Hans Leip

Des Kaisers Reeder


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      „Eben! Und wie will Bremen diese unvorstellbaren Räume vollkriegen?“

      „Wahrscheinlich durch das, was sie uns ablausen; das übrige nimmt Carr.“

      Meyer warf sich in die Brust: „Konsul, sind Sie für Tamtam? Glauben Sie, daß ein vernünftiger Mensch solcher Marktschreierei von Plakat nachläuft, wie die Katz’ dem Bücklingskorb?“

      Witt lachte. „Meyer, als ich Anno Krug zu Togo gleich hinter Little Popo im Urwald das erste Nashorn sah, da dachte ich auch: so was kann’s doch gar nicht geben, und ich wär’ ja dabei wahrhaftigen Gott’s denn auch beinah’ auf der Sstrecke geblieben, hätte ich nicht im letzten Momang mit wohlgezielter Büchse ...“

      Er hob den Spazierstock aus Ebenholz an die ergrauend-rötliche Fräse der vollen Wange und ließ ein „Päng“ gegen das Dschungel eines Aktenregals erschallen.

      Meyer zuckte gebührend zusammen, sank steil in den mageren Sessel neben seinem Pult und rief vorwurfsvoll: „Herr Konsul will doch nicht meinen, daß uns derlei ägyptische Plagen etwa durch diesen Carr bevorstehen könnten?“

      „Ich würde das Pulver trocken halten, Meyer. Ist es nicht der, so ist es der, der ganz unten am Rand des Plakats als Agentur vermeldet ist.“

      Witt hob zum Abschied den Elfenbeinknopf seines Handstocks nur so eben zum Gruß.

      Aber der erregten Ahnung Meyers wollte es dünken, als sei mit leichtem Paukenschlägel das Zeichen gegeben für eine höchst unbequeme Zukunftsmusik.

      *

      Anderthalb Jahre darauf stellte Carr zwei weitere Dampfer in Dienst. Die russischen Maigesetze 1882 hatten Ballin völlig recht gegeben. Ein Strom von Drangsalierten schwoll von Ost und Südost den Nordseehäfen zu. Aber nicht nur die Columbia-Agentur zugunsten der Carr-Linie, sondern auch andere Reedereien unterhielten ein Netz von Zwischenfängern längs der Grenze, die es an nichts fehlen ließen, das Blaue vom Himmel für die Beförderung in die Freiheit zu versprechen. Die Vorzüge der Carr-Dampfer blieben allerdings nicht verborgen. Besser als jeder Prospekt und jedes Plakat wirbt die Leistung, die sich herumspricht.

      Aber die Leute verlangen, daß das Gute auch billig sei. Carrs Plakate versprachen nicht zuviel. Er war wirklich billiger.

      Binnen kurzem unterboten notgedrungen die übrigen atlantischen Reedereien seinen Zwischendeckpreis, zuerst die Bremer, dann die Franzosen. Carr, von Ballin beraten, folgte gnadenlos und machte trotzdem noch sein Geschäft. Jedenfalls sorgte Columbia für immer vollbesetzte Passagen gen Westen, wozu sie sich verpflichtet hatte. Sonst wären für jeden Ausfall vertraglich pro Kopf zwanzig bis fünfunddreißig Mark fällig gewesen.

      Auch gelang Ballin eine hinreichende Heranschaffung von Speditionsgütern, selbst bedeutenderer Frachten von drüben. Auswanderer, die von den amerikanischen Behörden aus Gesundheitsgründen abgewiesen wurden, mußten kostenlos heimbefördert werden. Dazu gehörten auch die Schwangeren. Das Land der Freiheit drüben ließ niemanden hinein, der sein Gesicht nicht zeigen konnte und unter Deckmantel reiste.

      Ballin hatte sich übrigens keineswegs mit Haut und Haar dem jungen Unternehmen verschrieben. Ein Mann wie Carr schien ihm von Natur geneigt, die Sättel öfters zu wechseln; war er von Sloman abgesprungen, würde er womöglich auch bei einer eigenen Linie nicht aushalten.

      Sein Partner hatte sich darum Vorbehalten, die Liverpool-American-Line mit dem Überschuß an Passagieren noch weiter zu beliefern. Er hielt so die Verbindung mit der britischen Schiffahrt. Der Direktor der alten Reederei in Liverpool, Mister Wilding, blieb zeitlebens mit ihm befreundet. Das sollte sich rentieren, genauso wie die Treue zu Ernest Cassel.

