sagen dürfte, was sie geträumt hatte! Es war so schön gewesen! Die Gottesmutter hatte ihr das Jesuskind zu halten gegeben, und sie hatte das weiche, warme Körperchen an ihrer Brust gefühlt. Wie es sich anschmiegte! Selig lächelte die Halbwüchsige in den blinden, seifen-bespritzten Spiegelscherben hinein.
Marianna rannte ungewaschen, ungekämmt hinab in die Küche. O weh, da stand schon die Herrin, sauber frisiert und niedlich wie immer, am Herd! Hatte sie wohl gar schon den Kaffee gemacht?!
Frau Tiralla sprach: „Der Kaffee ist fertig, du kommst ja so spät!“ Aber sie schalt nicht über’s Verschlafen, sondern händigte der Magd das Tablettchen ein, darauf die Kaffeetasse stand, gross wie ein Kübel: „So, das trage ihm nun hinein. Gesüsst ist schon!“
Mit aufgerissenen Augen sah Marianna die Herrin an. Alle Verschlafenheit war plötzlich von ihr gewichen; alles, was sie heute Nacht sich ausgedacht hatte, fiel ihr auf einmal wieder ein. Sie stotterte etwas und stand noch, bis die Herrin lachend rief: „Aber so bringe es ihm doch, was stehst du so dümmlich?!“
„Nein, es konnte nicht sein, dass einer, der ’was Giftiges in den Kaffee getan hatte, so lachen konnte; Marianna war ziemlich beruhigt. Aber als sie das Tablett über den Ziegelflur trug, schlug sie zur Sicherheit doch lieber ein Kreuz darüber: „Gesegne es Gott!“ Nun schadete es nichts! Und als ihr der Kaffee warm und stark in die Nase duftete, konnte sie sich nicht enthalten, rasch einen Schluck zu tun. Sie war noch so nüchtern, was Warmes würde gut tun! Ei, und war der Kaffee mal stark; trotzdem er gesüsst war, schmeckte er noch so bitter — pfui! Aber gut war er doch! Noch einmal einen ordentlichen Schluck.
Da schrie innen Herr Tiralla: „Psia krew, Frauenzimmer verdammtes, du naschest wohl, dass ich meinen Kaffee nicht kriege!“ Ein Stiefel, von kundiger Hand geschleudert, flog durch die halbgeöffnete Tür der Marianna mitten vor die Schürze. Da schrie sie hell auf und liess das Tablett fallen; auf ihre Füsse, auf den Ziegelflur hinab floss der gesüsste Kaffee.
„Psia Krew!“ Ein zweiter Stiefel kam geflogen. Die Tür sprang nun vollends auf, und man sah Herrn Tiralla auf seinem Bettrand sitzen, im kurzem Hemd, und mit den blossen Beinen nach den Pantoffeln angeln, die unters Bett gerutscht waren.
Auf der Schwelle stand die Magd, ganz begossen.
Herr Tiralla brach in ein schallendes Gelächter aus. „Du bist ein Tolpatsch, du bist ein Ungeschick!“ schrie er und klatschte sich die Lenden. „Bei Gott, nie habe ich ein dümmeres Schicksel gesehen! Glotze mich nicht so dummlich an — na na, zu heulen brauchst du nicht gleich! Geh, hole neuen Kaffee!“
„Die Pani wird mich schlagen!“ schluchzte das Mädchen. „Hab ich Angst, o, hab ich grosse Angst!“
„Frau,“ rief Herr Tiralla, der besonders gut ausgeschlafen hatte, „Frau, das dumme Mondkalb hat den Kaffee vergossen — Zoschchen, schlage sie nicht!“
Schon war Frau Tiralla zur Stelle; sie wurde totenblass, als sie den gesüssten Kaffee am Boden rinnen sah wie ein braunes Bächlein, und wurde dann glühend rot.
Schon duckte sich die Magd: jetzt würde die Herrin losschlagen! Aber sie schlug nicht los. Sie erhob nicht einmal drohend die Hand, sie sagte nur: „Es hat nicht sollen sein. Mache ihm einen anderen Kaffee!“ Holte dann selber einen Lappen, wischte selber auf, las die Scherben zusammen und sagte kein Wort weiter.
Marianna war ganz verwirrt: noch nie hatte sie einer Herrschaft etwas zerschlagen, ohne dass sie dafür einen Denkzettel bekommen hätte — und heute nicht mal eine Ohrfeige, nicht mal die Androhung einer solchen! Marianna ging umher wie ein witternder Hund: hier ging ’was nicht mit rechten Dingen zu! Hier war es nicht geheuer! Sie belauerte die Herrin. Aber die sass drinnen in der Stube beim Fenster und las; der Herr war hinaus anfs Feld gegangen, einen Hasen wollte er schiessen. Und Rózyczka war in der Schule. Ach, hätte sie nur eine Menschenseele zum Reden gehabt!
