Jakob Wassermann

Ulrike Woytich


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was er besitze, kämen zwölftausend heraus; zwölftausend könne er gegen einwandfreie Sicherstellung geben, das genüge ja für den Anfang, später werde man sehen. Ulrike antwortete, es sei zu wenig, und blies die Kerze aus. Sie solle sichs noch einmal überlegen, krächzte er. Da entgegnete sie höhnisch, sie wisse ein einfaches Mittel für ihn, sich Geld zu verschaffen; er möge die Guarnerigeige verpfänden; eins zum andern, das reiche dann. Er stiess einen leisen Fluch aus, und die Schritte schlurften wieder treppabwärts.

      Ulrike hatte ihre guten Gründe, den Hofrat als Darlehensgeber zu gewinnen. Vor allem erwog sie dabei sein hohes Alter; starb er, fiel das Geld an sie und ihre Geschwister. Ferner mangelte es ihr an Beziehungen zu den Kreisen, die sich mit derlei Geschäften befassten; fand sie auch den Weg zu ihnen, so war zu befürchten, dass unangebrachter Eifer und beflissene Recherchen ihre Absichten durchkreuzten.

      Als sie am andern Morgen hinunterkam, eröffnete ihr die Smirczinska anklagend, der Hofrat sei krank und liege im Bett. „Was fehlt Ihnen, Onkel?“ erkundigte sie sich, an das altmodische Bett tretend, das in einem tiefen Alkoven stand, mit einem Himmel aus verschossener blassgelber Seide.

      Er schwieg böse. In der Nacht gegen vier Uhr war er aufgewacht, und sogleich hatte es begonnen, das Grauenhafte. Von Zeit zu Zeit überfiel ihn die Angst vor dem Tod wie purpurner, klebriger Wahnsinn. So schlimm wie heute war es nie gewesen. Der Tod war in seiner widerlichsten Gestalt erschienen, laut brüllend. Je mehr die Dämmerung heranrückte, je deutlicher sah er ihn: einen nackten, haarigen, fettglänzenden, zähnefletschenden Unhold.

      Was willst du von mir? keuchte der Hofrat; da sind andere; da ist der Mylius mit seinen neun Millionen, ein nahrhafter Bissen; was bin dagegen ich? Der Unhold turnte auf den unteren Bettrand und feixte. Seine proletarischen Manieren regten dem Hofrat die Galle auf. Warum darf das sein? haderte der Hofrat, warum ist das gestattet? neun Millionen! Ihn lässt du ungeschoren im Genuss seiner Millionen und mich molestierst du, mich, der keinen Tag von seinem Leben entbehren kann? Der Unhold schüttelte sich vor Schadenfreude. Von Wut und störrischer Bangigkeit erfüllt, begann der Hofrat zu betteln: wenn du mich noch ein paar Jährchen in Ruhe lässt, verschaff ich dir den Mylius; ich und die Ulrike, wir bringen ihn zur Strecke, es soll dein Schade nicht sein, ich bezahle dich mit gemünztem Gold dafür; auch musst du mir gehorchen; ich bin die Obrigkeit, bin kaiserlicher Beamter; so lang ich in Amt und Würden sass, war ich stets dein heimlicher Parteigänger; wirst dich noch erinnern, dass ich dir zu mancher unerwarteten Zubusse verhelfen habe. Dies schien dem Burschen einzuleuchten; er glotzte eine Weile und verflüchtigte sich in den bleigrauen Februarmorgen.

      Da sah der Hofrat, dass er stärker war als der Tod, aber der überstandene Schrecken fesselte ihn noch ans Bett. Er heftete den wasserfahlen Blick auf Ulrike, und er bewunderte, beneidete dieses Stück saftstrotzender, rücksichtsloser Jugend; er fürchtete sich vor ihr und beneidete sie um den frischen Atem, das klare Auge, die junge Stimme; mit fröstelndem Verlangen tastete er in sein abgewelktes Leben hinaus. Er habe alles noch einmal bedacht, fing er an; er traue der Sache doch nicht; es sei doch zu riskant; ob sie sich an den Namen des Notars erinnere, der das Testament beglaubigt. Ulrike bejahte; sie habe sich den Namen sofort eingeprägt; der Notar Helmbauer am Tiefen Graben sei es; bei dem sich zu erkundigen, sei aber nicht nur zwecklos, da er das Amtsgeheimnis zu wahren habe, sondern auch schädlich, da er Argwohn schöpfen und gegen Mylius plaudern könne; überdies habe sie ja geschworen, ob das für nichts gelte? Larifari, polterte der Hofrat, es hätten schon grössere Herrschaften falsch geschworen. Helmbauer, fuhr er fort und legte den Finger an die Nase, den Mann müsse er kennen, freilich kenne er ihn, den Notar Helmbauer am Tiefen Graben, seit vierzig Jahren kenne er den; er werde ganz einfach hingehen und den Mann kollegial interpellieren; so und so; einer von seinen Freunden sei im Begriff, sich mit einem sicheren Mylius, Antiquitätenhändler in der Himmelpfortgasse, auf eine weitläufige Transaktion einzulassen, und er möchte Auskunft haben, ob besagter Mylius für hunderttausend Gulden gut sei.

      Hiermit war Ulrike einverstanden. Auf einmal war der Alte wieder gesund. Er machte in Eile Toilette und trat in seinem bis an die Schienbeine reichenden Gehrock, der ihm das Aussehen einer von der Witterung geschwärzten Telegraphenstange verlieh, den Gang zum Notar an.

