wirst du mit diesem Hauch von Schnee auch nicht können«, entgegnete sie trocken, wurde aber von ihrer Tochter abgelenkt, die sie mit kalten Ärmchen umschlang. »Mama, Krokusse und Osterglocken mit Schnee darauf wie Puderzucker. Das sieht so schön aus. Du musst ein Foto machen oder ein Video. Wie ich den Schnee wegpuste.«
Nun war der Blick hilfesuchend, den Hanne Sebastian schickte, doch der ließ sich nicht erweichen. »Du die Blumen und ich die Schneeballschlacht«, entschied er und erhob sich. »Wo sind Bernd und Ute?«
»Wollten alleine sein«, erklärte Emil altklug. »Weil sie das brauchen.«
»Was du nicht sagst.« Sebastian hob übertrieben die Augenbrauen, doch Hanne reagierte nicht. Er seufzte erneut. Da musste er wohl schwerere Geschütze auffahren.
***
Die Sonne ließ sich an diesem Samstag nicht mehr sehen, doch es gelang ihnen, die notwendigen Einkäufe zu erledigen. Hanne bestand auf Handschuhen und extra Wärmeflaschen, unter denen Sebastian die Schokoladeneier versteckte. Während die Familie gemeinsam abzog, um Kuchen zu essen und Fotos vom See zu schießen, machte er sich auf, um einen kleinen Second Hand Laden aufzusuchen, in dessen Schaufenster er eine Entdeckung gemacht hatte, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Und warum nicht auch einen Abstecher in den Sex-Shop in der Seitenstraße und einen weiteren, um die Flasche teuren Whiskey zu besorgen, für den Bernd stets zu geizig war, doch den er sich insgeheim wünschte. Es sprach nichts gegen eine angemessene Bestechung.
Sebastian lachte in sich hinein. Erschwerte Bedingungen erforderten kreative Lösungen.
***
Der Ostermorgen nahte viel zu schnell und Hanne schubste Sebastian wiederholt und ohne Erfolg, ohne dass er wach wurde. Schließlich unterdrückte sie einen Fluch, packte die Schokoladeneier, schlüpfte in ihre warme Jacke und schlich, so leise es ihr möglich war, aus dem Wohnwagen.
Das Schicksal schien ihr gnädig zu sein, denn am Himmel stand keine Wolke und obwohl sie ihren Atem wie eine Wolke vor sich sah, deutete doch alles darauf, dass es über den Tag wärmer werden würde. Während sie die bunten Eier und kleinen Nester mit Schokoladenhasen versteckte, gestand sie sich ein, dass die weiße Decke, die sich über der Erde ausbreitete und die schimmernde Watte, die an den Zweigen haftete, ihren eigenen Zauber entwickelten.
Mit den ersten Sonnenstrahlen glitzerten die Kristalle im Schnee und vielleicht war es das Wissen um deren Vergänglichkeit, das ihnen ihre Schönheit verlieh.
Sie sah zu, wie der Schnee schmolz, während die Kinder jubelnd über die Wiese tollten und ihre Fundstücke stolz präsentierten. Während des Frühstücks hörte Bernd nicht damit auf, sie komisch anzusehen. Hanne seufzte verhalten. Wollte er sich wieder wegstehlen? Auf solch einen Ostersonntag konnte sie verzichten.
Ihre Ehe war an einem toten Punkt angekommen und sie hasste sich selbst dafür, so zu denken. Sie fühlte sich wie die genervte Ehefrau, die wegen jeder Kleinigkeit auf die Palme ging. Mittlerweile konnte sie ihre Gereiztheit auch kaum noch dem Schlafentzug anrechnen.
Sebastian dagegen wirkte stets ruhig und ausgeglichen. Fast, als berührten ihn die Probleme, mit denen sie sich herumschlug, nicht. Weder der Frust, noch die Eintönigkeit, noch die sich immer wiederholenden Aufgaben in Haushalt, Kindererziehung und dem schier unmöglichen Balanceakt zwischen Arbeit und Familie. Männer hatten es eben nach wie vor leichter.
Sie atmete aus und bemerkte an der ausbleibenden weißen Wolke vor ihrem Gesicht, dass die Kälte tatsächlich nachgelassen hatte. Verrücktes Wetter, wer an der Klimaerwärmung zweifelte, hatte keine Augen im Kopf.
Die Kinder tanzten nun um ihre Schwester und deren Gatten herum, die mit Geschenken aufwarteten. Hanne verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte. Ein weiterer Tag voller Geschrei, Toben und endlosen Forderungen. Sebastian ließ sich immer noch nicht sehen.
Ute war inzwischen nähergekommen. Ihr Lächeln war breiter als gewöhnlich und sie sah aus, als wollte sie jeden Moment zu kichern beginnen.
