stiess ein meckerndes Gelächter aus, und Ulrike, die überzeugt war, dass er plötzlich verrückt geworden sei, sah ihn an und musste gleichfalls lachen.
„Nun, was sagen Sie jetzt?“ fragte er, indem er sich vor ihr aufstellte, die Arme auf die Hüften gestemmt, den Kopf zurückgeworfen.
„Ich sage, dass Sie ein bisschen übergeschnappt sind und dass Sie sich ins Bett legen und ein beruhigendes Pulver nehmen sollten“, antwortete Ulrike unwillig.
„Dacht es mir“, nickte Mylius grinsend. „Solche Zahl hat etwas als ob einen der Donner anrührte. Dacht es mir, dass Sie glauben würden, es sei in meinem Uhrwerk da oben nicht recht richtig. Ist auch ganz in der Ordnung so, denn für Aufschneiderei und Zungengeläufigkeit eines Möchtegern und Gernegross könnte das nicht mehr gelten. Liegt schon jenseits der Grenze. Würde mich an Ihrer Stelle nicht anders verhalten. Aber Gott sei Dank gibt es ja Beweise, und sogar unumstössliche Beweise. Was hätte es auch für einen Sinn gehabt zu reden, wenn ich nicht dokumentarisch belegen könnte, was Ihnen so ungeheuerlich, so hirnverbrannt scheint, meine Gute, meine Teure.“
Er liess sein unleidliches Kichern hören, ging abermals zum Geldschrank, holte aus dem oberen Fach ein umfängliches blaues Kuvert heraus und entnahm diesem einige Bogen Papier, die er mit zitternden Fingern auseinanderfaltete und Ulrike dicht vor die Augen hielt. „Was ist das?“ fragte er heiser und gebieterisch; „was ist das? Ein Testament, nicht wahr? Ausgefertigt, eigenhändig unterschrieben, notariell beglaubigt und mit dem Amtssiegel versehen: wann? Am zweiten Januar dieses Jahres. Gut. Was steht hier, am Schluss der fünften Seite, das da, was als Endresultat mit roter Tinte doppelt unterstrichen ist, was steht da? Lesen Sie! Lesen Sie laut!“
Ulrike las gehorsam vor: „Gesamtstand meines Vermögens am heutigen Tage Summa Summarum: neun Millionen einhundertdreiundzwanzigtausend Gulden.“
Ulrikes Gesicht wurde so weiss wie das Blatt vor ihr. Die Stimme brach und verlor sich in ein rauhes Gurgeln. Die Augen nässten sich, wie sie oft unter dem Einfluss des Grauens oder der tragischen Erschütterung feucht werden. Sie schaute Mylius leeren Blickes an, verstummt, regungslos, atemlos.
Diese Wirkung hatte Mylius erwartet, genau diese hatte er ersehnt. Seine Züge vergrösserten sich, ein fast irres Leuchten der Freude war in ihnen, etwas wie die glückliche Befriedigung eines Liebenden, der endlich Erhörung gefunden hat; er zog einen Stuhl ganze nahe zu Ulrike heran, setzte sich, blätterte hastig in den zusammengehefteten Bogen, deutete mit dem knochigen Zeigefinger auf einzelne Stellen, und seine Stimme klang sonderbar zärtlich, während er redete. „Sie sehen, meine hochgeschätzte Dame und Freundin, wie diese nicht unbeträchtliche Ziffer zustande gekommen ist. Es gesellt sich eben eines zum andern, sachte, sachte, keiner merkts, auf einmal läufts in die Milliönchen. Schöne Milliönchen, brave Milliönchen. Hat mans in Jahren und Jahren mit Fleiss und Geduld und Wachsamkeit und Sparsamkeit und Spürsinn bis zur ersten gebracht, dann folgt die zweite, die dritte, die vierte und so weiter bald nach wie die Schäfchen dem Leithammel. Da haben Sie zunächst den Überschlag über das Ramschmagazin, wie Sie es zu betiteln beliebten; hier: Abteilung Mobilien und Liegenschaften. Eindreiviertel Millionen. Ist natürlich nur eine ungefähre Schätzung, da es sich um fliessende Werte und veränderlichen Bestand handelt, doch eher zu niedrig als zu hoch gegriffen. Dann die Häuser. Drei Häuser in der Stadt, darunter das, in dem die Wohnung ist, und das, in dem wir uns befinden; zwei in der Vorstadt. Grundbücherlich auf Decknamen eingetragen, doch mittelst sicherer Verträge insgeheim auf mich überschrieben. Eine Million achtmalhunderttausend. Der galizische Wald, zehntausend Joch: zwei Millionen. Das Gut, die Meierei, das Schloss Gleichenstein, der ehemalig gräflich Weissenwolffsche Besitz, in Summa: zwei Millionen zweimalhunderttausend. Zuletzt: Wertpapiere, Renten-titres, Aktien, Promessen, Pfandbriefe, Obligationen, Schuldverschreibungen und Wechsel, in Summa: eine Million dreimalhundertdreiundsiebzigtausend. Capito, mein Fräulein Ulrike Woytich?“
Er schaute sie betroffen an, denn was ihm antwortete, war kein menschlicher Laut, sondern ein eigentümliches Krächzen; zugleich brach aus ihren weitgeöffneten Augen eine diabolische Flamme, etwas Verheerendes, Gelbes, Jaguarhaftes, das seinen zärtlichen und wortreichen Fiebereifer plötzlich dämpfte. Noch war das unbegrenzte Erstaunen in ihren Mienen; der ungläubige Schrecken, der ihm schmeichelte; das Nichtfassenkönnen, Nichtausdenkenkönnen; die Starrheit wie bei der Erscheinung eines Phänomens, für das keine Einbildungskraft zureichte; aber alles dies sammelte sich, ohne dass sie die Regung zu beherrschen oder zu verschleiern vermochte, zu jenem masslosen Blick aus dem innersten Innern. Sie stand auf. Sie stotterte, ihr sei nicht wohl; er möge draussen aufsperren und sie fortlassen; sie müsse an die Luft; sie könne nicht mehr zuhören, nicht mehr sprechen; sie müsse erst alles überdenken und sich zurechtfinden. Dabei warf sie den Mantel über, nahm sich nicht die Zeit, den Hut aufzusetzen, griff nach dem vom Silbergeld beschwerten Beutel und lief wie gehetzt in das vordere Gewölbe. Mylius folgte ihr aufgeregt und ängstlich verwundert, kehrte aber zurück, um auch seinen Mantel und Hut zu holen, da schrie sie wie ausser sich: „Aufmachen! sofort aufmachen!“ und erschrocken gehorchte er.