      Ulrike ging ruhlos durch die drei Zimmer, unablässig spähend. Nur ein einziges Mal, vor sechs Jahren, als sie aus der Heimat gekommen, war es ihr gelungen, allein in der Wohnung zu bleiben. Auch damals hatte sie gespäht, gesucht, in alle Winkel geschaut, die Tapeten beklopft, die Schubladen geöffnet; umsonst. So war auch heute ihr Suchen umsonst.

      Sehr befriedigt kehrte der Hofrat zurück. Die Kriegslist hatte Erfolg gehabt. Der Notar hatte ihn erkannt und respektvoll bekomplimentiert. Auf seine Frage hatte er gelacht und ihm, den Mund an seinem Ohr, zugeflüstert: „Gut für das Vielfache, Herr Hofrat; bitte mich nicht blosszustellen, es geschieht aus alter Freundschaft, dass ich Ihnen Auskunft gebe und unter strengster Diskretion; gut für das Vielfache, unter uns gesagt.“

      Noch immer blieben Bedenken. Jedes Für und Wider wurde bis in die letzten Verästelungen pedantisch zerpflückt. Gewinnsucht und Verlustangst hielten einander die Wage. Am längsten dauerte der Streit über die Höhe der Summe. Mit weniger als zwanzigtausend Gulden wollte sich Ulrike nicht begnügen. Am dritten Abend gab der Hoftat endlich nach, ächzend und Verwünschungen ausstossend, als sei er bereits um das Geld betrogen. Seine Bedingungen waren, dass zuvor eine Zusammenkunft mit Frau Christine Mylius in deren Wohnung stattfinden und sie den Schuldschein in seiner Gegenwart unterschreiben müsse; ferner, dass die Zinsen bei Auszahlung des Kapitals abzuziehen seien.

      Als man soweit war, erschien laut aufheulend die Smirczinska. Aus Vermutungen und erlauschten Brocken hatte sie sich eine ziemlich richtige Vorstellung von dem, was im Werke war, gebildet. Sie stürzte dem Hofrat zu Füssen und beschwor ihn winselnd, von dem verderblichen Vorhaben abzulassen. Angewidert von dem Melodram, bedeutete ihr Ulrike, wenn sie nicht augenblicks verschwinde, werde sie ihr erhitztes Geblüt mit einem Eimer Wasser abkühlen.

      Der Hofrat schien gerührt. Er sagte jesuitisch salbungsvoll: „Lass das gute Kind. Sie hat ihre Ahnungen. Sie hat mir immer ganz zutreffend prophezeit, wenn mir ein Unglück bevorstand. Als ich im Jahre fünfundsechzig mit dem Statthaltereirat Gayling von Altheim, Gott hab ihn selig, nach Perchtoldsdorf fahren wollte, hat sie mich im letzten Moment zurückgehalten. Und was geschah? Der Statthaltereirat wurde im Wagen am hellichten Tag vom Schlage getroffen. Wie leicht hätte es sein können, dass er mich erwischt hätte, der Schlag, wie leicht! Du siehst also, liebe Nichte, die Person ist wegen ihrer Apprehensionen zu schätzen.“

      „Das seh ich freilich,“ antwortete Ulrike mit trockenem Ärger; „den Statthaltereirat Gayling von Altheim wird derselbe Teufel geholt haben, der hoffentlich Ihre Smirczinska samt den Apprehensionen auch bald holen wird. Und mich vielleicht dazu“, schloss sie lachend, als sie die fromm entrüstete und entsetzte Miene der Smirczinska gewahrte.

      Ein schütteres Grinsen zuckte über das Gesicht des Hofrats. Er gönnte der Smirczinska den Hieb. Sie war ihm lästig, wie ihm seit jeher alle Menschen lästig waren, die er gezwungen war, täglich zu sehen. Er hatte sie im Verdacht der Erbschleicherei und hasste sie insgeheim. Er sagte grämlich: „Hackt euch einander die Augen aus, wenns euch freut, aber ich will nichts wissen davon. Nur Leute, die weder Glauben noch Religion besitzen, tragen fortwährend ihre Händel vor die Ohren anderer Menschen.“

      Die Smirczinska ging händeringend hinaus. Wenn er mit der Religion anfing, verlor sie die Fassung. Der Hofrat schaute Ulrike streng an, streckte die rechte Hand flach über den Tisch und sagte: „Es sei also. Es ist entschieden. Die Sache wird gemacht.“

      „Gut,“ erwiderte Ulrike, „Sie müssen nur warten, bis ich Ihnen Nachricht gebe, dass alles soweit ist. Es kann noch ein paar Tage dauern.“

      Der Hofrat nahm ein Stück Papier und einen Bleistift, murmelte vor sich hin, schrieb Zahlen auf, rechnete und vertiefte sich so in diese Beschäftigung, dass er Ulrikes Gegenwart völlig vergass. Nach einer Weile erhob er sich, zog unter der geblümten Weste ein an einer Nickelkette befestigtes Schlüsselchen hervor und begab sich in das dritte Zimmer, in dem sich in zwei Glasschränken die Sammlung seiner Stöcke und Uhren befand. Aber es musste noch etwas anderes darin sein; wahrscheinlich der Geldaufbewahrungsort, nach seinem sonderbaren Wesen zu schliessen; da er weder einer