und Sternenschein, deren Ursachen wir nicht kennen, die wir als ein zufälliges Ereignis betrachten. Daß die Erscheinungen gegen unsern Willen auftreten, bedingt keinen Widerspruch, d. h. keinen Widersinn, sondern bewirkt höchstens ein Gefühl der Unlust oder der eigenen Schwäche. Der Widerspruch tritt allein im Denken auf, wenn man die gesamte Kette der Tatsachen zu verstehen sucht. Erst die Auffassung der Natur als Mechanismus hat den Zwiespalt der Erfahrung erzeugt; vorher existierte die Frage nicht, wie Freiheit möglich sei, da man die Natur nicht als Gegensatz dazu dachte. Daher haben wir bei unserm philosophischen Problem nur die Natur als Gegenstand der Naturwissenschaft in Betracht zu ziehen; denn allein in diesem Sinne ist die Natur als allgemeingültig und gesetzlich eine objektive Realität.
Man wird allerdings sagen, der Sturmwind, der uns scheitern läßt, der Sternenschein, zu dem wir aufblicken, sind ja ebenfalls objektiv real; der Wilde, der Ungelehrte, der von Naturwissenschaft keine Ahnung hat, ist doch den Naturgewalten voll und ganz unterworfen? Gewiß, und der Philosoph ganz ebenso! Aber diese Natur, die hier gemeint ist, ist nicht die Natur, die zur kritischen Frage treibt. Sie ist nicht das Produkt der Naturwissenschaft, sondern ihre noch nicht gelöste Aufgabe. Sie ist lediglich Naturerlebnis . Als Erlebnis besitzt sie, wie wir oben ausführten, ebenfalls Realität, die Realität des Lebens, diese tritt jedoch zur Realität der Freiheit nicht in Gegensatz. Hier ist vielmehr noch alles ungeschieden zusammen, bloßes Ereignis, das ebenso Gegenstand der Erkenntnis wie des Willens oder des Gefühls werden kann, und uns eben darum zum Beispiel dient, daß ein solches Zusammen von Bestimmungsweisen möglich ist. Aber hier zeigt sich gerade, was wir durch die Unterscheidung der Realitäten gewinnen. Das Erlebnis besitzt Realität in gewissem Sinne, indessen seine Allgemeingültigkeit, seine höhere Realität erhält es durch die wissenschaftliche Objektivierung als gesetzliches Ereignis. Es wird als Natur bestimmt, und wir sehen zugleich, daß diese Natur nur ein Teil der Realität überhaupt ist.
Daß aber diese Natur als gesetzliche Realität zur Kultur gehört, erkennt man aus der Überlegung, daß sie sich erst an und mit der Kultur entwickelt. Die Geschichte der Naturwissenschaft ist nichts anderes als die allmähliche Gestaltung des subjektiven Erlebnisses der Menschheit zu einer objektiven Gesetzlichkeit, an die sich nunmehr die einzelnen gebunden wissen. Wir verfolgen nur an einigen Beispielen den Verlauf, wie mit der Entwickelung der Kultur sich immer weitere und fester gesicherte Gebiete hervorheben, in denen die Übereinstimmung der Subjekte sich als gesetzlich bedingt erweist; diese Bedingung eben ist die Natur, wie sie sich durch die Erkenntnis als eine objektive Realität mit dem Ansteigen der Kultur enthüllt.
Je niedriger der Kulturzustand ist, um so weniger objektive Natur gibt es, das heißt, um so ungewisser steht die Menschheit dem Eintreten und Verlauf der Naturerscheinungen gegenüber. Alles Leben wird zunächst bemerkt im Bewußtsein der einzelnen Individuen, und erst die Tatsache, daß sie sich untereinander verständigen können, daß in ihrem Erlebnis Übereinstimmung herrscht, ist das Merkmal, daß objektive Ordnungen bestehen. Aber jene Übereinstimmung ist sehr mangelhaft, diese Ordnungen sind zusammenhanglos. Wohl verständigen sich die Volksgenossen über gemeinsame Unternehmungen, wohl bilden Tages- und Jahreszeiten, der Verlauf der Witterung, die Gewohnheiten des Wildes und dergleichen gewisse Regelmäßigkeiten, die sich aus dem passiven Erleben der einzelnen herausheben als Zeichen, daß es etwas Erkennbares gibt. Jedem selteneren Ereignis dagegen steht der Wilde ratlos gegenüber; es ist für ihn unerkennbar und zusammenhanglos mit den gewohnten Erscheinungen. Die ganze Natur ist durchsetzt von solchen Rätseln und Wundern und erscheint daher als das Werk willkürlicher und unbegreiflicher Gewalten. Je weiter indes die Erkenntnis fortschreitet, um so mehr zieht sich dieses Gebiet des Unerwarteten und Rätselhaften zusammen, um so lückenloser wird der gesetzliche Zusammenhang der Erscheinungen. Das unbestimmte Erlebnis gestaltet sich zur ursächlich begründeten Wirkung. Solche gesetzliche Einheiten in immer größerem und engerem Zusammenhange aus den subjektiven Erfahrungen der Individuen herauszuarbeiten, ist ein Kulturprozeß; durch ihn entsteht objektive Natur als eine Ordnung, die als allgemeingültig erkannt wird. Den höchsten Grad dieser Allgemeingültigkeit und damit der objektiven Realität besitzen die Ereignisse, wenn sie sich in der Form mathematischer Gesetze darstellen lassen.
