Kurd Lasswitz

Wirklichkeiten


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zur mechanischen Auffassung gestaltet. Wir können in Keplers Werken literarisch die Umwandlung der Weltseele in die mechanisch vermittelte Wechselwirkung anziehender Kräfte deutlich verfolgen. Es handelt sich um die Bewegung der Planeten.

      In der ersten Ausgabe seines Werkes »Mysterium Cosmographicum« (1596) nimmt Kepler noch an, daß die Planeten durch Seelen bewegt werden, die entweder in ihnen selbst oder in der Sonne ihren Sitz haben. Da sich die entfernteren Planeten langsamer bewegen, so meint er, daß entweder die bewegenden Seelen der Planeten um so schwächer sein müssen, je weiter sie von der Sonne entfernt sind, oder daß es eine bewegende Sonne geben müsse, welche die näheren Planeten kräftiger anregt. Auch in den »Paralipomena ad Vitellionem« (1604) schreibt er der Sonne noch eine Seele zu. In der Schrift über den Planeten Mars dagegen, die unter dem Titel »Astronomia nova« 1609 erschien und die beiden ersten der berühmten nach ihm genannten Gesetze enthält, bestreitet er ausdrücklich, daß es bewegende Seelen der Planeten gäbe. Er faßt seine Gesetze als physische auf, die Bewegung als beruhend auf einer körperlich vermittelten Anziehung, als eine reine Wechselwirkung. Schon in einem Briefe an Fabricius im Jahre 1605 hatte er die irdische Schwere, die den geworfenen Stein herabfallen läßt, als eine Kraft betrachtet, die wie der Magnet Ähnliches zusammenzieht; nun überträgt er diese Vorstellung auch auf kosmische Verhältnisse. Die Anziehung ist eine gegenseitige zwischen allen Körpern. Wenn zwei Steine sich irgendwo ohne äußere Beeinflussung befänden, würden sie sich ähnlich wie zwei magnetische Körper einander nähern. Dies gelte ebenso von den Planeten und der Erde in Bezug auf die zu ihnen gehörigen Körper wie auch in Bezug auf den Mond, und wechselseitig von diesem auf die Erde, deren Wasser er erhebt; ja es gelte auch für die Sonne in bezug auf die Erde.

      Die Ursache der langsameren Bewegung der Planeten sucht Kepler jetzt in ihrer Trägheit, und in der zweiten Ausgabe des »Mysterium Cosmographicum« macht er endlich folgenden höchst belehrenden Zusatz:

      »Wenn man für das Wort »Seele« das Wort »Kraft« einsetzt, so hat man das eigentliche Prinzip, worauf die Physik des Himmels in der Abhandlung über den Mars begründet und im 4. Buche der Epitome Astronomiae ausgebaut ist. Ehemals glaubte ich, daß die bewegende Ursache der Planeten durchaus eine Seele sei, da ich nämlich vollgesogen war von den Lehren J. C. Scaligers über die bewegenden Intelligenzen. Aber als ich erwog, daß diese bewegende Ursache mit der Entfernung sich abschwäche, daß auch das Licht der Sonne mit der Entfernung von derselben sich verringere, so schloß ich daraus, daß diese Kraft etwas Körperliches sei, wenn nicht im eigentlichen, so doch wenigstens im übertragenen Sinne.«

      Was könnte bezeichnender sein für die Vertreibung der Weltseele durch das Gesetz der Mechanik als dieses Selbstbekenntnis Keplers? Die Berücksichtigung der quantitativen Verhältnisse fordert eine Erklärung der Naturerscheinungen, die sich aus den tatsächlichen Messungen bestätigen laßt.; eine solche kann die Seelentheorie nicht gewähren. Die Astronomie will von nun ab nach Prinzipien der Mechanik behandelt sein. Und diese bot ihr Galilei dar. In derselben Zeit, in welcher Kepler sich für die mechanische Erklärung der Planetenbewegung entschied, entdeckte Galilei die Grundgesetze der Bewegung.

      In Galilei ist die Auffassung überwunden, daß die Wechselwirkung der Körper in einer Betätigung der Weltseele bestehe. Die Bewegung gilt ihm als ein Vorgang, dessen Realität eine Gesetzlichkeit besonderer Art darstellt, die sich mathematisch ausdrücken läßt. Wenn ein Körper in Bewegung ist, so geschieht dies nicht weil ein Lebensgeist in ihm steckt und die Bewegung erhält, verzögert oder beschleunigt, sondern die Bewegung ist selbst eine intensive Größe, sie ist bestimmbar als Wirkungsfähigkeit des bewegten Körpers. Wie diese Erhaltung, Veränderung und Zusammensetzung der Bewegungen meßbar sind, das lehrte Galilei; damit schuf er die neue Wissenschaft, die Mechanik, und damit vertrieb er die Seelenkräfte aus der Materie, indem er eben die neue Realität der Wirkungsfähigkeit der Materie als das Prinzip der Wechselwirkung einführte, woraus der Begriff der Energie sich entwickelt hat. Galileis Weltanschauung ist daher durchaus mechanisch. Die Dinge und ihre Eigenschaften beruhen ganz allein auf der Verteilung der Materie im Räume und ihrer Bewegung, d.h. auf der Wechselwirkung der bewegten Materie mit unserm eigenen Körper. Hiermit ist der Übergang von der organisch-beseelten Körperwelt zur mechanischen Naturauffassung vollzogen. Die Natur hat ihre eigenen Gesetze, und wir erkennen sie.

