Johannes Erdmann

Zu zweit auf See


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vor zehn Jahren. So reviererfahren bin ich schon? Wenn ich genau darüber nachdenke, dann kenne ich die Bahamas tatsächlich besser als die Ostsee.

      Seit Monaten sind wir nun hier und segeln mit Gästen durch die Inseln. Wir wollten damals eine Auszeit nehmen. Mit MAVERICK TOO. Für eine bestimmte Zeit aussteigen aus dem Alltag. Doch aus dem zeitlich begrenzten Ausstieg ist stattdessen ein Einstieg geworden, ein Einstieg in ein ganz anderes Leben.

      Cati kann sich mittlerweile gar nicht mehr vorstellen, in einem Haus zu leben – und ich mir auch nicht. Warum nicht auch Kinder auf dem Schiff aufziehen?

      Der Weg in dieses Leben begann mit MAVERICK, hier auf den Bahamas. Damals lag ich hier mit meinem nur acht Meter langen Boot vor Anker. Ich war gerade 20 Jahre alt und mit dem kleinen und maroden Schiff ganz allein von Europa hierher gesegelt. Auf der Suche nach Abenteuer, Freiheit – und einem Plan fürs Leben.

       ABFAHRT

      Von Johannes

      Endlich reicht das Wasser aus, um MAVERICK TOOS Kiel aus dem Schlick zu heben. Peinlich, dass ich mir über die Gezeiten keine Gedanken gemacht habe, als ich den Abfahrtstermin bestimmt habe. Aber jetzt schwimmen wir, mit einigen Stunden Verspätung. Es kann losgehen.

      »Denk dran, meine Fender hierzulassen. Sonst hab ich im Sommer keine«, erinnert mich mein Vater. Die erste Woche hier an meinem Steg an der Oste hat sich das Schiff bei Niedrigwasser immer auf den Schlick gestellt und gegen den Steg gelehnt, weshalb ich mir ein paar zusätzliche Fender leihen musste. Nach einigen Wochen hatte sich MAVERICK TOO dann eine Rinne gestampft, in die der Kiel immer wieder reinsacken konnte. »Die Fender kannst du wiederhaben«, lache ich. »Da, wo wir hinsegeln wollen, brauchen wir so was eh nicht.« Denn wir wollen den Großteil der nächsten zwei Jahre fast nur vor Anker liegen.

      »So, jetzt macht aber auch, dass ihr loskommt«, fordert uns mein Vater auf. Er hat schon gerade kurz vorher im Interview mit dem ZDF-Team gesagt, dass die Sorge nun langsam einem Gefühl von »jetzt fahrt endlich, damit hier wieder Ruhe einkehrt« weicht. Kann ich gut verstehen, denn die vergangenen Monate, ja eigentlich schon die ganzen letzten zwei Jahre, ging es nur um uns, Cati und mich.

      Fast jedes Wochenende sind meine Eltern hier bei uns in Oberndorf an der Oste gewesen, um uns zu helfen, das Haus zu renovieren (damit wir es vermieten können) und das Schiff fertig zu bekommen. Dafür hat mein Vater seinen ganzen Jahresurlaub geopfert und war nicht einmal mit seinem eigenen Boot auf dem Wasser. Auch wenn sich Freunde zum Wochenendbesuch angemeldet haben, standen sie einige Stunden nach der Ankunft bereits mit Atemschutzmaske unter unserem Schiff und schliffen.

      Als Dankeschön haben wir vor vier Wochen mit gut 100 Freunden eine große Einweihungs- und gleichzeitig Abschiedsparty gefeiert. Endlich war das alte Haus renoviert, aber gleichzeitig war es für uns Zeit geworden, die Segel zu setzen. Denn bevor es ins »normale« Leben geht, wollen wir ein paar Jahre durch die Welt segeln. Der letztmögliche Zeitpunkt, bevor Karriere und Familie dies vielleicht unmöglich machen werden. Heute, am Abfahrtstag, sind es etwa 30 Leute, die uns verabschieden. Freunde, Nachbarn, Vereinsmitglieder und Dorfälteste. Sogar unser Segelmacher Tinne ist mit seiner Familie aus Kiel angereist, um unsere Abfahrt zu erleben. Mit ihm haben wir in den vergangenen Monaten viel über unsere neue Segelgarderobe diskutiert. Nun will er uns auch davonsegeln sehen.

      Auch unsere engsten Freunde sind dabei. Georg und Irene, Sammy, Uwe. Mit allen vieren haben wir viel erlebt und tolle Schiffsreisen unternommen. Sie wissen, was uns dort draußen erwarten kann und wird. Schulterklopfen, ein fester Händedruck, eine Umarmung. Die Stimmung ist bedrückt. Sogar meine 86 Jahre alte Oma hat die lange Autofahrt auf sich genommen.

      Wir sind voller Vorfreude auf die vor uns liegende Reise, aber auch voller Sorgen. Zwei Jahre. Eine lange Zeit fernab unserer Familien. Zwei Jahre, die wir weniger mit ihnen verbringen werden. Weihnachten, Geburtstage, die schönen Wochenenden, wenn wir uns alle im großen, gemütlichen Haus meiner Eltern in Wolfsburg treffen und die Zeit zusammen genießen. Das wird nun erst mal alles ohne uns stattfinden. Und wer weiß, was sich in der Zeit noch alles verändern wird? Überhaupt, wäre es nicht vernünftiger, die Reise zu verschieben? Es ist doch schon viel zu spät im Jahr, das Schiff ist noch nicht richtig fertig, geschweige denn erprobt. Es finden sich immer mehr Gründe dafür.

