Will Berthold

Inferno. Siege und Niederlagen - Tatsachenroman


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      Will Berthold

      Inferno. Siege und Niederlagen - Tatsachenroman

      Band II

      Originalausgabe

      Saga

      Inferno. Siege und Niederlagen – TatsachenromanCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1983, 2020 Will Berthold und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726444681

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

      Der wasserscheue Seelöwe

      Die Einsatzbesprechung auf der Halbinsel Cotentin, wo während der Battle over Britain ein E-Hafen der Jagdflieger neben dem anderen liegt, ist kurz und witzlos. Immer der gleiche Seich: Begleitschutz, angelegt an den Kampffliegerverband, Kanal hin und zurück. Die Jäger sollen die dicken Brummer schützen, aber ihr Sprit reicht dann über der Insel nur noch für 20 Minuten, und damit ist nicht mehr viel Luftkampf zu machen. Sie müssen umdrehen, ihre Schützlinge sich selbst überlassen und hoffen, daß sie mit dem letzten Tropfen zurückkommen. Gestern verlor die Nachbarstaffel vier Me 109, die kurz vor Erreichen der Küste mit leeren Tanks in den Kanal gestürzt waren.

      Als dann die zerpflückten Kampfflieger, die sie begleitet hatten, zurückkehrten, mußte sich die Staffel auch noch Vorwürfe über den mangelnden Schutz anhören. Die Beschuldigungen waren ungerecht. Niemand kann länger fliegen, als sein Sprit reicht, und wenn der Befehl des Reichsmarschalls lautet, daß die Schnellsten an der Seite der Langsameren und Langsamsten zu bleiben haben, geschehe, was da wolle, muß das von vornherein schiefgehen.

      Staffelkapitän Michalski, der nicht nur verwegen ist, sondern auch Zivilcourage hat, ist bei der ganzen Luftflotte berühmt, weil er vor ein paar Tagen im Offizierskasino dem Kommandierenden General vor allen anderen ins Gesicht gesagt hat, die neue Taktik des frontfernen Reichsmarschalls sei »überflüssig und nutzlos wie ein Eunuchenfick«.

      Der Oberleutnant ist einer der Experten, die man bei der Luftwaffe die Jägerasse nennt, und seine Männer vergöttern ihn, nicht nur, weil er das glitzernde Dingsda in seinem Kragenausschnitt trägt. Sie sind ja selbst mit Heldenblech reichlich versehen, die Schlipssoldaten – so nennt man in der übrigen Wehrmacht mit verächtlicher Bewunderung die blaue Waffengattung –, haben die schicksten Uniformen, die schnellste Karriere, die beste Verpflegung, erhalten die höchsten Auszeichnungen und zahlen für ihre Privilegien mit den – nach den U-Boot-Fahrern – blutigsten Verlusten.

      »Wenigstens keine Stukas«, sagt der blaßgesichtige, sommersprossige Hinrichs nach der Besprechung und versucht, sich verstohlen mit der Hand in der Hosentasche unterhalb der Koppellinie zu kratzen. Die anderen grinsen schräg. Der Unteroffizier hat von seinem letzten Ausgang nach Abbéville Souvenirs mitgebracht: Sackratten, auch »Matrosen am Mast« genannt.

      »Das haste davon, Kamerad Cuprex«, grinst Feldwebel Feugele, er äfft Görings Stimme nach. »Ihr sollt fliegen wie die Vögel, aber nicht vögeln wie die Fliegen.«

      »Was weiß ich, wo ich mir das geholt habe«, brummelt Hinrichs verärgert. »Jedenfalls nicht da, wo du denkst.«

      »Wo auch immer«, albert Feugele weiter. »Komm nicht zu nahe an uns ran. Mindestens zwei Meter Abstand halten«, fordert er unter dem Gelächter der anderen. »Mensch, du muffelst ja noch durch die Kombination hindurch.«

      »Du Arsch«, versetzt Hinrichs wütend. »Wart nur, was du dir noch alles holen wirst.«

      Oberleutnant Michalski sieht auf die Uhr. Er schüttelt den Kopf, nimmt einen Schluck aus dem Kochgeschirr, halb Kaffee, halb Cognac, und einen Schuß Pervitin, Fliegerbrause, er zündet sich eine Zigarette an, spitzt die Ohren, als hörte er die Ju-Staffel schon kommen.

      Dann betrachtet er seine zerzauste Narhalla: Sieben Mann bloß noch, prächtige Burschen; ein achter liegt im Keller des Lazaretts von Abbéville auf Eis und soll eine anständige Fliegerbeerdigung erhalten, natürlich nur bei schlechtem Wetter; bis dahin werden wohl noch einige dazukommen.

