Nataly von Eschstruth

In Ungnade - Band I


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      Nataly von Eschstruth

      In Ungnade

      I.

      Roman

      Mit Illustrationen von C. H. Küchler

      Saga

      In Ungnade – Band I

      © 1894 Nataly von Eschstruth

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711469941

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      I.

      Und tief an der Verzweiflung letztem Strande,

      Führt er dem Herzen das Verwandte zu

      Und trägt die Liebe siegend in das Leben!

      Körner.

      Wusste der Novembersturm, wie es in dem Herzen des Mannes aussah, der auf den Knien neben der Bahre des Bruders lag, — stumm und regungslos, selber einem Toten gleich? — Er musste es wissen, warum hätte er sonst mit gellendem Schmerzensschrei an dem morschen Balkenwerk des alten Kasernenfensters gerüttelt, gleichsam, als wolle er sagen: „Ich weiss, was du verlorst, ich weiss, was diese Stunde dir kostet, und darum graust es mich, wenn ich in dein starres Antlitz sehe, das nicht weinen und klagen kann, das bei dem Anblick des Dahingeschiedenen selber in dem Todeskampf eines tausendfachen Sterbens ringt! — Lass mich schluchzen und aufschreien für dich! — Lass mich weinen und seufzen, lass mich voll wilden Trotzes die Erde und alles, was darauf ist, packen und schütteln mit knirschendem Rachefluch, denn du selber kannst es nicht, — das Schicksal hat dich hernieder geschmettert, dass du betäubt und kraftlos an dieser Bahre liegst, — gleich einem Sterbenden neben dem Toten!“

      Huh, wie es sauste und in den Lüften tobte! Und dann ein leises Wimmern vor den kleinen gebrechlichen Fensterscheiben, ein Tropfen und Rieseln, als ob bleiche Geister ihr Angesicht dagegen pressten, zu weinen um das junge Menschenbild, welches da drinnen so bleich und kühl auf den Kissen lag, als sei all sein jahrelang glückstrahlend und sorgenlos Leben nur ein Traum gewesen. Auf der hölzernen Bahre, so, wie man ihn aus dem nahen Garten hinter dem grauen Palais hierher getragen, lag der jüngste Offizier des Garde-Grenadier-Regimentes — Ortwin von Dahlen. Der Waffenrock war über der Brust geöffnet, die wachsbleichen Hände lagen gefaltet auf der wollenen Decke, welche man bei dem Transport über den Toten gebreitet. Ernst, still und farblos ruhte das sonst so frische, rosige Gesicht, dessen lachende Kinderaugen sich nun für ewig geschlossen; wie ein letzter Seufzer trotzigen Herzeleids schwebte es um die vollen Lippen unter dem blonden Schnurrbartflaum. — Ein liebes, junges, so gar junges Angesicht, hinter dessen Stirn noch ein ganzes Paradies voll seliger Hoffnung und Lebensfreude schlummern musste, und doch hatte die mörderische Kugel den Weg zu ihr gefunden, allem — allem ein Ende zu machen.

      Das war eine einzige grauenvolle, blutrote Rose, welche dieser junge Lebensbaum getragen.

      Reich, hübsch, vornehm, gesund, — ein Liebling aller, die ihn kannten, ein Schosskind des Glückes, und doch hob sich die Hand des Jünglings, all diese köstlichen Erdengüter von sich zu werfen, in einer Anwandlung unbegreiflicher Schwäche sich selber auf dem Opferstein der Verblendung hinzumorden!

      Was konnte diese unselige That veranlasst haben? Hatte er Schulden? Nein! Davon hätte der Bruder, vor welchem der Erschossene nie ein Geheimnis gehabt, gewusst, und ausserdem war Ortwin ein reicher, unabhängiger Mensch, jeden Augenblick in der Lage, selbst sehr hohen Anforderungen gerecht zu werden. Waren ihm in dienstlicher Beziehung Unannehmlichkeiten bereitet? Nein! Die Bestürzung im Regiment war zu gross, die Trauer um den allgemein beliebten Kameraden zu ehrlich und aufrichtig, als dass sie einem Mann gelten konnte, welcher genötigt war, seine befleckte Ehre mit Blut rein zu waschen. Der Bruder des Verewigten presste das Antlitz laut aufstöhnend in die Hände. Die letzten Zeilen, welche ihm des Lieblings Lebewohl gebracht, lauteten: „Ich sterbe freiwillig, Aurel, weil ich das Leben, das grausam vergiftete, nicht mehr ertragen kann!“ Die letzten Worte eines Sterbenden lügen nicht; Ortwin hat dem Bruder nie im Leben eine Unwahrheit gesagt, wie sollte er es angesichts des Todes? Nein, er belog ihn nicht, aber er sagte ihm auch nicht die Wahrheit, er ging den letzten, schweren Gang mit herb geschlossenen Lippen, er riss nicht voll leidenschaftlichen Zornes die Schleier entzwei, welche sich ewig verhüllend vor das so blutig endende Drama seines Lebens senkten. — Er schwieg! Aber gerade dieses Schweigen war dem Bruder gegenüber die furchtbarste Beredsamkeit.