Die Magd fühlte sich beklemmt, als drücke sie ein viel zu schweres Geheimnis. Aber sie fühlte sich auch in Wirklichkeit seltsam beklommen auf der Brust. Was war das nur?! Sie musste in einem fort hastig atmen wie unter einem schweren Druck und den Speichel, der ihr im Munde zusammenlief, konnte sie gar nicht herunterkriegen; die Kehle war ihr so enge. Eine plötzliche Angst fiel sie an. Und einen Durst hatte sie, einen Durst! Der Mund war ihr so trocken, wie ausgebrannt. Schwankend ging sie zum Wassereimer, sie wollte trinken, aber sie konnte nicht. Heilige Mutter, warum konnte sie denn auf einmal nicht schlucken?! Ein Zittern lief ihr durch den ganzen Körper, ein Zittern, so stark, dass sie sich hinsetzen musste, wo sie gerade stand, platt auf den Boden. O, wie war ihr schlecht, ganz entsetzlich schlecht! Es wurde ihr schwarz vor den Augen, nass wurde sie am ganzen Körper von Schweiss. Und jetzt konnte sie auf einmal gar nicht mehr atmen. Sie wollte schreien, um Hilfe rufen, auch das konnte sie nicht. Sie rang, um aufzukommen, aber sie war steif wie ein Brett; der Kopf sass ihr fest wie in Eisen. Ihre Fäuste ballten sich im Krampf. O blutiger Heiland, erbarme dich! Sollte sie sterben hier?! Wie weh tat ihr alles, alles so weh, Brust, Bauch, Arme, Beine!
In furchtbarer Hilflosigkeit lag die Magd am Boden, bis der Atem ihr wiederkam und sie sich stöhnend aufraffen und hinauswanken konnte aus der Küche hinters Haus. Da stand sie nun, sich mit einer Hand gegen die Hauswand stützend, und ein schreckliches Würgen, bei dem es ihr bitter in den Mund kam, grausig bitter, erschütterte sie so, dass sie sich kaum auf den Füssen erhielt.
Jendrek kam dazu. Er lachte sie aus, als er sie so dastehen sah: he, war sie denn heimlich zu Tanze gewesen? Erntefest war doch schon vorüber, und Heilige drei Könige war noch nicht da! Er höhnte: ei, ihr hatte es aber mal gut gemundet! Was hatte sie denn Leckeres gegessen und getrunken, dass sie zu voll davon war?!
Sie gab keine Antwort. Sie konnte nur ein wenig den Kopf heben und ihn seltsam anstarren mit Augen, in denen die Pupillen ganz riesig gross waren.
Da bekam er doch einen Schrecken — hu, sah die aus! — und anstatt ihr zu sagen, wie es ihn freue, dass sie auch einmal fühle, wie ihm des Montags immer zumute sei, packte er sie am Arm: „Fehlt dir ’was? Sage!“
Sie aber stöhnte und nickte schwach. Wie er vorhin gesprochen hatte: ‚Was hast du gegessen?‘ — ja ja, da hatte es ihren dumpfen Schädel durchfahren: ihr war ’was angetan, sie hatte ’was gegessen oder ge — —
Und: „Gift, Gift!“ schrie sie plötzlich gellend auf, warf sich zu Boden und wälzte sich heulend, dass der Knecht zehn Schritte zurückfuhr vor Schrecken.
Frau Tiralla musste innen im Haus das Schreien auch gehört haben, schon kam sie heraus. Sie lief hin zur Magd, und als diese noch immer grässlich schrie: „Gift, Gift!“ und sich, die Hände auf den Leib gepresst, wie eine Unsinnige wälzte, wurde sie selber so leichenblass, dass der Jendrek dachte, auch sie würde gleich umfallen. „Still, still,“ sprach Frau Tiralla hastig und drückte der Marianna die Hand auf den Mund. Als diese sich wehrte und dumpf weiter gurgelte: „Gift, Gift,“ sah sie um sich wie ein in die Enge getriebenes verängstigtes Tier.
Dem Jendrek wurde ganz angst vor den wirren Augen der Frau. „Werde ich laufen nach Gradewitz, Doktor holen,“ sagte er sehr verschüchtert.
„Nein,“ stiess die Frau heraus. Und dann, sich ermannend, schrie sie ihn an und hielt ihn am Kittelzipfel: „Bist du verrückt? Sie ist nur betrunken — nur betrunken — weiter nichts!“
„Bin ich nicht betrunken,“ heulte Marianna; und dann wurde sie wütend: „Der Esel, der Jendrek, spricht, ich sei betrunken. Soll er sich an eigene Nase ziehen. Hab ich nicht getrunken — nichts — keinen Tropfen nicht, kann ich schwören bei Gott!“ Marianna konnte jetzt auf einmal wieder sprechen. „Der Esel der! Hab ich nur Gift in Leibe — bin ich vergiftet — muss ich sterben — o, o!“
Der Knecht machte grosse Augen. Frau Tiralla sah, wie er aufhorchte; sie wurde so glühend rot, wie sie vordem blass gewesen war, Blässe und Röte jagten sich förmlich auf ihrem Gesicht. Gezwungen lachte sie kurz auf: „Unsinn — Gift — woher?! Du sprichst irre, mein Kind! Komm, so“ — sie half der Magd vom Boden auf — „so, stütze dich auf meinen Arm! Ist dir schon besser — ja, nicht wahr, es ist dir schon besser? Ich werde dich zu Bette bringen. Ich werde dir einen starken Tee kochen.