      Der Wetterbericht hat für den nächsten Tag ein Tief angekündigt, das sich vom Westen her nähert, so läßt sich dann alles würdig in einem Aufwasch erledigen.

      »Stillgestanden!«

      Müde werden die Hacken aneinandergeschlagen.

      »Ich hatt’ einen Kameraden – «

      Der Chor klingt von Mal zu Mal dünner. Immer mehr Geschwaderangehörige können nie mehr singen, und der schlechter ausgebildete Nachschub, der aus Deutschland laufend nachrückt, ist noch nicht recht bei Stimme.

      Es ist so weit, der Oberleutnant winkt, und seine Männer kletterten in die Mühlen. Der bullige Feldwebel Sack, der nie den Mund hält, quittiert die Sitzbereitschaft mit den Worten: »Besser ein wunder Hintern als ein kalter Arsch.«

      Staffelkapitän Michalski steigt als letzter ins Cockpit; er wartet, bis der zu schützende Ju-88-Verband den kleinen E-Hafen überflogen hat. Feldmarschall Eberhard Milch, der Stellvertreter des Oberbefehlshabers, hatte bei seinem letzten Frontbesuch lange Gespräche mit einigen Besatzungen des neuen »Wunderbombers« geführt, sich ihre Einwände und Mängelbeschwerden in aller Ruhe angehört, ein verständiger Vorgesetzter. Als er wieder in Berlin war, schrieb er in seinen Bericht: »Die Besatzungen fürchten nicht den Feind, sondern die Ju 88.« Dann ließ er – auf Betreiben Görings – die Einheit auflösen und die Besatzungen strafversetzen, Nazipsychologie.

      Michalski nickt seinen Bordwarten zu. Die Kuttenzwerge reißen die Bremsklötze von den Rädern, lösen das Kabel, das die Me 109 wie eine Nabelschnur mit dem Anlasserwagen verbindet. Der Propeller dreht sich, wirbelt Staub auf. Der Staffelkapitän jagt seine Maschine über die Graspiste, wird schneller und schneller, nimmt den Knüppel an den Bauch, zieht die Me hoch.

      Unter ihnen, an der Steilküste des Cap Gris Nez, üben bayerische Gebirgsjäger die Erstürmung der Klippen von Folkestone, sie winken hinauf und geben es auf, die fliegenden Verbände der Luftwaffe zu zählen, die heute wieder über ihre Köpfe nach England hinwegbrausen. Die um Calais zusammengezogenen Pioniere und Infanteristen sehen mit bloßen Augen die Stelle, an der sie bei der »Operation Seelöwe« landen sollen, sowie die Luftwaffe die Royal Air Force zerschlagen hat. Nach einer ersten Berechnung Görings in vierzehn Tagen. Inzwischen hat er den Zeitraum auf fünf Wochen prolongiert. In dieser Zeit will die Kriegsmarine 1,2 Millionen Tonnen Schiffsraum für den »erweiterten Flußübergang« zusammenziehen, aber, wie der kesse Möllner zu sagen pflegt: »Es läuft nicht so, wie die Geistlichkeit will.«

      Entweder hat sich Göring, was die Zahl der feindlichen Abfangjäger betrifft, wieder einmal gründlich verrechnet, oder der Feind stampft Piloten und Maschinen aus dem Boden. Noch dazu Spitfires, die das Himmelsmonopol der Me 109 brechen. Jagdfliegeras Galland, von Göring einmal in Gönnerlaune befragt, was er sich wünsche, erwiderte: »Spitfires, Herr Reichsmarschall.«

      Ob die Me oder die Spitfire besser ist, bleibt eine Streitfrage, denn der bessere Pilot, oder zumindest der glücklichere, siegt.

      »Wenn ihre Erfahrung mit der Hurricane die Deutschen sorglos gemacht hat«, schreibt in seinem Buch »Die Me 109« der US-Autor Martin Caidin, »so erlebten die deutschen Piloten, die meinten, die Spitfire in die gleiche Kategorie einreihen zu können, eine blutige Überraschung.

      Die frühen Luftangriffe gegen englische Ziele brachten auch einen Nachteil der Me-109-E-Serie klar zutage – eine Reichweite, die für die schweren Erfordernisse der Angriffe gegen England viel zu gering war. Schon im Krieg auf dem Kontinent war es notwendig, die Feldflugplätze rasch nach vorn zu verlegen, um im Kontakt mit dem fliehenden Feind zu bleiben. Nur die hervorragende Bodenorganisation machte die Messerschmitts so erfolgreich – dennoch eine eher unsichere Methode.

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