Hans Leip

Des Kaisers Reeder


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Konten, seines Namens und seiner weit verzweigten Verschwägerung die nachgesuchten „Parten“ nicht mißgönnte.

      Parten, so nannte man die schon langsam veraltenden Vorläufer der Aktien. Es waren private Anteile am Geschäft der Schiffahrt in Papieren, die nicht offen an der Börse notiert wurden. Somit ging alles ganz ordentlich vonstatten. Der Umbau der beiden Frachter konnte beginnen. Ballin machte täglich selber einen Sprung zur Werft hinüber, so daß die Ausstattung beinahe so „komisch vergeuderisch“ ausfiel, wie er es sich gedacht hatte.

      Bislang hatte man Seetransporte als Aufgabe der Frachtverstauung angesehen. Für die Sicherheit des Schiffes galt als notwendig, den Raum lückenlos auszufüllen, nicht nur wegen der Buchführung, sondern auf daß durch Verrutschen der Ladung keine Schlagseite und damit die Gefahr des Kenterns entstehe.

      Dieses Prinzip suchte man auch auf die Personenbeförderung anzuwenden, vormals auf Transporte schwarzer Sklaven oder weißer Truppen, denen ein Einspruch nicht zustand, wie es denn auch Kasematten, Baracken gewisser staatlicher Unterkünfte an Land oder auf See bis heute nicht nötig haben, die Berechtigung von Bequemlichkeiten anzuerkennen. Zahlende Gäste hingegen, solange sie nicht als Herdenvieh auftraten, konnten bescheidene Ansprüche stellen; immerhin galt der private Reiseverkehr noch Anfang der achtziger Jahre keineswegs als Vergnügen.

      Wachsender Wohlstand, der Aufschwung der Industrie, die Entwicklung der Technik, die Ausweitung der Handelsbeziehungen schufen um diese Zeit den Typ des Reisenden, der den Komfort des Hotels auch auf See nicht missen wollte. Als erste deutsche Linie erkannte der Norddeutsche Lloyd die Notwendigkeit, die Menschen, wie bei der Eisenbahn, auch zur Beförderung in Klassen einzuteilen. So blieben die besseren Leute unter sich, in der ersten Kajüte mittschiffs in Kammern zu zwei Betten, der Mittelstand fuhr zweiter Kajüte nahe der rummelnden Schiffsschraube und mußte den engeren Schlafraum mit mehreren teilen, fand sich auch entsprechend weniger üppig mit Verpflegung, Salon und Bequemlichkeiten betreut.

      Das Zwischendeck jedoch – später nannte man es dritte oder vierte Kajüte – entsprach dem Standard der Lohnsklaven und des vierten Standes, des Proletariats. Er gehörte ins Vorschiff und unter die Wasserlinie, neben die Unterkünfte der Mannschaft, wo es am unangenehmsten schaukelt und bei Kollisionen der erste Stoß abgefangen zu werden pflegt.

      Die beiden Dampfer, die Carr nach Ballins Vorschlägen neu einrichten ließ, nahmen keine Rücksicht auf Standesunterschiede. Sie waren nicht luxuriös eingerichtet, aber dafür stand den Passagieren des Zwischendecks das gesamte Schiff zur Verfügung; es war ein Einklassenschiff. Kein „Zutritt verboten“ reservierte die besten Plätze, mit Ausnahme der Brücke und der Offizierskabinen, der Küche, der Maschine, der Proviant- und Frachträume. Aber das alles stand auch keinem Kajütpassagier offen.

      *

      Ballin war alsbald mit Prokura betraut worden und hatte die Passageleitung. Voller Genugtuung bestellte er Plakate bei dem besten Hamburger Drucker, der mit den riesigen wildfarbigen Ankündigungen des Zirkus Renz berühmt geworden war. Bald prangte auf Planken und Mauern in gelben, roten und schwarzen Tönen ein schmuckes Dampfschiff mit malerischer Rauchfahne und busenprall geblähten Segeln über einem weithin lesbaren Text.

      Auswanderer!

      Hamburg–New York

      Direkt

      Ohne umsteigen

      Besser und Billiger

      mit der

      Carr - Linie

      Agentur Columbia

      Hamburg, Baumwall 6

      Diese Reklame fiel nicht nur in der Vaterstadt überall auf, sondern ebenso in Schleswig-Holstein, in Mecklenburg und auf allen Bahnhöfen und Gasthäusern, wo die Columbia seit je eingeführt war. Man sah das Plakat auch in Wien und, entsprechend übersetzt, in Lodz, in Kalisch, in Munkacz, Budapest, Prag und Belgrad. Dafür sorgte der Partner Carrs und ließ seine Verbindungen spielen.

      Daß aber zwei dieser ins Auge springenden Affichen sich eines Morgens sogar links und rechts vom Eingang des Hapag-Gebäudes in der Deichstraße fanden, war allerdings, um mit John Meyer zu reden, ein „Sstarkes Sstück!“.

