Hans Leip

Untergang der Juno


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prallen Segel und den reichen Wind.

      Es schwillt das Herz mit und enteilt ins Weite

      Zu andern Küsten, die auch fröhlich sind.

      O Ozean, du schickst der Zonen Schätze,

      Dass dieses Stromes Füllhorn uns ergetze.

      Nach einer Weile kam Schiffsleutnant Mackay herauf, um den hannöverschen Quartiermeister an Bord zu holen. (Nun musste Herr von Plato sein Englisch anwenden, und es gelang ihm verhältnismässig gut.) Der Befehl, so vernahm er, ging über den Kapitän der Juno von Sir Popham aus. Der nicht mehr junge Freiherr erhob sich, zerknüllte den Rapport, an dem er soeben in Schärfe geschrieben hatte, und zerpresste einen Seufzer ohnmächtigen Unwillens.

      „Was soll man machen!“ sagte er wie zu einem Kameraden. „Man ist Soldat, obwohl kein Springinsfeld mehr und muss gehorchen. Mir könnte jetzt schon das ganze Westindien zum Teufel geschert sein. Kennen Sie die Gegend?“

      „Wohl!“ antwortete Mackay.

      „Ist die Reise hübsch?“

      „Sie würden bequemer dahin reiten, wenn es ginge“, lachte der Seemann, indem sein Blick das weisse Pferd auf der Kokarde des hannöverschen Hutes streifte.

      „Dachte ich mir!“ lachte von Platen gefasst und kriegerisch. „Immerhin ist es ein Abenteuer! Und es soll dort hübsche Frauen geben. Oder ist das ebenso knapp wie euer Schiffsraum?“

      „Ich ahne das nicht, aber vielleicht rechnen Sie die Nigger zu den Menschen!,“ erwiderte Mackay etwas verlegen. „Kenne Ostindien besser.“

      Sie gingen den schrägen sandigen Weg zum Strande hinab. Die Büsche an den Hängen glühten herbstlich. Welke Blätter fielen lautlos vor ihre Füsse. Wir werden lange keine Bäume sehen, dachte der Hannoveraner. Und keine Frauen.

      Es hatten sich mancherlei Zaungäste eingefunden, viele Hamburger waren in Kutschen eingetroffen. Schauspieldirektor Schröder quer über Land von seinem Gute Rellingen, auch der reiche Lebemann und Landwirt Voght von seinem nahen Säulenhause zu Flottbek und mit ihm sein einäugiger Chemiker Dr. Schmeisser; auch Kaufmann Schuback ganz von Billwärder her, der Mann, der beim Erdbeben in Lissabon alles verloren hatte und dort seinen Reichtum neu begründete, indem er Nachtmützen an die Obdachlosen verkaufte. Die Familien Sieveking und Poel, die so prächtig und gastfrei in Neumühlen wohnten, und die Godeffroys von der anderen, der Blankeneser Seite der Chaussee, zogen mit Kind und Kegel in den Park des Herrn Parish, um von dort, von einer Anhöhe, dem sogenannten Quarterdeck, das militärische Schauspiel im Strom zu bewundern. Frau Sieveking wusste auch zu berichten, dass der Dichter Klopstock trotz seines Zipperleins auf seiner Stute Malvine herauszureiten gedenke. An der hohen Uferstrasse, aber in einem geräumigen Zweispänner befanden sich der französische Emigrant und ehemalige berühmte General Dumouriez mit seiner Freundin Frau von Beauvarez sowie deren Bruder, dem wegen seiner spitzen Zunge und Feder berüchtigten Journalisten Rivarol und dem Adjutanten Rainville, der, angeregt durch den Betrieb bei Jacob, davon sprach, ein weit grossartigeres Gasthausunternehmen am Ufer dieses schönen Stromes zu begründen. Sie hatten von den Sitzen aus eine gute Sicht durch eine Buschlücke auf die Elbe, und es ist bedauerlich, dass die kleine belgische Sekretärin des Generals nicht dabei war, um die geistvoll gepfefferten Bemerkungen dieser Gruppe über das westindische Abenteuer Hannovers für uns aufzubewahren.

      Herr Parish hatte Musik bestellt, allerdings sehr zarte im Rahmen dieser grossen Landschaft. Es waren Orchestermitglieder vom französischen Opernhaus zu Hamburg. Sie hatten ihre Pulte im Freien aufgebaut und spielten ein Quodlibet aus der „Karawane nach Kairo“ von Gretry. Es war ein Stück, längst vor der Revolution geschrieben, aber erst kürzlich in Hamburg aufgeführt. Die Damen summten die flotte Weise des grossen Tanzes im Basar fast auswendig mit und versuchten mit Begeisterung Turbane aus ihren teuren türkischen Tüchern zu drehen. Arabien, Ägypten, Westindien, es schien ihnen alles gleich weit weg, es war die Ferne, die Fremde, das Märchen Irgendwo. Die Diener reichten Kanariensekt. Man schlürfte im Stehen ein paar Helgoländer Austern, nahm geröstete Pröbenscheiben, kleine Würfel Chesterkäse, winzige, an Stäbchen gebratene Krammetsvögel, verschiedene Torten, Mokka, Eis, Pfirsiche und Trauben aus den Treibhäusern des Gastgebers, gezuckerte Orangen und glasige Bonbons, deren Muster den Union Jack zeigte.

