Max Geißler

Das hohe Licht


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      »Kaum wunderlicher als die Gedanken, mit denen du eingeschlafen sein wirst. Bildest du dir wirklich ein, ich ließe mich von dir liebhaben?«

      An diesen Traum hat Merceda Finotti ihr Lebtag denken müssen; denn er erfüllte sich fast buchstäblich.

      Dann gingen Tage und Wochen.

      Es schien, als wären in dieser Zeit die geheimen Gewölbe unter der Schenke von Santa Ferrara noch sicherer geworden; denn das Herdfeuer verlöschte immer erst lange nach Mitternacht. Und es schien, als wäre Merceda Finottis Wein noch viel besser denn je – auch am Tage war die rußige Küche mit den blanken Kupferpfannen an den Wänden selten eine Stunde lang ohne Gast.

      Lora Zara aber wollte bemerkt haben: die von der Grenzwache waren nicht mehr so wachsam wie früher. Seit einiger Zeit sahen sie geflissentlich an den Geheimnissen der Schenke vorbei. Vordem war dies Schmugglernest allstund umspäht gewesen von hellen Zöllneraugen.

      Jetzt waren diese Augen noch heller und – sahen doch nichts mehr.

      Für Lora Zara aber war es eine Lust zu leben! Sie allein brauchte nicht eifersüchtig zu sein – ihre butterfette Schönheit war ihrer Sache sicher; denn ihre quellfröhliche Beredsamkeit wäre auf Carlo Zara herniedergefahren wie Hochgebirgsgewitter, wenn er hätte sich einfallen lassen, heimliche Gelüste nach der Schenke zu haben! Und weil sie für sich nichts zu fürchten und auf Carlo Zara nicht aufzupassen hatte, so lag ihre Wachsamkeit um so eifriger auf der Lauer vor der Schenkentür – ob die Merceda einen Ehemann in ihre Netze locke; oder einen Zollwächter, dem Ehr’ und Gewissen an dem heißen Feuer ihrer Augen verbrannt waren; oder einen jener armen Jungen mit den nußbraunen Schenkeln und Stirnen, die ihr Leben einsetzten gegen die paar roten Palanken, die sie in einer Schmuggelnacht zu gewinnen hatten ... Jawohl, die dicke Lora war auf einmal von einer Wachsamkeit wie nie vorher. Und wenn sie etwas erfahren wollte, so liefen ihre Augen selbst in der Nacht umher wie zwei Lämplein und leuchteten alle Wege und Stege über Santa Ferrara ab – als könnte aus jedem Winkel einer hineinwischen in dies Paradies aller Männersehnsucht. Und sie allein wollte wissen, wenn da etwas sich anspinne, und wollte heimlich lachen über die Mutmaßungen der anderen. Oh, wie dumm waren sie doch!

      Zwar – auch Lora Zara hatte nie einen von der Grenzwache durch die Tür der Schenke schreiten sehen ... er sei denn im Dienste gewesen und gekommen, das verdächtige Haus zu durchsuchen. Aber selbst in diesem Falle – sagte der kluge Verstand der dicken Lora – hingen die Blicke derer von der Finanz lieber an der Frühlingsblüte Merceda Finottis, als daß sie im Staube der Winkel oder in der Moderluft der Keller umherkrochen.

      Oder die Zöllner fanden es für am besten, gar nicht erst hineinzugehen, sie setzten sich auf die Stiege der dicken Lora und tranken den Wein, den ihnen Merceda brachte. Die saß dann drüben auf der hohen Schwelle ihres Hauses und spann.

      Einmal kurz nach Mitternacht war’s Lora Zara nicht geheuer.

      Ein Gewittersturm heulte um die Gipfel, der Regen schlug, und kein Schmuggler irrte durch die Finsternis; da sah Frau Lora von dem Fenster ihrer Kammer aus unter der Schwelle der Schenkentür den Schein späten Feuers hervorrinnen.

      Und ihre Neugier jagte die Gevatterin vom Lager, und sie wackelte hinaus in die Nacht – »Mercedaaa!«

      Damit pustete sie sich bis vor die Stiegen der Schenke.

      Das kleine Fenster links der Türe war von innen dicht gemacht; an ihm verriet kein Schimmer, daß der Herdbrand noch wach war.

      »Mercedaaa!«

      Ordentlich zornig schrie die Zara ihren Ruf durch die wilde Nacht.

      Da klirrte drinnen der Riegel zurück und die Türe tat eine Spanne weit sich auf –

      »Nachbarin, willst du den Berg einstürzen mit deinem Höllenlärm? Was gibt’s?«

      Lora forderte einen Kräutertee – sie hätte so viel Schmerzen im Magen. Dabei krümmte sie sich katzenjämmerlich und ließ ihre Blicke um die Merceda herum durch den Türspalt kriechen wie Schlangen.