»Schwesterchen, wir nehmen dir heute die Kinder ab«, rief sie ihr entgegen. »Ich weiß, dass es überraschend kommt, und du den Ostersonntag lieber als Familie verbringen möchtest, aber Bernd hat hier in der Nähe einen Märchenwald mit Rutschenparadies ausgemacht, der heute öffnet. Und du weißt, wie gerne er rutscht.«
»Bernd?«, fragte Hanne verblüfft und betrachtete den untersetzten Vierzigjährigen skeptisch, der sich gerade bemühte, den Fußball vor den kleinen Füßen der Kinder in Sicherheit zu bringen.
Ute nickte heftig und Hanne hob die Augenbrauen. Etwas daran klang seltsam, aber einer geschenkten Gelegenheit würde sie nicht ausweichen.
»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo Sebastian wieder abgeblieben ist«, erklärte Hanne widerstrebend. »Vielleicht wollte er …« Sie bremste sich selbst. War sie denn bescheuert?
»Vergiss es«, rief sie dann und schüttelte den Kopf. »Nimm die Kids und habt einen schönen Tag. Ehrlich gesagt, ich kann etwas Ruhe vertragen.«
Ute umarmte sie und nicht einmal zehn Minuten später waren die vier von dannen gezogen.
Was nun? Hanne ertappte sich bei dem Gedanken, dass die Zeit ihr ohne Sebastian lang werden könnte. Da erhaschte sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung in dem kleinen Waldstück neben ihrem Wohnmobil. Wenige Camper befanden sich auf dem Gelände und bestimmt huschte niemand verstohlen zwischen den Baumstämmen umher. Schon gar nicht jemand, der anscheinend eine Art beigefarbenen Plüschmantel trug. Das Ganze war ihr höchst suspekt. Und wo zum Teufel blieb Sebastian ab? War das eine Art, an einem Feiertag einfach so zu verschwinden? Sie konnte es nicht fassen.
Vielleicht war es der Ärger, der sie antrieb, denn ehe sie sich versah, schlug sie jede Vorsicht in den Wind und stapfte in Richtung des Waldstücks. Wer auch immer darin herumlungerte, sollte sich bloß verziehen.
Doch welch große Augen machte sie, als sie näherkam und ein mannsgroßer Osterhase sie aus runden Plastikaugen anstarrte? Seine Plüschohren wippten und mit seinen Pfoten zerrte er an einem Zweig, bis der ein buntes Päckchen unzureichend verbarg.
»Was zum …« Hanne starrte mit offenem Mund. Der Osterhase war genauso groß wie Sebastian und die kleinen Schlitze unter den künstlichen Augen zeigten Augen, die ihr allzu bekannt vorkamen.
»Bist du jetzt völlig verrückt geworden?«
Der Osterhase verschränkte die Arme vor der Brust und hob das Kinn. »Wenn du es verrückt nennst, dass ich meiner Frau eine Überraschung bereiten wollte?«
Hanne hustete trocken. »Eine Überraschung für mich? Das ist doch mehr etwas für die Kinder. Übrigens die Kinder …« Sie stockte und legte den Kopf schief. »Kann es sein, dass du uns einen freien Tag organisiert hast?«
Der Osterhase nickte und sie ahnte das Grinsen unter der Plüschmaske. »Und nicht nur das.« Er deutete auf das Geschenk. »Romantisch soll es auch werden.«
Hanne blinzelte verblüfft. Doch noch mehr überraschte es sie, als Sebastian sie in seine Arme nahm. Das Fell des Osterhasen war weich. Ihr Widerstand ließ nach und als sie schließlich ihre Arme um ihn schlang, fühlte sie den Reißverschluss in seinem Rücken.
»Du spinnst doch.« Sie wollte tadelnd klingen, doch ein Kichern entschlüpfte ihr, als ihr der Irrwitz der Situation bewusst wurde. Sebastian rieb seine Stirn an ihrer Schulter und die kribbelte angenehm.
»Die Seite von dir kenne ich gar nicht«, murmelte sie und überlegte kurz, ob sie sich an ihrem eben noch gefühlten Frust festklammern sollte. Nach einer langweiligen Ehe sah diese Aktion nicht aus und erinnerte sie an den Beginn ihrer Beziehung und die spontanen Verrücktheiten, zu denen ein damals noch langhaariger Sebastian sie überredet hatte. Wie es aussah, war die Tendenz zum Ausbruch aus der Normalität nicht ganz zusammen mit den langen Haaren verschwunden. Sie konnte nicht leugnen, dass ihr der Gedanke gefiel.
»Was ist da drin?«, fragte sie mit einem Blick auf das Päckchen und registrierte durchaus, wie sich Sebastians Hände selbst innerhalb ihrer plüschigen Gefangenschaft in ihren Po gruben. Auch das hatte er seit