als Körper, deren Teile und Organe durch das Nervensystem mit den übrigen Körpern in gesetzlicher Wechselwirkung stehen, so dürfen wir sagen, weil wir solche Körper sind, sind wir beseelt; und betrachten wir uns als Seelen, die als eine Einheit sich ihrer Zustände bewußt sind, so dürfen wir sagen, weil wir Seelen sind, so leben wir. Tatsächlich können wir nicht eins durch das andere erklären. Aber es scheint so, da beide Tatsachen aneinander haften, daß wir das eine erklärt haben, wenn wir das andere zu erklären vermöchten. Wüßten wir genau, wie alle Wechselwirkungen zwischen der Welt und unseren Organen und dem Gehirn vor sich gingen, so wäre uns – vielleicht – geholfen. Nun wissen wir das aber nicht. Dagegen scheint es dem naiven Bewußtsein ganz selbstverständlich, daß wir wissen, was in uns selber als beseelten Wesen vor sich geht. Und das ist ja auch gewiß, daß wir uns als lebendige Wesen in Wechselwirkung mit unserer Umgebung fühlen. Daher ist denn in der Geschichte des Denkens der Versuch, die Wechselwirkung der Körper zu begreifen, nicht von der mechanischen Bewegung, sondern von der Seele ausgegangen. So lange wir eine Seele haben, leben wir und bewegen uns: also wird auch das ganze Universum, da es sich bewegt, leben und eine Seele haben.
Heute erscheint uns dieser Schluß sehr fraglich. Durch die Entwickelung der Naturwissenschaft haben wir eben die Wechselwirkung der Körper als eine besondere Realität kennen gelernt, die in dem Gesetze notwendigen Geschehens begründet ist, während die Erscheinungen des Bewußtseins vom Gefühl der Freiheit begleitet sind. Deswegen sträuben wir uns gegen die Annahme der Weltbeseelung, welche die Natur gesetzlos zu machen droht; zum mindesten ist sie für das Naturerkennen überflüssig. Aber im Beginn der Naturerkenntnis, als Platon den Begriff der Weltseele für die Wechselwirkung der Körper in Anspruch nahm, lag die Sache nicht so. Damals waren die Begriffe Bewegung und Bewußtsein, körperlich und seelisch noch keineswegs in strenger Weise geschieden. Alles Geistige wurde zugleich körperlich gedacht, und so konnte auch die Veränderung des Körperlichen aus seelischen Vorgängen erklärt werden.
Es ist eine volkstümliche Ansicht, welche die wissenschaftliche Betrachtung der griechischen Philosophen schon vorfand und in ihre Weltauffassung mit aufnahm, daß die Seele, insofern sie Leben und Bewußtsein bedingt, ein Stoff sei, der Ausdehnung im Räume besitzt. Das Wort für Seele – Psyche – Anima – bedeutet den Atem, den Lebenshauch. Er ist das Zeichen des Lebens: wir hauchen die Seele aus. Mit dem Atem beginnt und verschwindet das Leben. Und der Atem ist warm; hören wir auf zu atmen und zu leben, so werden wir kalt und starr. Darum gilt die Seele zugleich als Lebenswärme. So wird denn auch die Weltseele als ein seiner Stoff gedacht, der das Universum erfüllt, die Wärme desselben bedingt und das Ganze in Bewegung erhält. Diesen Gedanken hat Heraklit, genannt der dunkle Philosoph, bereits ein Jahrhundert, bevor Platon wirkte, zur Grundlage seiner Welterklärung gemacht. Durch Verschmelzung mit der platonischen Lehre von der mathematischen Wirkungsweise der Weltseele ist daraus eine Vorstellung entstanden, die noch heute der modernen Naturwissenschaft unentbehrlich ist, nämlich nichts Geringeres als der Begriff vom Weltäther.
Wie Platon durch die ewige Geltung des mathematischen Gesetzes der Naturwissenschaft ihr Fundament gab, so lieferte Heraklit ihr eine Anschauung, die ihr den Zusammenhang mit dem bunten Wechsel der sinnlichen Erscheinung zu erhalten vermochte. Denn wenn die platonische Idee die Realität für sich allein in Anspruch nahm, so mußte die sinnliche Empfindung schließlich als trügerischer Schein betrachtet werden, und dadurch verlor sich das Interesse für die Natur. Heraklit dagegen lehrte umgekehrt, daß gerade der unablässige Wechsel, daß die Veränderung selbst das eigentliche Wesen der Dinge sei; die Dinge vergehen; die Veränderung bleibt. Nach Platon ist auch die Veränderung Schein, es bleibt nur das Gesetz. Heute sagen wir: Das Gesetz der Veränderung ist es, wodurch die Natur bestimmt wird. Die Realität eines Zustandes sehen wir darin begründet, daß mit ihm zugleich der auf ihn folgende Zustand notwendig, d .h. durch ein Gesetz, bedingt ist. Wir nennen das Kausalität. Beleuchten wir einen bewegten Körper, etwa einen fallenden Tropfen, durch einen momentanen Lichtblitz, so scheint er zu ruhen: ob er ruht oder wirklich fällt, wird bestimmt durch die Folgen, die an diesen Zustand geknüpft sind, d. h. sein Zustand ist der der Ruhe oder der Bewegung, je nachdem sich seine Lage zu benachbarten Körpern im nächsten Zeitteil verändert; diese Veränderung ist entscheidend über die Natur eines gegebenen Zustandes. Der moderne Gedanke der Naturerklärung ist also, die Natur zu beschreiben als den gesetzlichen Zusammenhang zwischen den Veränderungen der Zustände. Der Wert, den Heraklit auf die Veränderung als das Wesen der Dinge legte, konnte daher wesentlich dazu beitragen, auf den Punkt hinzuweisen, an welchem die Naturwissenschaft den Hebel der Erkenntnis anzusetzen habe, den Platon im mathematischen Gesetze entdeckt hatte. Wenn es möglich wurde, das Gesetz der Veränderung mathematisch zu formulieren, so war damit der Eingang in die Naturwissenschaft gewonnen. Dieses Mittel bietet seit Leibnitz die Differenzialrechnung.
