Timo Storck

Abwehr und Widerstand


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in Vorb. b). Es lassen sich also eine weite Begriffsfassung (Übertragung bedeutet, dass Affekte oder Fantasien im Umfeld einer anderen Vorstellung bewusst erlebbar werden) und eine enge Begriffsfassung (Übertragung bedeutet, dass eine Beziehung davon geprägt wird, was in anderen Beziehungen erlebt wurde) unterscheiden. Für unterschiedliche psychische Störungen lassen sich unterschiedliche charakteristische Übertragungsformen und -phänomene beschreiben, zudem wird das Konzept in verschiedenen psychoanalytischen Richtungen unterschiedlich verstanden und führt auch zu unterschiedlichen Handhabungen in der Technik. Zugleich zeigt sich darin, dass Übertragungsphänomene weder auf die klinische Situation, noch auf psychisch kranke Menschen beschränkt sind. Erkennt man an, dass das Konzept sich vor allen Dingen darauf bezieht, dass und wie aktuelle Beziehungen im Licht der vergangenen erlebt und gestaltet werden, dann hat dies auch eine Relevanz dafür, wie Psychoanalytiker ihre Patienten erleben1. Es kann zwischen Gegenübertragung (als zunächst erlebnismäßiger »Beantwortung« der Übertragung des Patienten durch den Analytiker) und Eigenübertragung (als eigene, d. h. patientenunabhängige Anteile, die der Analytiker einbringt) unterschieden werden, wobei wichtig ist, dass es sich um eine konzeptuelle und somit abstrakte Unterscheidung handelt, was die Herausforderung mit sich bringt, in konkreten Situationen das Zusammenwirken beider reflektieren zu können. Die Konzepte Übertragung und Gegenübertragung sollten dabei nicht als etwas missverstanden werden, das sich auf konkret trennbare, womöglich aufeinander folgende Prozesse bezieht – vielmehr geht es um die gemeinsam gestaltete Szene in der analytischen Situation, die demzufolge auch szenisch verstanden wird, um so zu erkennen, was im »Hier-und-Jetzt« der konkreten Begegnung hinsichtlich der Modi des Erlebens von Beziehung und Affekt leitend ist (neben dem methodologischen Konzept des szenischen Verstehens ist hier auch der Begriff der projektiven Identifizierung in seiner behandlungstechnischen Bedeutung wichtig; weiter unten wird er in der Bedeutung als Abwehrmechanismus erläutert, image Kap. 3.1.16).

      Einige Fragen sind dabei bislang offen geblieben, in erster Linie solche, die sich darauf beziehen, wie nun etwas unbewusst wird oder wie die (Abwehr-!) Prozesse, die für Unbewusstheit sorgen, ihrerseits motiviert sind. Wie lässt es sich auf den Begriff bringen, dass es in irgendeiner Weise zielgerichtete Prozesse gibt, die allerdings, um überhaupt etwas unbewusst werden oder bleiben lassen zu können, ihrerseits unbewusst sind? Ein weiteres Feld, das genauer beleuchtet werden muss, ergibt sich aus der Erkenntnis, dass es in analytisch-therapeutischen Veränderungsprozessen nicht damit getan ist, Patienten darauf hinzuweisen, dass ihnen etwas unbewusst ist, und was – und sei es noch so sehr in der aktuellen Beziehung spürbar. Denn der Annahme folgend, dass bewusste Erlebensweisen, und insbesondere psychopathologische Symptome, Versuche sind, mit psychischen Konflikten umzugehen, muss auch angenommen werden, dass einmal gefundene psychische Kompromissbildungen (aus unterschiedlichen Motiven, zur Bewältigung motivationaler und repräsentationaler Konflikte) nicht so leicht aufgegeben werden. Der Behandlungsprozess muss also einen Umgang damit finden, dass sich Widerstandsphänomene zeigen, die sich gegen die Veränderung, die in erster Linie auch als Verunsicherung erlebt wird, richten.

      2 Die Konzeption von Abwehr und Widerstand bei Freud

      In der TV-Serie Futurama wird die einigermaßen ferne Zukunft der Menschheit thematisiert, in der Menschen, Wesen von anderen Planeten und Roboter zusammenleben und Zeitreisen und allerlei andere Errungenschaften verfügbar sind – darüber hinaus zeigen sich aber Themen menschlicher Gefühle, Konflikte und Handlungen, die alles andere als fern sind. Im Zentrum steht das Leben der Besatzung eines interplanetaren Paketzustelldienstes (»Planet Express Inc.«). In einer Folge (»Lethal inspection«, 2010) geht es darum, dass der Roboter Bender, trotz vermeintlich perfekter Produktion und Wartung, Öl verliert. Er weist dies zunächst ab, muss dann aber erkennen, dass ein starker Strahl Öl aus seiner Seite herausschießt. Der Schiffsarzt Dr. Zoidberg, ein hummer-ähnlicher Außerirdischer, ruft daraufhin: »Das nennst du eine Tinten-Abwehr!?«, reißt sich die Kleider vom Leib, versprüht im ganzen Raum Unmengen von Tinte und rennt aus dem Raum…

