Max Geißler

Das Moordorf


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Es sind viele, von denen wir wissen, dass sie über die schwarze Heide gegangen — die Nebel sind gefallen und haben sie eingesponnen. Nirgend ist ein Licht gewesen und nirgend ein Weg. Und sie sind nicht dahin gelangt, wohin sie gehen wollten. Aber sie sind auch nicht zurückgekehrt.“

      Ham Rugen verfiel in jenes stille Sinnen, über dem ihm die Augen weit wurden.

      Aber er schaute nicht hinaus gegen den Rand des Himmels, der in der fernen Klarheit des Tages stand, sondern er sah hinab auf die Spitze seines Holzschuhs.

      In seiner Stirn stand die tiefe Falte und um seinen Mund war die herbe Verschlossenheit.

      Wöbke Dierks dachte, das müsse der Gram gewesen sein, der in einem langen Leben Furchen um diese Lippen gezogen habe, die jetzt so trutzig aussahen und die doch so sanft reden konnten.

      „Ich weiss noch alles, Ham Rugen, wie es war, da ich durch die klingende Sommernacht gegen das Einhaus lief.“

      Und als ob dieses Wort den alten Mann wieder aus seinem Sinnen geweckt habe, begann er von neuem zu sprechen:

      „Ich dachte, du solltest dir einmal durch den Sinn gehen lassen, wie das alles geworden ist, wie sich das zum besseren geändert hat und wie nur die Felder von Hinnerk Stelljes schlecht geblieben sind wie sie waren. Da ist kein Fuss breit Land hinzugekommen. Hinnerk Stelljes wirft in jedem Frühjahr den Buchweizen in den Acker, auf dem er im Herbst zuvor Buchweizen gemäht hat. Und Gesche Stelljes wühlt in jedem neuen Mai die Kartoffeln wieder in die Scholle, die ihr voriges Jahr auch Kartoffeln getragen hat. Da wird die Ernte in jedem Herbst kärglicher: die Kartoffel findet nicht mehr, davon sie schwillt, und der Buchweizen nicht, davon er wächst. Clas Böschen dagegen und Heme Jensen haben zu jeder Frist Neuland gewonnen und haben so viel, dass sie dorthin Kartoffeln legen können, wo vordem der Buchweizen geblüht, und dass sie dort, wo vordem Buchweizen war, Roggen säen können. Roggen, Wöbke Dierks!

      „Es sind acht Morgen Land um die Einhäuser, auf denen nun das Korn hohe Halme treibt, dunkelgrüne fette Halme mit schweren Ähren — fast so hoch wie auf jenen gesegneten Stellen, die man die Marschen nennt.

      „Wöbke Dierks, hast du das gesehen? Und verstehst du nun, was ich sagen wollte mit den Worten: Hinnerk und Gesche Stelljes stecken bis zu den Knien im Moor? Bei ihnen hat sich nur der Torfstich ein wenig vertieft und erweitert. Sie haben noch die eine Ziege im Stall — sie sind nicht vorwärts gekommen!

      „Aber es wird eine Zeit sein, da wird ein noch grösserer Teil der zweihundert Morgen, die mir gehörten, wogende Halmfrüchte tragen, und die Einhäuser werden eine Gemeinde sein, und es wird Leben sein und eine Kirche! Und das mag nicht mehr lange währen, bis es so weit ist, Wöbke Dierks. Denn eine Scholle, wie die ist, auf der wir sitzen, ist dankbar und hat viel unverbrauchte starke Kraft. Aber die Kraft schläft, und sie muss geweckt werden. Wenn nun einer schläfrig seinen Pfad geht und nur immer wirken mag, wie man seit Jahren an diesem Orte gewirkt hat, dann bleibt er stehen. Und Stehenbleiben ist im Moor ein gefährlich Ding und ist an vielen Stellen gleich mit stillem qualvollen Versinken.

      „Einmal, wie ich im Abendlichte schritt und wie die Sonne ihr Gold über die frischgebrochenen Schollen von Clas Böschens Feldern warf, dacht’ ich: Das ist das Gold, das die Sonne in dies Land legt, damit es die Menschen als goldene Frucht wieder herausgraben und in goldene Münze wandeln. So ist der Weg, aus dem aller Reichtum des Bauern kommt: erst ist es strahlendes Gold des blanken Himmelslichts und sind sanfte silberne Regenkugeln, die in klingendem Fall in den Acker rinnen. Das ist der Wandel der Dinge. Und von dem Versinken des warmen Lichts und der Quelle des Regens bis zu dem Tage, da der Bauer im Moor diese beiden als gemünzt’ Gold in der Hand hält, ist ein weiterer und mühevollerer Weg, als ihn der Bauer zu gehen hat, der über die Marsch oder die Geest schreitet.“

      Ham Rugen erfasste den Stock mit der Rechten und schritt neben Wöbke Dierks gegen die Hütte Clas Böschens.

      „Ich will mit zu Wischen“, sagte er.

      Als er über den Steg ging, liess er die linke Hand über die Leitstange gleiten, stand einen Augenblick auf die Stange gestützt und schaute den Graben entlang. Seit er den gestochen, hatten ihm die Jahre den Rücken gebogen. Ham Rugen war alt geworden, sehr alt.

      Hinter Clas Böschens Hütte standen zwei Scheunen, die ein wenig kleiner waren als das zuerst errichtete Haus.

      Wischen, die im Bette lag und das Neugeborene im Arme hielt, berichtete Ham Rugen, dass Clas im neuen Frühjahr ein Wohnhaus aus Ziegeln zu bauen gedenke mit einer geräumigen Diele und einem Flet, welches durch eine querlaufende Wand von den zwei daranstossenden, nebeneinanderliegenden Stuben getrennt sein solle.

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