Doch was hat dies mit der Weltseele und dem Weltäther zu tun? Eben dies, daß das Suchen nach dem Gesetz der Wechselwirkung der Dinge im Universum darin bestand, die Vorstellungen von der Weltseele und dem Weltäther auszubilden, bald, indem man sie phantastisch in eins zusammenzog, bald, indem man die mechanische Wirkung im Äther von der zweckmäßigen der Seele zu trennen suchte.
»Die Welt hat weder der Götter noch der Menschen einer gemacht, sondern sie war immer und ist und wird sein, ein ewig lebendes Feuer«, so lehrte Heraklit, und er wollte damit sagen, der Bestand der Welt beruht darauf, daß sie in fortwährendem Vergehen und Neuentstehen begriffen ist. Es gibt nichts Beharrendes, sondern »alles wird umgetauscht gegen Feuer, und Feuer gegen alles, wie Waren gegen Gold, und Gold gegen Waren.« Denn »Feuer« – damit meint er aber nicht bloß die Flamme, sondern die Wärme überhaupt – ist der Stoff, der alles umwandelt und aus dem alles wieder hervorgeht. Die Harmonie der Welt hat ihren Grund in der gegenseitigen Spannung der Gegensätze, wodurch eben alles, was ist, nur die Bedeutung eines Durchgangspunktes besitzt, während der in dieser Spannung bedingte Umtausch der Zustände in einander das wahrhaft Reale ist. Das Feuer, man könnte sagen der Äther, wie man im achtzehnten Jahrhundert der »Wärmestoff« sagte, ist der Träger dieser Umwandlungen. Wer denkt dabei nicht an die Energie und ihre Formen, die das Äquivalent der umzutauschenden Werte mißt, und deren gegenseitige Spannung den Eintritt des Geschehens bestimmt? Es ist in der Tat derselbe Gedanke, der bei Heraklit vorliegt, und was ihm zur modernen Auffassung fehlt, ist nur die Kenntnis des mathematischen Gesetzes, die quantitative Äquivalenzbeziehung und damit freilich das, was die Wissenschaft von der Dichtung unterscheidet.
Wäre dieser Gedanke Heraklits von den Schülern Platons so mit dessen Lehre verbunden worden, daß man die Auffindung des mathematischen Gesetzes der Veränderung als Ziel der Naturerklärung angestrebt hätte, so wäre vielleicht die Entwickelung der Naturwissenschaft in einer weniger verschlungenen Linie verlaufen. Aber der große Nachfolger des Platon, Aristoteles, schlug eine andere Richtung ein, er machte den Zweck zum Prinzip der Naturerklärung. Und Aristoteles, im Mittelalter der anerkannte Philosoph der Kirche, beherrschte die Wissenschaft der ganzen abendländischen Welt. Wir finden daher die Spuren von Heraklit und Platon nur in einer Reihe nebenhergehender Weltanschauungen, die erst dann von maßgebendem Einfluß wurden, als die neuen Entdeckungen der empirischen Forschung das aristotelische Weltsystem sprengten.
In dieser Hinsicht war die Lehre der Stoiker ganz besonders wirksam. Sie nahm den heraklitischen Gedanken auf und übermittelte ihn der Neuzeit in der Form, daß alle Veränderung eine stoffliche Grundlage besitze. Auch die Atomistik des Altertums, die namentlich durch Epikur neue Verbreitung fand, hätte den gleichen, für die Naturwissenschaft kaum entbehrlichen materialistischen Zug unterstützen können. Aber zwei Umstände machten sie für diese Vermittlerrolle weniger geeignet als die stoische Weltansicht. In physikalischer Hinsicht stand nämlich die Atomistik dem herrschenden System des Aristoteles, der die Teilbarkeit der Materie ins Unendliche lehrte, viel schroffer gegenüber als die Lehre der Stoiker, die als Gegner der Atomistik in diesem Punkte wenigstens mit Aristoteles übereinstimmten. Galt doch die aus der stoischen Schule hervorgegangene Schrift »über den Kosmos« durchweg als eine echte Schrift des Aristoteles. Dazu kam zweitens, daß Epikur seiner Moral wegen als ein höchst verwerflicher Philosoph galt, während die strenge Tugendlehre der Stoiker bei der christlichen Welt größeres Vertrauen zu erwecken imstande war.