      *

      Albert Ballins Kontor am Baumwall wirkte enger, aber sehr viel bunter und munterer als die steife Vornehmheit der Hapag in der Deichstraße. Hafendunst und Tabaksqualm hatten ihre Spuren auf Wänden und Einrichtung hinterlassen, doch gab es auch freundlichere Andenken, dediziert von Seefahrern der Bekanntschaft: Unförmige Fregattenmodelle und zierliche Buddelschiffe, Fetische vom Kongo und geschnitzte Südseepaddel. Und es fehlte weder das Konterfei der ersten New Yorker Wolkenkratzer noch der Federschmuck eines Indianerhäuptlings. Hinter Glas und Rahmen prangte der Dankesbrief eines Chikagoer Schlachtermeisters, der mit der Columbia-Agentur arm aber sicher über den großen Teich und sodann drüben zu Reichtum und Ansehen gelangt war. Ein ausgestopfter Haifisch mahnte unter verräuchertem Plafond an gewisse, dämonisch-unheimliche Gewalten des Meeres, denen entgangen zu sein sich bisher alle Schiffe rühmen konnten, die Ballin mit lebender und toter Fracht versorgt hatte. Und ringsum verkündeten die Plakate der Carr-Linie mit lauten Farben das große Abenteuer der Ferne.

      Soeben war wiederum ein Haufen Auswanderer aus der Strelitzer Gegend unter Scherzen und Schmunzeln abgefertigt worden: Stämmige Bauernsöhne und Instleute, die es aus europäischer Enge nach der Weite des guten Savannenlandes gelüstete, blonde Leute, denen kein USA-Beamter den Weg in die Mais- und Weizenfelder drüben verwehren würde. Denn schon hatten amerikanische Pressestimmen davor gewarnt, allzu viele russische Juden als Proletariat in die Städte der Neuen Welt einsickern zu lassen.

      Ballin hinter der langen Tonbank nickte zufrieden und rückte den goldenen Kneifer, den er seit neuestem statt der Nickelbrille trug, auf der Nase zurecht. Vor ihm lag ein Musterbuch für farbige Wolldeckenstoffe. Sein englischer Anzug saß tadellos nach der letzten Mode. Das sorgfältig gescheitelte Haar und ein wohlgestutzter Schnurrbart waren von jenem dichten feinen Schwarz, das früh grau und dünn zu werden pflegt.

      Edward Carr hatte die Eleganz seines Teilhabers mit Genugtuung registriert. Seiner hanseatischen Verwandtschaft war das spöttische Augenzwinkern vergangen. Sein „Schlattenschammes“, das geduldige Arbeitstier, gut genug, die Hauptlast der täglichen Geschäfte zu tragen, hatte sich über Nacht als Erscheinung von Distinktion entpuppt. Der kleine Kompagnon hatte unauffällig seine Gleichberechtigung demonstriert. Lautlos hatte er zu betonen gewußt, daß er sich kaum in etwas hineinreden lassen und praktisch die Geschäftsführung in die Hand nehmen würde.

      Die Rollklingel an der Eingangstür schepperte, und arrogant wie immer trat der Reeder ein. Er zog nachlässig grüßend einen Pack Rechnungen aus der Tasche, warf sie auf die Tonbank, schlug mit der Reitgerte drauf und äußerte nervös: „Das geht zu weit, Ballin! Wie wollen wir jemals diesen Etat an Überflüssigkeiten wieder herausholen?“

      Der junge Mann lächelte: „Nur wer einsetzt, gewinnt. Ich habe sogar etwas vergessen, Herr Carr, was die anderen noch nicht haben. Wir werden jedem Fahrgast von nun an eine Schlafdecke für die Überfahrt zur Verfügung stellen.“

      „Mit welchem Aufschlag?“

      „Selbstverständlich ohne. Diese Qualität z. B. wäre geeignet.“

      Carr schob das Musterbuch beiseite: „Unmöglich, glatte Verschwendung! Bedenken Sie allein die dauernd fällige Reinigung der vollgekotzten Filze!“

      „Ist bedacht, Herr Carr. Wir brauchen neue Attraktionen. Wie wär’s mit dieser Farbe?“

      Carr drehte sich auf dem Absatz herum. Draußen zog ein Rudel singender Auswanderer vorbei, an den Hüten steckte der Bettausweis seiner Reederei. „Wir haben doch auch so ganz hübsch zu tun!“ rief er.

      „Ganz hübsch ist nie genug. Ich schlage vor, ab sofort die gleichen Verpflegungsrationen für unsere Fahrgäste auszugeben wie für die Besatzung.“

      Carr schnappte nach Luft. „Nee, Ballin, das ist Völlerei.“

      „Na, na! Ich bin sogar dafür, zugleich die Kost der Besatzungen etwas reichlicher zu gestalten.“

      Es war, als höre Carr zum ersten Male, daß für seine Seeleute und Kohlentrimmer auch gesorgt werden müsse.

      Ballin entgegnete: „Sonst mustern uns die besten Männer nach Bremen, England und Holland ab. Nur mit ausgesuchter und zufriedener Mannschaft übernehme ich die Verantwortung für die Transporte.“

      „Sie ruinieren uns, Ballin!“

      „Im Gegenteil – Sie und ich werden immer gesünder dabei!“