
Er schob die Glut auf den Klinkersteinen mit einem Stück Torf zusammen und warf den braunen Brocken hinein.
„Ä, dat’s en karge Tiet“, murmelte er unwillig und sann in den Frühling.
Arbeiten? Ja, wenn die Arbeit nicht so reichlich und nicht für einen andern ist — da lässt sich das schon überlegen.
Und als die Aprilwinde sausend über das Moor fuhren, stand Ham Rugen wahrhaftig im Torf. Das Gerücht, dass er arbeite, flog durch die fernen Häuser der Moordörfer. Es waren Leute gekommen, die hatten Ham Rugen mit ihren eigenen Augen Torf stechen sehen.
Rings um die Hütte schichtete er die dunkelbraunen Torfziegel zu Haufen und stach den Graben, den er im Vorjahr angelegt, um zwei Fuss breiter, damit er für den flachen Kahn, den ‚Seelenverköper‘, schiffbar werde, den er noch aus der ‚andern‘ Zeit besass und der nun zwecklos, wie er, sein Leben fristete. Er dachte, er wolle den gewonnenen Torf auf dem kleinen Kahne zu einem Schiffgraben führen und von dort aus in einem der fernen Dörfer zum Verkauf bieten.
Ehe der Frost der Spätherbsttage kam, sah Ham Rugen die Mühen des Sommers belohnt. Wenn jemand einen Hunt Torf bei ihm bestellte, lieferte er weniger und schwur, er wolle sich den Tod trinken, wenn es kein ganzer sei. Ham Rugen wusste viel zu genau, dass er im nächsten Jahre, weil er betrog, keine Hand voll verkaufen werde, und dachte die Gunst der Stunde zu nützen.
Er hatte seinen Vorrat früh genug verhandelt. Was noch vorhanden war, stand geborgen unter dem Dache der Hütte, damit es der Frost nicht zerfriere.
Er hatte die Giebelwand, in der sich das Fenster befand, an der Innenseite dicht mit Torfziegeln versetzt. So gedachte er der Winterkälte von dieser Seite her den Eingang zu wehren. Der Lehm an der gezäunten Wetterwand war brüchig geworden, und da und dort begann der Wind sich ein Loch zu wühlen, durch das er heimlich hindurchlangen und den morschen Lehm während des Winters stückweis herausbrechen wollte.
Aber in diesem Jahre geschah es, dass der Himmel weit in den Oktober hinein wie eine blanke Kuppel über dem Moore stand. Die Nebel wälzten sich des Morgens nicht in trägen Ballen schwerfällig über dem braunen Lande, wie sonst in den Tagen des nahen Novembermonats. Sie spannen in schneeweissen Flächen über dem Moor und schlugen sich unter dem blitzenden Lichte der Sonne als blanker Tau ins Ried. Das Wollgras wehte noch, und über dem Riede der Heide lag das Rosa der Blüten fast mit dem gleichen sanften Leuchten wie im August.
Da begann Ham Rugen das Heidekraut über eine Strecke abzuhauen und trug es in seine Hütte. Dann fuhr er in dem flachen Kahne Sand von entfernter Stelle des Landes, mischte den schwarzen Moorboden damit und stürzte ihn. Er dachte, der Winter solle mit seinem Froste hineinfrieren und das Land mürb erhalten. Aber wenn er zwei Spatenstiche tief in das Erdreich drang, füllte sich die Vertiefung mit sanftrinnendem braunen Gewässer.
Da beschloss Ham Rugen, er wolle noch mehrere tiefe Gräben ziehen, in welche die zu reichliche Feuchtigkeit seiner kleinen Felder rinnen könne, und sehen, ob er dadurch ein Land erziele, das für den Anbau der Kartoffel in dieser Gegend des Teufelsmoors geeignet sei.
Und wie hernach das Licht der Herbstsonne doch endlich in den schweren, dumpfigen Nebeln des Novembers erlosch, und wie der Regen in grauen Saiten in das Moor regnete, kam er Ham Rugen noch viel zu früh.
Der stand immer noch gebückt mit der Heidelee in der Hand und sichelte das kniehohe Kraut dicht über dem Boden ab; denn er hatte geplant, im Spätjahr ein Stück Moor zu brennen und in die Asche den Samen des Buchweizens zu streuen. In die mannshohen Haufen der Heide, die er aufgestapelt, legte er den Torfbrand, und der Wind kam und blies die Glut zur Flamme. Prasselnd schlug sie empor, und der Regen zischte darein, und der Wind riss Fetzen grauen Rauchs von den brennenden Haufen und warf sie in die Nebel.
Wie Ham Rugens Feuer ausgelöscht waren, stob der Winter über die Moorflächen und sang um den First der Hütte.
Alles war gestorben in dieser Einsamkeit; und wenn auch der Wind sich müde gelaufen hatte, dann kam nur hin und wieder das Krachen des Eises von den Schiffgräben der Ferne herüber.
Ham Rugen sass in seiner Hütte am rauchigen Torfbrand und dachte, ob er das begonnene Werk wohl weiterführen werde? Manchmal war er allein mit dem einzigen Gedanken, es könne die Stunde kommen, wo die Glut auf den Klinkersteinen verlöschen werde, ohne dass er es wahrnehme, die Stunde, in der die Ziege nach Futter verlange, ohne dass er ihr mahnendes Meckern höre.
Ham Rugen zog das schmutzige Papier aus der Tasche, in dem der schwarze krause Tabak sich befand.
Es fror ihn leis ins Herz. Er stand auf von dem Schemel, auf dem er gesessen und von dem aus er schweigsam in die Glut gestarrt hatte, und schritt über die Diele.
Draussen wirbelte der Wind den feinen Schneestaub vom Heidesoden des Firsts herab und hatte einen silbernen Streifen durch den Spalt der handbreit geöffneten Tür geweht.
Der Alte strich wie liebkosend über das weisse Fell der Ziege und legte sich auf das Stroh seines Bettschranks. Er schloss die Augen. Er lauschte, wie der Wind den körnigen Schnee gegen die Scheiben klirrte, lauschte, wie das Pendel der Uhr im Kasten in dumpfen gemessenen Schlägen schlug.
Ham Rugen dachte: das ist der Schritt der Zeit. So wandert sie immer, ohne Rast, ohne Ruh, und ich habe sie dennoch nie schreiten hören. Warum vernehm’ ich ihr unaufhaltsames Wandern denn nun heute? Sie läuft vernehmbarer, sie läuft gewichtiger, wenn der Mensch an ihrer Hand in die Nähe des Grabes gelangt ist. Das ist’s!
Dann dachte er auch: Es ist der Tod, den ich wandern höre; denn keiner schreitet mit so gemessenem Schritt und in unbeirrtem Gleichmass über dies winterliche Land, auf dem sich dem Fuss allenthalben ein Hindernis entgegenstellt. ...
Die Tür knarrte. Ham Rugen richtete sich erschreckt empor und steckte den Kopf aus dem Bettkasten, zu sehen, wer da komme.