so geht’s! Mag sie sehen und es nun erkennen lernen, wie es armen Leuten zu Mute ist, auf welche sie früher voll Verachtung herabgeschaut.
Der Vicomte war ohne weiteres abgereist, als er von der Flucht des Schwiegervaters und den absolut trostlosen Verhältnissen überzeugt gewesen war. Der Scheidungsprozess nahm seinen Verlauf, und die Vicomtesse von Saint Lorrain versuchte, so gut es ihr bei der völligen, verzweifelten Fassungslosigkeit möglich war, die Angelegenheiten mit den Gläubigern zu ordnen. Wie man sagte, sollte die Herrschaft Moosdorf, welche der Baron seiner Tochter noch als Eigentum hinterlassen, zwangsweise verkauft werden.
Aglaë sass in dem ehemaligen Arbeitszimmer ihres Vaters, wo sie soeben den nunmehrigen Besitzer des Hauses empfangen hatte. Diese Angelegenheit war geregelt, und blieb ihr vorerst nichts, als die wenigen Schmuckstücke, welche sie in einer kleinen Schatulle in ihrem Ankleidezimmer für den täglichen Gebrauch bereitstehen hatte. Auch auf ihre Toiletten hatten die Gläubiger, meist selber sehr reiche Leute, verzichtet, und nun handelte es sich nur noch darum, ob durch den Verkauf von Moosdorf so viel einkam, dass ihr nach Abzug der Schulden noch ein kleines Kapital übrig blieb. Dann musste es sich entscheiden, ob aus der Millionärin thatsächlich über Nacht eine Bettlerin geworden. Leichenhafte Blässe bedeckte das Antlitz der jungen Frau; ihre Augen schauten aus tiefem Schatten müde und übernächtig, und das schwarze Wollkleid liess ihr elendes Aussehen noch schärfer hervortreten. Aber trotzdem lag kein leidender oder unglücklicher Zug in dem schönen Antlitz, vielmehr eine Energie, welche ihm sonst fremd gewesen, und eine leidenschaftliche Erbitterung, welche voll düsterer Glut aus ihren Augen sprühte. — Das Unglück hatte sie getroffen, und sie hatte es dem Namen nach kennen gelernt, der eigentliche Begriff des Wortes Armut aber war ihr noch fremd. Noch war in ihrer Umgebung alles unverändert, noch liess sie die Grossmut ihrer Gläubiger im Besitz des Hauses, bis Moosdorf verkauft war, noch quälte sie keine Sorge um ihr tägliches Brot. Und darum war ihr Stolz, ihre schroffe Heftigkeit noch nicht gebrochen, im Gegenteil, das Bewusstsein, durch ihren furchtbaren Sturz aus der Höhe, durch ihr entsetzliches Schicksal der Gegenstand der Schadenfreude der ganzen Residenz geworden zu sein, reizte sie auf zu feindseligster Opposition, und weil sie annahm, dass nur Neugierde die ehemaligen Freunde zu ihr trieb, schloss sie sich unversöhnbar ab von der Mitwelt und gab Befehl, keinerlei Besuch bei ihr zu melden oder vorzulassen.
Mit sarkastischem Lachen warf sie die Visitenkarten von sich und ballte die kleinen Hände unter den Folterqualen der Scham und Demütigung. Da hob sie den bittern Kelch ihres Elendes abermals an die Lippen, aber auch jetzt nippte sie nur daran, und es waren noch viele, viele Wermutstropfen zu schlürfen, bis er zum Boden geleert war, bis sie durch die schwere Schule des Schicksals gegangen, welche ihr beschieden war.
Eine Karte von einem ehedem sehr treuen Freund des Hauses, Professor Wendhausen, welcher ihr voll herzlicher Aufrichtigkeit seine Hilfe und seinen Beistand anbietet. Aglaë knäult das Papier zwischen den Händen und beisst die Zähne zusammen. Sie will und braucht keine Hilfe, sie wird schon fertig werden in der Welt! Es wäre ja schlimm, wenn alle Frauen, die plötzlich verarmen, gleich Hungers sterben sollen! Sie will kein Mitleid! Sie will allein ihren Weg gehen und ihr Fortkommen niemand zu danken haben! — Sie hasst die Menschen! Sie mag niemand mehr hören und sehen, sie hat abgeschlossen mit allem.
In Fetzen fliegt das Billet zum Kamin hinab, und Aglaë stützt zornig das Köpfchen in die Hände und denkt gar nicht daran, dem Professor überhaupt zu antworten. Was soll diese Freundlichkeit auch anderes bedeuten, als einen versteckten Hohn, als eine edle Rache für die Beleidigung, welche sie ihm und Hans Burkhardt damals auf dem Bazar angethan? Er liess sich seit jener Zeit nicht mehr in ihrem Hause sehen, weil er beleidigt war, jetzt aber, wo sie im Elend ist, will er über sie triumphieren und will seine Genugthuung haben in dem Gedanken, dass die stolze Schöne sich nun demütig und hilfeflehend an seine rettende Hand klammern soll. Und so wie er — so denken alle, die ihr solch’ gnädige Anerbieten machen, die sie aufnehmen oder ihr Unterstützung angedeihen lassen wollen.