      »Nein. Wir setzen einen Termin und fahren dann auch los«, sind wir uns einig gewesen. »Den spätestmöglichen Termin im Jahr.« So lange wie möglich wollten wir noch arbeiten und Geld verdienen. »Besser dann noch im Herbst losfahren, als einen weiteren Winter in Deutschland zu verbringen und zu warten. Also Abfahrt Anfang September 2014. Alles andere ergibt sich.«

      »Wer den Termin einmal verschiebt, verschiebt ihn immer wieder – und fährt am Ende gar nicht los«, war ich mir sicher. Aber dann mussten wir um zwei Wochen verschieben. Der 14. September sollte es nun werden. Ein Sonntag. Endgültige Abfahrt.

      Doch wieder ist es zum Ende hin knapp geworden. Am Freitag und Samstag vor der Abfahrt haben wir bis spät in die Nacht hinein gearbeitet. Andreas und Christine, zwei Blogleser, sind spontan aus dem Ruhrgebiet angereist, um uns drei Tage lang zur Hand zu gehen. Für uns eine totale Überraschung, und wir haben uns nicht so recht getraut, ihnen richtige Aufgaben zu geben. Vor allem nicht die »Drecksarbeiten«. Bis Tinne mich irgendwann beiseitegenommen hat: »Ey, die sind extra angereist, um zu helfen. Du kannst denen ruhig ein paar Aufgaben geben, sonst reisen die ab und denken, die Tour war umsonst.« Eine Stunde später liegt Andreas dann auf dem Kajütboden und putzt die Bilge, während Christine alle Schapps auswischt. Eine großartige Unterstützung.

      Mit Tinne fahre ich einkaufen, fülle mehrere Einkaufswagen und karre sie im Auto zum Boot. Etwa 100 Konservendosen sind dabei, die in der Bilge gelagert werden sollen. Andreas und mein Vater verbringen den Nachmittag damit, alle Etiketten abzulösen und mit einem Edding den Inhalt auf die Dosendeckel zu notieren. Eine mühselige Aufgabe. Aber nötig, denn die Etiketten würden sich durch das Bilgewasser ohnehin bald ablösen und die Essenszubereitung damit zum Glücksspiel werden. »Aber wir veräppeln sie ab und zu«, erklärt mein Vater augenzwinkernd in die Kamera, »und schreiben etwas anderes auf die Dosen. Dann ist die Überraschung groß.« Sagts und schreibt »Linseneintopf, mit Spargel« auf die nächste Dose.

      Das Kamerateam will für das ZDF eine Reportage über uns drehen, in der Hoffnung, bei einer guten Quote eine Serie genehmigt zu bekommen. Wir selber hoffen, damit nebenbei ein paar Euro zu verdienen – und überhaupt, wer ist nicht gern im Fernsehen zu sehen? Aber die Dreharbeiten kosten mehr Kraft, als dass sie Freude machen. Immer wieder werden wir von dem Kamerateam in den letzten Vorbereitungsarbeiten gebremst. »Halt, warte, kannst du das noch mal machen? Pack das doch bitte noch mal aus.« Doch mit der Hilfe aller Freunde gelingt es, und am Sonntagmittag sind wir tatsächlich fertig. Aber kommen trotzdem nicht los …

      Der Start war für 12 Uhr angekündigt, doch hatten wir nicht in den Tidenkalender geschaut. Daher steckt der Kiel noch bis 16 Uhr im Schlick. Dann aber schwimmen wir endlich und starten sofort. Wie zwei Gladiatoren werden wir vom Kamerateam zum Schiff begleitet. Rückwärts saugen wir uns vom Steg weg, reißen die Segel hoch und machen eine Paradefahrt am Schwimmsteg vorbei, der unter der Last der winkenden Freunde fast absäuft. Endlich allein. Ohne Kameraleute, sie fahren an Bord von Nachbar Bernds Schiff mit zur Elbmündung und filmen von außen. An mehreren Stellen des Flusses erwarten uns Zuschauer und winken. Wahnsinn. Was für eine Fahrt den Fluss hinunter. Ein Gefühl von Freiheit übermannt uns. Wir haben es geschafft, wir sind unterwegs. Egal, was jetzt passiert. Wir sind unterwegs. Kurz vor der Elbe beginnt dann die Arbeit wieder, denn das Kamerateam kommt zurück an Bord.

      Ich möchte weiter motoren, denn es weht fast kein Wind. Der Regisseur findet aber, dass Segel schöner fürs Bild wären. Also setzen wir Vollzeug und schalten den Motor ab. Doch das ist gar nicht so einfach, denn der Motor gehört zu den Dingen, die noch auf der To-do-Liste stehen. Er läuft zwar, hat aber keinen Abschalter. Also ziehe ich mir gummierte Arbeitshandschuhe an, nehme die Luftfilter ab und drücke dem Motor die Luft ab. »Frag lieber nicht«, antworte ich auf den fragenden Blick des Kameramanns. Ich weiß: Das Abschalten muss ich noch optimieren. Aber wir werden ja noch viel schlechtes Wetter und viele Hafentage haben. Da ist