      In dieser Nacht hatte Lora Zara einen Hut mit der Falkenfeder in der Küche Mercedas gesehen – wie ihn die Bersaglieri tragen. Die Bersaglieri sind die Todfeinde der Schmuggler.

      »Mach die Tür dicht, Merceda, wenn deine Schenke so vornehme Gäste hat!« warnte sie hastig und verärgert. Sie hätte gern die geschwätzige Vertraute von der Jungen sein wollen.

      Seit jener Nacht spann nicht einmal mehr an der ausgetretenen Stelle der Steinschwelle ein Licht heraus, das vom späten Herdfeuer sich verirrt hatte – wenn die sechzehnjährige Padrona nicht wollte.

      Und kein verräterischer Schein spielte unter der Türe des Herzens von Merceda Finotti hinaus ... kein verräterischer Glanz durch die Fenster ihrer Augen!

      Das peinigte Lora Zara. Und weil sie auf diesem Wege keinen Schritt vorwärtskam, faßte sie die Sache beim anderen Ende: sie fand sich zu jedem, dem die Merceda Finotti in die Träume seiner Tage und Nächte trat, und sagte zu ihm: »Gevatter, du bist ein Esel.«

      »Holla, Lora Zara!«

      »Gingest du sonst mit den anderen zugleich aus auf den Jungfalken?«

      »Was soll das heißen, Lora?«

      »Der junge Falke wartet, bis du allein kommst ...«

      »Und dann?«

      »Ins Netz fliegen will er dir, du Narr!«

      Das war, was Lora Zara in diesen Tagen mit den Männern redete, die ihr ins Garn liefen. Sie kam sich dabei sehr klug vor – eine Wahrnehmung, die die Männer nicht auch an sich machten, waren sie nun jung oder alt. Einige tupften sich mit dem Finger gegen die Stirne, andere sagten: das hätten sie selbst schon gedacht ... alle aber schieden mit einem Herzen, gerüttelt voll von Dankbarkeit, und meinten, nun könne es ihnen nicht fehlen; denn die dicke Lora kannte sich aus in derlei Dingen.

      Allgemach gaben es die Klugen auf, Merceda wegen des Verkaufs der Schenke gemeinsam zu bestürmen. Sie kamen einzeln. Der eine warf sein Geld in die Wagschale; der andere seine Jugend und Stärke; der dritte seinen Haß gegen die Zöllner. Der vierte schoß ihr das Feuer seiner Augen ins Herz. Der fünfte war töricht, redete ihr von Liebe, und ließ sich auslachen. Der sechste dachte, sie ist ein Mädel, warf ihr die Schlinge seiner Arme über und fing sie darin wie ein junges Füllen. Aber Merceda blieb fest und blieb, wo sie war. Basta.

      Dann kam eine Zeit, in der war die Schenke stiller als je zuvor: die Schmuggler strichen andere Wege zu Tal. Die waren gefahrvoller und weiter – aber man ging sie ... als gält’s die Festung des Herzens auszuhungern, die dem Sturm eines Heeres widerstand!

      Noch blühte das hohe Licht im Giebel der Schenke während der ganzen Nacht. Aber es war, als schlössen die auf den nächtlichen Schleichpfaden die Lider vor dem lockenden Glanz, an dem sie um ihren Verstand, um die Ruhe ihres Herzens, am End’ um ihrer Seele Seligkeit kamen.

      Lora Zara aber legte sich in dieser Zeit aufs Warten. Sie gönnte dem hochmütigen Dinge diese Niederlage – ha, wenn so etwas mit Männern spielen wollte!

      Merceda verwartete zwar immer noch einen Teil ihrer Nächte, wie sie sich gewöhnt hatte. Aber sie wartete vergebens auf das verabredete Zeichen an der kleinen Hinterpforte, das ihr verriet, ein Pascher forderte Einlaß.

      Wußte Lora Zara, woher die Ruhe der Nächte, woher die Eintönigkeit der Tage kam? Warum leuchtete die dicke Nachbarin mit ihren Augen immer so an Merceda herum?

      Lora lauerte auf die Stunde, in der sie von ihr gefragt würde ... Aber Merceda fragte nicht. Sie war stolz wie ein Maimorgen über den Bergzinnen. Und ihre heiße, junge Schönheit blühte röter denn je. Denn sorgloser waren ihre Nächte; mit dem verlöschenden Feuer legte sie sich zur Ruhe. Und erst am klingenden Morgen wecke sie der Hahnenruf, dachte die dicke Lora. Es spielte eben kein Lichtschein durch die Ritzen der Läden an der Weinschenke; und kein Lichtschein spielte unter der Türe des Herzens von Merceda Finotti hinaus. Zwar – ihr Lager droben in der Kammer unter dem Dache, zu der die schmale Holztreppe aus der Küche emporführte, suchte sie auch