      Anders als die Tinten-Abwehr haben psychische Abwehrmechanismen in grundlegender Betrachtung mit einer Abwehr gegen innere »Reize« zu tun, auch wenn anerkannt werden muss, dass diese nicht losgelöst von vorangegangener Erfahrung und auch nicht von ihren Folgen auch für soziale Situationen betrachtet werden können. Es ist eines der wichtigsten Anliegen Freuds gewesen, in der Auseinandersetzung vor allem mit Träumen und psychischen Störungen etwas über die »Allgemeine Psychologie« des Menschen zu erforschen (vgl. Billhardt & Storck, 2021; Storck & Billhardt, 2021). Dabei stehen für ihn die Annahmen zu psychischen Konflikten, der Rolle der Abwehr darin und die Folge der Unbewusstheit von Elementen der psychischen Welt im Zentrum, die er als allgemein menschliche Merkmale auffasst, nicht allein als psychopathologische Konzepte. Entsprechend formuliert auch König (1995a, S. 11): »Ein Leben ohne Abwehrmechanismen ist nicht denkbar.« Abwehr ist nicht einfach nur etwas, das Symptome produziert, sondern bedeutet immer auch die zumindest versuchte Bewältigung schwieriger Erlebnisse, Affekte oder innerer Konflikte.

      2.1 Die Grundidee der psychischen Abwehr

      In Freuds Auffassung der Abwehr in allgemeiner Hinsicht (um einzelne Abwehrmechanismen wird es in Kapitel 3.1 gehen, image Kap. 3.1) lassen sich drei Merkmale erkennen:

      Erstens richtet sie sich auf einen inneren Reiz. Freud schreibt, der »Abwehrvorgang« sei »analog der Flucht«, er stelle »einen Fluchtversuch vor einer Triebgefahr dar« (Freud, 1926d, S. 176). Zieht man allerdings hinzu, dass Freud den Trieb als etwas begreift, das »nicht von außen, sondern vom Körperinnern her angreift«, und daher »auch keine Flucht gegen ihn nützen« kann (Freud, 1915c, S. 212 f.), wird deutlich, dass die hier beschriebene Flucht sozusagen eine Flucht im Erleben ist. Gegen einen unangenehmen äußeren Reiz, etwa ein blendendes Licht, kann ich mich schützen, indem ich mich wegdrehe, eine Hand vor die Augen halte oder schlicht den Raum verlasse. Gegen die »Triebgefahr« kann ich mich nicht derart schützen, allerdings hilft das Bild der Flucht dabei weiter, sich vorzustellen, dass es um ein ähnliches Ausweichen vor Unangenehmen geht, das allerdings die innere Welt umarbeitet: »Die Abwehrvorgänge«, so Freud (1905c, S. 266), »sind die psychischen Korrelate des Fluchtreflexes und verfolgen die Aufgabe, die Entstehung von Unlust aus inneren Quellen zu verhüten«. Es ist jedoch zu beachten, dass die Konzeption von Triebgefahr und Abwehr nicht in a-sozialer, von der Außenwelt unabhängige Weise entsteht und sich vollzieht. Freud meint nämlich, dass die »Triebregungen zu Bedingungen der äußeren Gefahr und damit selbst gefährlich« (1926d, S. 177) werden, insofern die triebbestimmten Handlungen in der Außenwelt bestimmte Folgen haben. Damit ist die Abwehr immer dadurch motiviert, wie sich Triebregung und Realitätsprinzip vereinbaren lassen. Im Kern richtet sie sich dabei auf einen inneren Reiz: Das Bewusstwerden der Triebregung würde Angst, Scham oder Schuldgefühle nach sich ziehen, hätte unangenehme Folgen in der inneren und äußeren Welt.

      Damit ist bereits das zweite Merkmal der Abwehr angesprochen: Sie dient der Unlustvermeidung. In der Konflikttheorie ist beschrieben, dass sich ein Gegeneinander aus dem Streben nach Lust bzw. Befriedigung und dem Vermeiden von Unlust ergeben kann. Die Befriedigung eines »Triebes« (besser: Triebwunsches) wäre »an sich lustvoll […], aber sie wäre mit anderen Ansprüchen und Vorsätzen unvereinbar; sie würde also Lust an der einen, Unlust an der anderen Seite erzeugen. Zur Bedingung der Verdrängung ist dann geworden, daß das Unlustmotiv eine stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungslust.« (Freud, 1915d, S. 249) Freud entwirft hier ein einfaches Modell dessen, was man Lust-Unlust-Bilanz nennen könnte: Die Abwehr setzt dann ein,