Nun war sie auf der Strasse. Sie rannte ein paar Schritte. Dann blieb sie stehen und presste die Hände gegen die Brust. Dann rannte sie wieder. Achtlos trat sie in Schneepfützen; das Wasser spritzte empor. Dann blieb sie abermals stehen, drückte die Schultern zusammen und flüsterte inbrünstig, drohend, überwältigt, fliegenden Atems: „Neun Millionen Gulden!“
Eine Weile starrte sie stumm die nächtlich verödete Gasse entlang, dann sagte sie mit dunkler voller Stimme: „Jetzt, Ulrike, nimm alle Kraft zusammen. Jetzt gibts Arbeit und Lohn für dich.“
Indes ein wildes Lächeln ihre Lippen kräuselte, setzte sie ihren Weg fort, äusserlich ruhiger, doch erfüllt von stürmischen Gedanken und Erwägungen.
Eine halbe Stunde danach, es war zehn Uhr, läutete sie an der Wohnung des Hofrats.
Hier wird nicht geträumt
An den Gewohnheiten des Alten gemessen war es spät. Das ungestüme Ziehen der Glocke scheuchte zuerst die Smirczinska auf; sie erschien im Nachtkittel, struppig und erbost, und wollte Ulrike nicht einlassen. Der Streit artete in ein Handgemenge aus, der Lärm lockte den Hofrat herbei, gespenstisch hager stand er im grünen Schlafrock aus der Türschwelle. Ulrike drang mit Gewalt in sein Zimmer. Er maulte, doch wies er die keifende Smirczinska zur Ruhe. „Was fällt der Nachteule ein?“ schrie Ulrike; „bin ich so heruntergekommen, dass ich mich von diesem wackligen Knochengerüst beleidigen lassen muss? Schaffen Sie Ordnung zwischen mir und ihr, Onkel Klemens, sonst nehm ich den erstbesten Stuhl und schlag ihn an ihrem polnischen Querkopf entzwei.“
Der Hofrat maulte stärker. Er stelzte mit vorgestrecktem Hals wie ein schwarzer Storch um den Tisch herum und verschlang Luft. Sperrstunde, Bettzeit, Schlafenszeit; nichts war ihm so verhasst wie Störung. Ein Begriff von widerwärtig einschneidender Sinnfälligkeit: Störung. Ein österreichischer Begriff, Medusenfratze des Beamten. Was Ketzerei dem religiös Gläubigen, das war ihm Störung. Das, worauf man nicht vorbereitet war; was aus dem Gleichgewicht brachte; was nicht haargenau wie gestern war, mit einem Wort das Andere, das Neue.
Er hatte die Amtsherrschermiene in den Ruhestand hinübergetragen, diesen weltenalten Ausdruck von Reskriptverfassern und Aktenbestattern, den die Menschheit kennt wie ihre Zuchthäuser und ihre Friedhöfe. Wenn er am Fenster seiner düstern Wohnung sass und trübsinnig auf die Gasse blickte, auf die steinerne Madonna in der Mauernische gegenüber, auf den Bäckerladen und die Schusterwerkstatt, auf die Hüte, Mützen, Regenschirme und stapfenden Füsse der Passanten, hatte er noch immer das Gefühl, als bestehe das alles, weil er es erlaubt hatte, und als bedürfe es nur einer Urgenz oder eines Marginales, um es aus dem Fluss zu bringen. Dass er es nicht tat, hatte seinen Grund gleichsam darin, dass Störung vermieden werden musste.
Schon unter Metternich war er im Kanzleidienst gewesen. Er hatte noch, demütig gekrümmt, das schlau und süss lächelnde Diplomatengesicht des alten Gentz gesehen. Er hatte sich unter den bestellten Wächtern befunden, als die Revolutionsraben des Jahres 30 den ehrwürdigen Bau der Monarchie umkrächzten und dank den umsichtigen Vorkehrungen unverrichteter Dinge wieder in ihre gallischen Sümpfe zurückschwirren mussten. Er hatte im Jahre 48 die höchst gefährlichen