      „Wäre dieser so unverblümt ins Geschirr trompetende Carr nur bloß nicht vor ein paar Wochen persönlich hier gewesen“, sagte er und dämpfte die aufquellende Empörung mit einem Schluck Schottisch, wischte sich den Mund und fuhr fort, „so würde ich leugnen, ein Mann mit Reitpeitsche verstünde die Seefahrt, es sei denn, er ritte ein Walroß zu.“

      „Er wird wohl eins gefunden haben, lieber Meyer“, meinte Konsul Witt. Johann Witt, in Firma Witt & Büsch, Westafrika-Handel von der Glasperle bis zur Flintenkugel, vom Emailletopf bis zur Salonkarosse nebst Schnaps, Kurzwaren und Tabak. Rückfracht: Baumwolle, Palmkerne, Sesam und Elfenbein. Man hatte Faktoreien in Lagos und Porto Nove, zwei eigene Seedampfer und drei für den afrikanischen Küstenverkehr.

      Witt fühlte sich in allen Weltteilen zu Hause, er war Goldwäscher in Kalifornien gewesen und Negeraufseher in Nigeria, hatte zu Lagos Niederlassungen des Hamburger Hauses O’Swald geleitet und lebte schon lange in der Heimat, selbständig und wohlhabend, so daß er, falls er es wollte, Senator hätte sein können. Es genügte ihm aber, wegen gelegentlicher Beratung von Landsleuten im Ausland hin und wieder Konsul genannt zu werden, was der einzige Titel in den Hansestädten ist, den man außer dem des Senators schätzt. Neben seinen Kontor- und Lagerfunktionen gehörte er dem Vorstand der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt A.G. an, ohne gezwungen zu sein, Reden zu halten. Denn nichts haßte er mehr. Dafür waren seine privaten Äußerungen desto zwangloser. Er versagte sich selten Schilderungen seiner Abenteuer im Busch, schon um erkennen zu lassen, daß ihm aber auch gar nichts mehr imponieren könne.

      Zwanglos bediente er sich des wie üblich auf „Geschäftsunkosten“ dargebotenem Trink- und Rauchbaren und ließ den Blick begütigend über die sich vor Meyer häufenden Abrechnungen an Besatzungssorgen, Werft- und Dockkosten, Ausrüstungs- und Passagelisten gleiten.

      Meyer fing diesen Blick wie einen Eindringling ab und seufzte: „Konsul, Carr wird mit seinen Dampfern – ich hätte sie haben können – direktemang ins Unglück galoppieren. Übermut muß individuell kapseis gehen, wenn er nicht unbelehrbar verwerflich weiterwuchern soll. In meiner Ablehnung war ich mir der zustimmenden Ansicht des gesamten Vorstandes sicher, wie Seesalz gegen zugefrorene Siele.“

      Witt blickte belustigt aus dem Fenster. Draußen bemühte sich ein Bürodiener in Blau und Silberlitzen, die Plakate mit Wasser und Bürste von der Hauswand zu entfernen, ohne über anzüglichen Bemerkungen Vorübergehender die Würde zu verlieren. Meyer fuhr emphatisch fort: „Uns an die Wand zu drücken, dazu gehört mehr als Affiecherei.“

      „Sie sollten sich nach dem Leim erkundigen, Meyer“, meinte Witt, „dann würden unsere Maßnahmen vielleicht auch so trefflich angebracht sein.“

      „Herr Witt!“ Meyer erhob sich. „Wertester Konsul! Sie haben wohl diverse Aktien unserer Reederei, aber im übrigen dürften Sie, im Gegensatz zu uns, bewunderswert viel von den Bumbooten des afrikanischen Schelfs und den Bedürfnissen der Kruneger verstehen. Vergessen Sie nicht, daß unsere Packetfahrt als erste deutsche Linie gewagt hat, den Kampf gegen die amerikanische und englische Konkurrenz mit eisernen Schraubendampfschiffen aufzunehmen, über die alle Leute hier zuerst nur gelacht haben und meinten, sie könnten schneller mit ein paar alten Bettlaken übern Ozean segeln.“

      „Jetzt lachen andere, lieber Meyer.“

      „Ja, unsere Dividendenempfänger.“

      „Dann würde ja auch ich lachen.“

      „Konsul, eher könnte man einem Gorilla die Gretchen-Arie beibringen, als Ihnen ein gottgefälliges Mienenspiel. Haben wir nicht neue Prachtdampfer im Bau, einen auf englischer Werft und in Hamburg und in Stettin ebenfalls?“

      „Wie groß?“

      „Je über dreieinhalbtausend Bruttoregistertonnen; ist das ein Kaninchenstall?“

      „Gegen das, Meyer, was sonst an Qualität auf dem Atlantik schwimmt, ja. Bremen baut genau doppelt so groß.“