Wenn der Vollmond plötzlich am klaren Himmel sein Licht verliert, rührt der erschreckte Wilde die Trommel und seine Zauberer versuchen ihre Beschwörungen. Die Mondfinsternis ist ihm nicht Natur, sondern ein übernatürliches Ereignis, gesetzlos, zufällig, daher furchterregend. Dieses fragwürdige Erlebnis tritt in die Reihe des gesetzlich Bestimmbaren und damit des objektiv Wirklichen, wenn den Sternkundigen durch die Beobachtung von Generationen die Periode des Saros bekannt ist, nach welcher die Finsternisse alle achtzehn Jahre sich wiederholen. Aber die höchste Stufe des Objektiven, nämlich die mathematische Gewißheit, erreicht das Ereignis erst für den modernen Astronomen, der nicht nur sein Eintreten bis auf die Minute genau bestimmt, sondern auch seinen ursächlichen Zusammenhang in der gesetzmäßigen Bewegung der Himmelskörper nachweist. Jetzt erst gehört das Ereignis zur Natur im wissenschaftlichen Sinne, d. h. zu derjenigen Gruppe der Erscheinungen, die, abgelöst von allem subjektiven Vermuten, von aller Furcht und Hoffnung des Menschenlebens, eine unantastbare Wirklichkeit der Existenz besitzen in dem gesetzlichen Zusammenhange des mathematisch formulierbaren Denkens.
Und das ist denn auch der Entwicklungsgang der Naturwissenschaft gewesen, daß sie gelehrt hat, die Erscheinungen, die dem einzelnen nur als subjektive Empfindungen gegeben sind, durch mathematische Größen als allgemeingültige Realitäten zu definieren. Denn dadurch erst sind sie mit Sicherheit zu bestimmen, wiederzuerkennen und zu beherrschen.
Töne, die wir durch die Stimme hervorbringen, sind zunächst nur ein subjektives Erlebnis. Zwar gestatten sie eine gewisse Vergleichung, aber diese beruht auf dem unmittelbaren sinnlichen Eindruck, nicht auf einer objektiven Bestimmung. Man kann einem andern nicht genau mitteilen, welchen Ton man meint, wenn man ihn nicht direkt vorsingt, und auch dann bleibt es noch unbestimmt, ob man sich nicht selbst über die Höhe täuscht. Selbst die Fixierung in der Notenschrift gewährleistet noch keine absolute Bestimmung der Tonhöhe, wenn man nicht den Kammerton der Stimmung objektiv festzustellen vermag. Eine solche, von der sinnlichen Empfindung unabhängige Objektivität gewinnen die Töne erst, wenn sie durch mathematische Größen auszudrücken sind. Derjenige Ton, der durch 435 Schwingungen in der Sekunde hervorgebracht wird, ist durch diese Zahl absolut definiert, und seine Höhe ist unter allen Umständen zu allen Orten und Zeiten als dieselbe wieder zu erzeugen. Erst durch die Zurückführung auf das akustische Gesetz hat der Ton objektive Realität gewonnen; er bezeichnet jetzt nicht mehr ein bloß subjektives Erlebnis, sondern einen objektiven Vorgang.
Ebenso ist es mit den Farben. Die Erscheinung der Farben war der Menschheit immer bekannt, und in dieser Hinsicht besitzen sie eine gewisse Objektivität, insofern sie nach Regeln technisch erzeugt werden können. Aber diese Stufe der Wirklichkeit beruht nur auf der sinnlichen Vergleichung; wissenschaftlich objektiviert und dadurch Natur im Sinne der strengen Gesetzlichkeit wurden die Farben erst, als Newton gelehrt hatte, sie durch eine Zahlengröße darzustellen, nämlich durch die verschiedene Stärke ihrer Brechung, und noch mehr, als die Undulationstheorie des Lichtes gestattete, die Wellenlänge zu messen, die einer bestimmten Stelle im Spektrum entspricht. Es ist bekannt, wie schwierig verschiedenen Individuen es wird, sich über eine bestimmte Farbennüance zu einigen, ebenso, wie die Farbe eines Körpers von der Beleuchtung abhängt. Soweit es sich hier um subjektive Einflüsse handelt, oder, wie im zweiten Falle, um Bedingungen, die nicht in allen Einzelheiten bekannt sind, weil man die Zusammensetzung der vorliegenden Farbe oder der Lichtquelle nicht kennt, steht der Beobachter dem Verlauf dieses Ereignisses, d. h. dem eintretenden Farbeneffekt, in ähnlicher Ungewißheit gegenüber, wie der Wilde der Mondfinsternis. Dagegen ergibt sich eine vollständige objektive Sicherheit, sobald der Physiker die Wellenlängen der Strahlen kennt, die auf den Körper fallen und von ihm zurückgeworfen werden, weil alsdann alles zahlenmäßig bestimmt ist. Und bei einer solchen Einreihung einer subjektiven Erfahrung in die Gesetzmäßigkeit der Natur handelt es sich dann nicht bloß um die Feststellung irgend einer einzelnen Erkenntnis, sondern es werden dadurch große, neue Gebiete der Wirklichkeit tatsächlich eröffnet; es wird Natur geschaffen, die vorher nicht als Natur, d. h. nicht als gesetzmäßig feststellbares Ereignis vorhanden war.
Wenn sich z. B. ein Stern nahezu in der Richtung auf unser Sonnensystem hin oder in entgegengesetzter Richtung fortbewegt,