      Diese Grundlage der modernen mathematischen Naturwissenschaft gewinnt ihren vollständigen Sieg im weiteren Verlaufe des siebzehnten Jahrhunderts. Bewegung ist der Inhalt der Wirklichkeit. Aber wir sehen Wirkung auftreten auch dort, wo sinnlich keine Bewegung wahrnehmbar ist, durch den scheinbar leeren Raum hindurch und zwischen den unsichtbaren Teilchen der Körper. Die Weltseele hat ihre bewegende Kraft eingebüßt, die Bewegung jedoch bedarf eines Trägers, der zwischen den Körpern ihre Mitteilung ermöglicht. Somit wird die Weltseele zum Weltäther. Sie verliert ihre psychische Qualität, behält aber die physische Eigenschaft der Ausdehnung und Raumerfüllung. Noch immer stellt sie den feinsten aller Stoffe dar, der aus den kleinsten, mit der größten Geschwindigkeit sich bewegenden Teilchen besteht. Aber sie ist nur noch Stoff, der von Anfang an, von der Weltschöpfung her mit bestimmten Bewegungen begabt ist, und diese nun nicht mehr nach Maßgabe von Lebensgeistern, sondern lediglich nach mechanischen Gesetzen im Räume von Körper zu Körper überträgt.

      Auch dieser Begriff des Weltäthers hatte seine Quelle in der griechischen Philosophie und zwar in der Atomistik Demokrits, die, wie schon erwähnt, durch Epikur aufgenommen worden war. Die antike Atomistik bietet eine durchaus mechanische Welterklärung dar. Es gibt nichts als die im leeren Räume nach Gesetzen der Bewegung durch einander wirbelnden und von einander abprallenden Atome. Alles Werden und Vergehen besteht in dem Zusammenfluß und der Trennung dieser Teilchen; die Wechselwirkung zwischen den Dingen ist also durchaus stofflich, sie besteht in den gegenseitigen Aus- und Einströmungen der Atome.

      Die mechanische Weltauffassung der Atomistik hatte jedoch gegenüber dem System des Aristoteles nicht aufkommen können. Auch diejenigen, welche die anschauliche atomistische Vorstellung der Materie wohl als vorteilhaft erkannten, konnten sie doch nicht anders zur Naturerklärung verwerten, als indem sie die Wechselwirkung der Atome sich durch eine geistige Kraft, eine Weltseele vermittelt dachten. Denn wie sollten sonst die Atome sich durch den leeren Raum hindurch beeinflussen? Diese Schwierigkeit trug mit zu der früher erwähnten Vorstellung bei, sich den Raum als Weltseele zu denken. Sobald nun aber die Weltseele durch das mechanische Gesetz verdrängt wurde, sobald die Bewegung der Körper als eine selbständige Form des Seins sich auffassen ließ, konnte die atomistische Struktur der Materie wieder zur Naturerklärung benutzt werden. Und die großen Vorteile dieser Theorie zeigten sich dann sofort. Die Atomistik wurde unter dem Namen der Korpuskulartheorie die herrschende Erklärungsform der Natur im siebzehnten Jahrhundert. Und sie ist es bekanntlich, im großen und ganzen bis heute geblieben. Im siebzehnten Jahrhundert waren es die Philosophen Descartes, Gassendi und Hobbes und die Physiker Boyle, Guericke und Borelli nebst vielen anderen, die der Atomistik zum Siege verhalfen. Ihre wissenschaftliche Vollendung jedoch erhielt sie durch Christian Huygens, gestorben am 8. Juli 1695; er gründete die Gesetze der Atombewegung auf Prinzipien der Mechanik, indem er als Grundgesetze aller Wechselwirkung in der Bewegung der Atome die Erhaltung der Summe der Energie aufstellte. Damit beseitigte er die Einwände, welche gegen die Atomistik auf Grund der Eigenschaften der Atome gemacht zu werden pflegen, weil man sich diese weder starr noch elastisch denken könne. Denn im ersteren Falle könnten sie beim Stoße nicht ihre Bewegung zurückerhalten, im letzteren Falle müßten sie aus verschiebbaren Teilchen bestehen. Merkwürdigerweise kann man diesen Einwurf auch heute noch überall hören. Aber auf die Beschaffenheit der Atome kommt es gar nicht an. Ob die Atome starre Körperchen sind, ob sie sich stoßen, oder nicht, das sind Fragen der Veranschaulichung, die die mathematische Konstruktion der Erscheinungen nichts angehen. Wissenschaftlich kommt es nur darauf an, daß die tatsächlichen Bewegungen im mathematischen Gesetze beschrieben sind, d.h. daß man aus der gegebenen Lage und Bewegung der Teilchen die Lage und Bewegung im nächsten Zeitabschnitt berechnen kann. Einen solchen gesetzlichen Ausdruck hat Huygens für die kinetische Theorie der Materie geliefert, wie ihn Newton in seinen berühmten Fernkräften für die dynamische schuf.

      Alle diese atomistischen Theorien der