      Klopstock war nicht gekommen. Er hatte den Mittag zuviel Stint gegessen und es danach vorgezogen, in seinem Landhause hinterm Dammtor eine stille Ode zuzufeilen, und da ihn die westindische Angelegenheit von ferne nun doch reizte, flocht er einige hottentottische Brocken hinein, obgleich sie sich eigentlich mit Marat befasste. Er entnahm diese einem Reisebericht aus den Ephemeriden: U-amp = Tiger, Nu-ap = Stachelschwein, Gha-ip = Geier, Hi-op = Hyäne (und er fragte sich, ob ironischerweise der Name des unglücklichen Hiob die gleiche Bedeutung habe, versuchte auch den Hamburger Speicherwindenruf: Hü-op! damit in Verbindung zu bringen, natürlich alles mit weise geniessendem Lächeln).

      Statt seiner erschien steif und misslaunig wie immer der mit Poels befreundete Dichter und Lotteriedirektor Gerstenberg. Um ihn zu erwärmen, rezitierte eine korpulente, doch schwärmerische Dame sein „Lied eines Mohren“, über das Lessing einst so gespottet hatte.

      „Darachna, komm! mein Wunsch, mein Lied!

      Darachna, komm! der Tag entflieht! ...

      Schwarz ist mein Mädchen wie die Traube,

      Die durch die Blätter dieser Laube,

      Mit süßem Most beladen, glänzt.

      Süß ist ihr Mund, wie der Geruch der Blume,

      Die meine Stirn umkränzt ...

      Ich harre fühllos, daß der Sand

      Die Fersen mir versehrt, und meine Seufzer wecken

      Die Tiger dieses Hains, die, durch den Durst entbrannt,

      Weh mir! mein Blut von ferne lecken.

      O Sonne! wenn auch ihr der Tod

      Aus Höhlen oder Wäldern droht!

      Wenn eine Schlange sie umflicht,

      Ein Krokodil sie hascht, ein Skorpion sie sticht!

      Eh treff ein Donner euch! Scheusale! wagt es nicht! ...

      Wie Ambraduft will ich dich, Tod!

      Mit jedem Odemzug aus ihren Adern trinken,

      Auf ihren matten Busen sinken,

      Und mit ihm sterben — süßer Tod!“

      Gerstenberg bedankte sich überaus liebenswürdig, aber es war unecht und gewollt, und die Dame war leichtsinnig genug, ihn um Rat wegen der nächsten Ziehung zu fragen, er solle ihr zum Lohne eine aussichtsreiche Nummer zuflüstern. Er wies mit grossartiger Geste auf den Strom und sagte hämisch: „Teilen Sie das Los mit denen! So haben Sie wenigstens Gewissheit, entweder mit dem Einsatz, frei nach meinem Kollegen Schiller, oder aber, mit dem letzten Worte Ihrer Deklamation herauszukommen.“ — Damit wandte er sich dem Studium einer üppigen Himbeerschaumtorte zu.

      „Darachna, komm! Mein Wunsch, mein Lied!“ flötete Herr Parish in englischem Tonfall und liess sich den grünsamtenen polnischen Rock noch einmal abbürsten, seine Tochter Henny tat es zu seiner Freude eigenhändig, die wirklich wunderschöne, frischgebackene Lady, die sich mit dem so achtbaren als reichen Kaufmann Hercules Ross aus Jamaika verheiratet hatte und demnächst auf ein Schloss nach Schottland ziehen sollte. Der zärtliche Vater beschloss, mit Sir Popham in diesem angenehmen Kreis zu verweilen und von hier aus, mit dem besten Überblick, den man sich denken konnte, der Einschiffung der Truppen beizuwohnen.

      Den Transportagenten schickte er jedoch nach unten. Er solle flugs dem Obersten Löwenstein entgegenfahren, ihm die Schiffe anweisen und ihn zum Dinner heraufbitten.

      Parishs drei jugendliche Söhne, David, George und Charles, zogen weniger notgedrungen als aus freien Stücken vor, dem Makler zu folgen. Sie kletterten kurzerhand die steile Parkböschung zum Strande hinunter. Dort unten trafen sie auf das Boot, das den Schiffsleutnant Mackay von der Juno an Land gebracht hatte und unter