Ein wilder, leidenschaftlicher Kampf durchtobt ihr Herz. Sie geht mit erregten Schritten in dem Zimmer auf und nieder, sie überlegt mit fiebernden Pulsen, was sie beginnen soll, wenn der Erlös von Moosdorf ihr keine Existenz sichert. Sie besitzt keine Talente — kann weder malen, noch sticken, noch schriftstellern; das bisschen Musik nützt ihr leider nichts!
An ihrem Kleidersaum raschelt etwas. Sie blickt mechanisch danach zurück. Ein Stück Theaterzettel: „Die Hochzeit des Figaro!“ Sie war noch vor kurzer Zeit in die Oper gefahren und hatte spottend einer bekannten Dame gesagt: „Welch eine entsetzliche Debutantin! — Die Person benahm sich ja wie ein Stock und vergass vollkommen, dass sie Comödie zu spielen hatte, und so gut wie sie, singe ich die Arien der Gräfin auch noch! Ich hoffe nicht, dass man uns diese Thränenweide dauernd engagiert!“
Aglaë zuckte jählings zusammen, ihr Auge blitzte auf. Singen! — Sagte man nicht, sie besitze eine schöne, kräftige und klangvolle Stimme? Hatte man ihr nicht unzählige Elogen und Komplimente über ihren dramatischen Vortrag gesagt? — O, sie glühte stets vor Wonne und Begeisterung, wenn sie in strahlender Pracht, befriedigt und fröhlichen Herzens im Musiksaal ihres Vaters stand und eine höfliche Menge in atemlosem Lauschen an ihren Lippen hing. — Wie sang die Tochter des Millionärs die „Bettelarie“ so wunderbar ergreifend, dass kaum ein Herz ungerührt blieb? Wie konnte sie, der aller Herzen zu Füssen lagen, so unaussprechlich traurige und klagende Lieder von verlorener Liebe und verlorenem Glück, von Falschheit und Verrat singen! — Und sie sang meisterhaft. Sie hatte ja stets im Leben so vorzüglich Comödie gespielt und immer damit Glück gemacht, warum soll sie, die Priesterin der Comödie, dieselbe nicht auch zum Beruf, zum Inhalt ihres Lebens machen?
Die dunklen Augen der jungen Frau glühen auf, ihre Wangen brennen plötzlich in heissem Purpur. Ihre alte, ungestüme Lebensfreude überkommt sie. — Sie will Sängerin werden! — Ihr Entschluss ist gefasst! — Wie viel teure Stunden hat sie genommen! Es wird nur noch einer kurzen Ausbildung bedürfen, um sie reif für die Bühne zu machen. Ihre wundervollen Toiletten werden ihr dabei noch sehr zu statten kommen, sie erspart durch sie die grosse Anschaffung kostbarer Kostüme. All ihr Leid und ihr Elend ist vergessen, Aglaë lebt nur noch in dem Gedanken an ihre künstlerische Laufbahn.
Der Himmel hängt ihr voller Geigen — sie sieht in rosige, lockende Fernen, sie sieht plötzlich das Ideal und den Traum ihrer Jugend verwirklicht! Das flotte, übermütige Bretterleben hatte sie stets gereizt und angezogen! Sie verkehrte ja früher mit Vorliebe mit Künstlern, bis sie in Paris in allzu nahe Berührung mit einem derselben kam und ihr Hochmut eine Scheidewand zwischen ihr und „diesen Leuten da unten!“ aufrichtete. Das alles aber war vergessen; sie dachte nur an die Zeit, wo sie alle Bühnengrössen noch im Hause ihres Vaters empfing, wo sie mit den Herren kokettierte und mit den Damen sehr intim war, um desto besser in die Mysterien jener Welt hinter den Coulissen eindringen zu können!
Alle diese Leute waren ja sehr liebenswürdig zu ihr gewesen, und wenn nun auch der Verkehr aufgehört hatte, seit sie Baronesse Lehnberg geworden, je nun, so war dies ja doch nur ganz begreiflich gewesen! Als sie in die Hofkreise eintrat, konnte sie doch unmöglich noch derartige Beziehungen aufrecht erhalten.
So wie sich die Sache mit Moosdorf entschieden hat, wird sie sofort zu einer der Damen fahren und ihren Plan mit ihr besprechen. Man wird ihr gewiss allseits behilflich sein, und sie wird dann nach Wien oder Prag, München oder Berlin an die Oper gehen und sich allabendlich applaudieren lassen.
Aglaë schellte — es kam niemand. — Sie schellte abermals, zornig und anhaltend. — Seit sie nicht mehr die Millionärin war und die Verhältnisse sich im Hause so sehr geändert hatten, waren die Dienstboten unerträglich geworden. Auch jetzt trat endlich ein Diener mit mürrischem und undevotem Wesen ein.
„Dieser Brief sollte an den Rechtsanwalt besorgt werden! Wie kommt es, dass er noch hier liegt?“ herrschte sie den Mann an.
Er zuckte nachlässig die Achseln. „Es wird wohl niemand Zeit gehabt haben!“ entgegnete er frech.
Aglaë stieg das Blut in die Wangen. „Ist jetzt etwa mehr Arbeit wie sonst? — Ist es früher jemals vorgekommen, dass ein Befehl ignoriert wurde?“
Der Bursche lächelte spöttisch.
„Ja,