— wer soll uns denn nach dem allgemeinen Bankrott bezahlen?“ — war die rüde Antwort, „wir halten aus, weil wir vertröstet sind, dass die Frau Vicomtesse nach dem Gutsverkauf noch etwas ausgezahlt bekäme, und auch nur darauf hin geben die Kaufleute noch Kredit, dass wir die Wirtschaft führen können!“
Aglaë war wie schwindelnd stehen geblieben. Dies war das erste Mal, dass man ihr derartig zu begegnen wagte, dass man ihr die Missachtung zeigte, welcher die Armut zumeist ausgesetzt ist. — Je höher sie stand, desto schwerer und fühlbarer der Fall.
In ihrer alten, imponierend stolzen Weise richtete sich Gräfin Saint Lorrain empor. „Sie werden noch heute Ihren Lohn sämtlich ausgezahlt bekommen!“ sprach sie blitzenden Auges. „Und nun augenblicklich den Brief hier besorgt, sonst sind Sie auf der Stelle entlassen.“
Dieser Ton verblüffte. War der Bankrott am Ende doch nicht so arg? — Einen scheu schielenden Aufblick, eine unterthänige Verneigung und James verschwand.
Aglaë aber sank auf einen Sessel nieder und weinte heisse Thränen schwer verletzten Stolzes. — Sie erwartete Sauthing, den einzigen Menschen, mit welchem sie in kalter Geschäftsmässigkeit als Konkursverwalter verkehrte. Er sollte die Leute sofort ablohnen und entlassen. Aglaë wollte allein fertig werden.
Und wieder war es der Gedanke an ihre künstlerische Laufbahn, welcher sie aus ihrer verzweifelten Stimmung emporriss! Ein fieberndes Interesse für alles, was die Bühne anbetraf, ergriff sie, und sie fasste nach den Zeitungen, die Opernkritiken der letzten Zeit gründlich zu studieren! Hatte ihr doch einst eine berühmte Sängerin gesagt, ihre besten Lehren habe sie aus den Recensionen ihrer Rivalinnen empfangen, daraus habe sie gelernt, was sie thun und lassen müsse, um jene in ihren schwachen Seiten zu überflügeln.
Aglaë hatte fast nie zuvor eine Zeitung in die Hand genommen. Politik, Börse, Marktberichte und Annoncen waren ihr unendlich gleichgültig, der Geruch der frischen Druckerschwärze geradezu widerwärtig. — Jetzt empfand sie nichts davon, mit Ungestüm durchforschte sie die Blätter.
Plötzlich stutzte sie. Ein gross gedruckter Name fiel ihr in die Augen. „Doktor Hans Burkhardt, Privatdozent an der Universität zu X. veröffentlichte in einer sechsten Vorlesung der überstark besuchten Versammlung ärztlicher Autoritäten seine neueste sensationelle Forschung auf dem Gebiete krebsartiger Leiden.“
Wer? Hans Burkhardt?— Der kleine Pächtersohn, der Bauernjunge aus Moosdorf?! — Aglaë starrt auf die Zeitung nieder wie im Traum, „er hält Vorlesungen? Er ist der plötzlich aufgetauchte Wunderapostel, welcher ein Mittel gefunden haben will, Krebsleiden zu heilen? Ja, richtig ...“ Aglaë entsinnt sich, dass man davon gesprochen, dass das neue Heilverfahren einen Sturm der Aufregung entfacht hat, dass es ein ganz junger Arzt sei, welcher sich mit dieser Forschung in die Reihe der ersten medizinischen Grössen emporgeschwungen habe, — aber den Namen? Nein, den hatte sie nie beachtet, denn sie hielt sich schaudernd die Ohren zu, wenn von einer so ekelhaften Krankheit die Rede war! Gott sei Dank, sie war gesund an Leib und Seele! Sie brauchte sich nicht für Leute und Dinge zu interessieren, welche sie absolut nichts angingen!
Jetzt mit einemmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Dieser neue Stern am Himmel der Wissenschaft war ihr Hans, ihr alter, lieber Freund Hans. — Und sie hatte das soeben erst durch einen Zufall erfahren — soeben erst! Wie war’s nur möglich gewesen, dass er nie davon geschrieben! Geschrieben? Die junge Frau zuckte plötzlich zusammen und legte die Hand über die Augen. Wie konnte sie das wohl erwarten, nach der schändlichen Behandlung, welche sie ihm angedeihen liess! — Sie sah ihn noch stehen in der Kirche, fernab unter der Menge, den klaren Blick auf sie gerichtet — verächtlich, beinahe empört über diese stolze, Comödie spielende Braut! Nicht unter den Gästen wollte sie ihn an jenem Tage sehen, denn er hätte ja den glänzenden Zug schimpfiert durch sein ärmlich, schmucklos Kleid und seinen klanglosen Namen, sie verleugnete ihn, weil sie sich seiner schämte!