      Ortwin würde ihm in jeder Lebenslage rückhaltlos seine Feinde genannt, sie ihm zur Rache überantwortet haben, sein Zorn würde sich in tausend Worten Luft gemacht haben, die Vergifter seines jungen Daseins zu brandmarken, auf ein Weib aber warf er keinen Stein, selbst dann nicht, wenn sie ihn in den Tod getrieben durch ein falsch und grausam Spiel. Der junge Dahlen war der Sprosse eines edlen, ritterlichen Geschlechtes, welches im Dienst der Frauen Schild und Schwert zu stolzem Sieg getragen, welches im Dienst der Frauen ohne Klage oder Rachegelüst manch bitteren Becher bis zur Hefe geleert. — War es ein Märchen, welches die alte Familiengeschichte der Dahlens wie in schlichter Selbstverständlichkeit vom Ahnherrn zum Enkel weiter erzählte? Jene Geschichte des Junker Kunibert von Dahlen, welcher des Kaisers Karl Tochter Emma voll treuer Ritterlichkeit liebte. Er war es, welcher der Geliebten die Flucht mit Eginhardt ermöglichte; er presste die Hand auf sein blutend Herz und griff zum Schwert, den Fliehenden ein Schutz und Wehr zu sein. Ihn hatte Emma geliebt, bevor sie den andern kannte, wandte sich treulos ab von ihm und gab ihn der Verzweiflung preis; der Junker Kunibert aber warf sich aufs Ross und folgte dem geliebten Weib durch Nacht und Wind, bereit zu sein, falls sie Hilfe brauche. Im Tann klirrte es von Schild und Speer; des Kaisers Mannen erreichten den Edeln, überwältigten ihn und verlangten von ihm zu wissen, wohin sich der Entführer und sein Lieb gewandt. Der Ritter kannte die Köhlerklause, welche die Liebenden barg, aber er hob nur voll stolzer Furchtlosigkeit das Haupt und antwortete angesichts des sicheren Todes: „Bin ich ein Schandbub, der ein Weib verrät?!“

      Da wurden seine Lippen für ewig stumm.

      „Bin ich ein Schandbub, der ein Weib verrät?“ schwebte dieser Hauch nicht auch um die trotzig geschweiften Lippen des späten Nachkommen, welcher um eines Weibes willen mit durchschossenem Haupt hier auf der Bahre lag? Um eines Weibes willen! Aurel hob jählings das Angesicht, seine schlaff niederhängenden Hände ballten sich, und ein Laut, rauh und heiser, wie zischendes Aufstöhnen entrang sich seiner Brust. Nein, Ortwin hatte die Verruchte, welche sein Leben vergiftet, nicht wie ein Schandbub verraten, aber sein Bruder verstand auch ohne Laut und Zeichen, welch eine qualvolle Anklage auf dem blassen, herbgeschlossenen Munde schwebte! Kein Wort, kein Buchstabe hat ihm den Namen der Unseligen genannt, aber Aurel wird sie suchen und finden, er wird mit ihr abrechnen über diese Stunde, er wird rächen, was sie an dem Toten und an ihm verschuldet hat!

      An ihm! Ja, auch an ihm! Die Kugel, welche dieses jugendfrohe Haupt zum Staub hernieder gerissen, hat den Stiefbruder Aurel reich gemacht an Hab und Gut, aber an allem Glück, an aller Lebensfreude ist er durch sie zum Bettler geworden. Was ist ihm auf der Welt geblieben, seit sich diese lachenden Augen für ewig geschlossen, was mag ihm, dem ernsten, einsamen Mann noch sein freudlos Dasein erhellen, seit der Sonnenschein seines Lebens, seit Ortwin von ihm gegangen ist, um nie mehr wiederzukehren?

      Wie ein Krampf schüttelt es die Glieder des Offiziers, welcher einsam an der Bahre des Bruders die Totenwacht hält. Als ihn die furchtbare Nachricht an das Lager des „Schwererkrankten“ gerufen, da war es ihm wie ein eisiges Grauen durch Mark und Bein gegangen, da hatte der Gedanke „nicht zu einem Schwerkranken, sondern zu einem Toten ruft man mich“ ihm wie ein zweischneidig Schwert ins Herz geschnitten!

      Er hatte nicht