Und er sollte ihrer noch gedenken? Die Zeit, da er wahrlich ihr Freund Hans gewesen, die war lange, lange vorüber. — Aus dem Freund aber war ein Feind geworden, der die hochmütige Frau Vicomtesse hasste um ihrer Treulosigkeit willen, der ihr schon damals gegenübergetreten war mit dem Betteldünkel der Armut, welcher sich ihren Millionen nicht beugen wollte. So stolz und feindselig hatte ihr kein Mann je zuvor gegenübergestanden wie Hans Burkhardt, denn damals war ihre goldgefüllte Hand noch frei, und welch ein anderer Mann in der Lebensstellung Hans Burkhardts hätte sie wohl zurückgewiesen, wenn sie ihm entgegengeboten worden wäre?
Er aber, er warf stolz das Haupt in den Nacken und zertrat die goldschillernde Schlange, welche ihm als Versucherin aus dem Tausendgüldenkraut entgegenfunkelte!
Aglaë ist verbittert bis zum Hass gegen Gott und die Welt. Früher hatte sie noch oft an Hans gedacht, mit mildem, versöhnlichem Herzen, welches ihn herbeirief wie eine liebe Traumgestalt in die grauenvolle Wirklichkeit! Da wähnte sie ihn noch arm, vergessen und bedauernswert, da hatte es noch einen gewissen Reiz für sie, aus ihrer Höhe nach ihm hinab zu schauen, wie die gefangene Königstochter sich herniedersehnt zu dem Schäfer, der allmorgens seine Herde am hohen Schloss vorübertreibt. — Jetzt hatten sie aber die Rollen getauscht, und Aglaës eitles Herz zuckte auf und revoltierte gegen den Gedanken, dass er, der Verachtete, plötzlich hoch stehe im Glanz, und dass sie und ihr Lebensschifflein gesunken seien, so tief, tief, dass kein Emporkommen wieder möglich war!
Wahrlich nicht? Aglaës Augen blitzten auf. — Noch ist das Lied nicht aus! — Noch gibt es eine lockende, strahlende Zukunft, reicher an Lorbeer und Gunst, als wie die eines armseligen Doktors, der vor seinen Studenten und Ärzten ein paar Reden hält und seine ganze Kunst nur in dumpfe Krankenstuben tragen kann! — Er wird zeitlebens am Boden kleben, da, wohin ihn Elend, Not und Krankheit seiner Patienten bleischwer ziehen und festhalten! Aglaë aber wird auch künftig ein Schmetterling mit goldenen Flügeln sein, wird lachend, singend und sorglos über Rosen und Lorbeer dahinschweben, eine Genie des Glücks, der Gesundheit und Lebenslust!
Und dennoch ärgert sie sich, als sie stets neue Nachrichten in der Zeitung findet, welche Hans Burkhardt feiern, welche sein Verdienst lobpreisend anerkennen und von Auszeichnungen und Beweisen der Liebe und Bewunderung erzählen, welche ihm allseits gezollt werden. — Sie schleudert das Blatt von sich, und wandelt, aufs heftigste erregt, in dem Gemach auf und nieder: Wie mag er jetzt triumphieren und über den Sturz der Frau Vicomtesse von Saint Lorrain höhnen! — Sie sieht im Geiste sein stolzes, mitleidloses Gesicht, wie er kalt lächelnd vor sich hinnickt und sagt: „Wie man’s treibt, so geht’s! Sie hat eine grosse, grosse Lügencomödie vor der Welt gespielt, und die Millionen, in welchen sie gestrahlt, und mit welchen sie einem Abenteurer die Augen blendete, waren von Flittergold! — Nun ist die Comödie aus, aber der Schluss war ein böser Knalleffekt, — die ganze Herrlichkeit rutschte in die Versenkung! — Ich aber! Ich bin als Selfmademan emporgestiegen auf die Höhe, welche sie nicht mehr behaupten kontte, — nun stehe ich oben und blicke auf sie herab!“
Heisse Glut steigt in die farblosen Wangen der jungen Frau. Stolz, Eitelkeit, brennende Scham! Ihr Trotz ist aber noch ungebrochen, und jener Bettelhochmut, den sie früher so oft verspottet, der zeichnet nun auch ihr sein finster Mal auf die Stirn. Mit gefalteten Brauen und einem gereizt aufsprühenden Blick starrt sie auf den Diener, welcher zwischen den Portieren steht.
„Was wollen Sie?“
„Gräfliche Gnaden, es ist ein Herr drunten, welcher sich absolut nicht abweisen lässt. Er hat mir befohlen, seine Karte abzugeben und ihn bei Frau Vicomtesse zu melden.“
„Welche Zudringlichkeit! — Vielleicht ein Käufer oder Auktionator, welcher mich persönlich behelligen will! — Zeigen Sie die Karte, wie heisst er?“
Unwirsch nimmt sie das weisse Blatt entgegen. Sie zuckt zusammen, ihr Haupt neigt sich jählings vor, ein scharfes, höhnisches Lächeln spielt um ihre Lippen. „Doktor Hans Burkhardt!“ murmelt sie lesend. Und dann steht sie da, schwer atmend, mit zitternden Lippen.
„Darf ich den Herrn eintreten lassen, Gräfliche Gnaden?“
Ein flammender Blick trifft den Frager: „Nein!“ ruft sie leidenschaftlich, „tausendmal nein! — Bestellen Sie, ich sei für niemand