Clara Viebig

Absolvo te!


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wandernde Seelen, und Wolken und Winde waren der Prophezeiungen voll. Als sie noch ein Kind gewesen war, so versicherte Marianna, und ins Korn gelaufen war, um Ähren zu raufen und sich von den roten Mohnblumen einen Kranz zu binden, da hatte der Zagak sie beinahe gegriffen, ein grosser Mann mit einem Knotenstock, mit einem zerlöcherten Hut auf seinem Kopf und mit Schuhen, aus denen die Zehen heraussahen. Wäre da nicht zufällig ein Bauer, ein frommes Lied singend, in der Nähe vorbeigefahren mit knarrenden Rädern, so hätte der Zagak nicht von ihr abgelassen. So war sie davongekommen mit dem blossen Schrecken und mit einem zerrissenen Rock. Ihr schauderte noch, wenn sie an den Zagak dachte — hu, hu! Gut, dass der Mann nicht hier herein ins warme Bett zu ihr konnte! In wollüstigem Schauer rüttelte sich die üppige Magd, und sie und das Kind schlossen sich enger aneinander.

      Dann krampften sich Rózyczkas Fingerchen fest um Mariannas derbe Finger, und sie singen alle beide an zu beten aus Leibeskräften. Was blieb ihnen weiter übrig in Nacht und Einsamkeit, umgeben von bösen Geistern, die sich in der Finsternis überall hervorstahlen?! Sogar aus des Menschen Brust. Nur Beten rettete. Und sie beteten und beteten.

      Dann liefen über Rózyczkas zartes Gesicht Schweisstropfen und Tränen, und ihre Glieder zuckten. Ach, wenn doch die Gottesmutter käme und sie unter ihren blauen Mantel nähme! Ihr war so bang, so weh. Der Kopf schmerzte sie, der Rücken und die Brust auch, der Hals wurde ihr eng, ordentlich schwer fiel ihr das Schlucken; wie Fieber brannte es ihr in den Augen.

      „Heilige Maria, Gottesmutter!“ Die angstvollen Augen des Kindes, die kaum über das Deckbett wegsahen, so hoch hatten sie sich’s heraufgezogen, bohrten sich ins Dunkel. „Alle guten Geister loben Gott! Liebe Heilige Mutter, gegrüsst seist du, Maria“ — — — ah, da war sie ja, da stand sie ja im Dunkel und nickte!

      Das Dunkel war auf einmal kein Dunkel mehr, und das Klopfen der Finger am Fenster und das Ächzen des Windes ums Haus verloren auf einmal das Schreckliche. Ei, wie lieb war die Gottesmutter, wie sanft, und so schön! Sie nahm das verängstigte Kind in ihren Schutz und lächelte ihm zu, bis seine brennenden Augen zufielen, bis ein herrlicher Traum, der noch kein fester Schlaf war, aber doch ein wohliges Hindämmern, seine Seele mit einem süssen Schreck erfüllte. —

      Kein Wunder war es, dass Rózia Tiralla, als ihr Vater heute abend mitten im Schäkern mit ihr wieder zu jammern anhub: „O, was habe getan, o, o, die Angst! Keine ruhige Stunde habe ich mehr! Der Teufel hat bei so ’was die Hand im Spiele —“ sehr ernsthaft sagte: „Warum hast du Angst? Rufe die Gottesmutter an, die trägt einen blauen Mantel, darein wickelt sie dich. Ich habe auch oft Angst, aber dann habe ich keine Angst mehr. Soll ich sie rufen?“

      „Ja ja!“ Herr Tiralla, der zu anderen Zeiten laut gelacht haben würde, nickte heute heftig. Und dann flüsterte er dem Kinde ins Ohr, so leise, dass seine Zosia, die am Tisch wie auf dem Sprunge stand und lauschte, nichts verstehen konnte: „Ich habe Angst, ich weiss nicht warum. Bete, bete!“

      Rózia rutschte vom Bett herab, kniete nieder auf dem Rehfell davor und hob die zusammengelegten Hände zu ihrem blassen Mund. Sie betete inbrünstig. Es waren die alten, tausendmal gebeteten, mechanisch hergesagten Gebete, aber von ihren Lippen bekamen sie Feierlichkeit. Des Mädchens dünne Stimme wurde tiefer und klangvoller. Das rötliche Haar bauschte sich locker um die Schläfen, der Lampenschein fiel darauf; es war wie ein Strahlenkranz.

      Frau Tiralla hob den Kopf und sah die Tochter an; sah sie an und stutzte, herausgerissen aus Gedanken, die sie durchstürmten mit einer solchen Unwiderstehlichkeit, dass sie schwach wurde, unfähig zu jedem Widerstand. Ei ja, da war Rózia und da Rózias Vater, aber ganz war Rózia doch nicht ihres Vaters Ebenbild — ah, die hatte auch ’was von ihr! Und Frau Tiralla fühlte sich wie mit Zauberkraft um zwanzig Jahre verjüngt, sah sich in ihres Propstes stiller Studierstube und vernahm wiederum die wunderbaren Dinge, mit denen er sie so unwiderstehlich an sich gefesselt hatte. Still hatte sie dabei gesessen, aber heiss war sie geworden und rot; noch jetzt fühlte sie, wie das Blut ihr damals zu Kopf geschossen war wie im Rausch.

      Ach ja, die da, das Mädchen da, bei Gott, die musste Nonne werden! Das krause Haar, das im Lampenschein flimmerte, würden sie ihr abschneiden und unter den Brautschleier der Kirche tun; die Linnenbinde würde die Stirn bedecken und das Kinn. Nur das feine Näschen guckte hervor und die blauen Augen — ah, wie lieblich würde Rózia aussehen in der heiligen Tracht! Als Rose würde sie blühen in des Heilands Garten. Eine plötzliche Liebe für ihre Tochter erfasste Frau Tiralla, sie ging hin und legte ihre Hand auf des Mädchens Scheitel. —

      Heute abend war Rózia glücklich. Ihre Mutter hatte zur guten Nacht sie gar geküsst, und ihr war dabei, als durchzucke sie eine Flamme. Heute mochte sie nicht Mariannas Geschichten hören, nach denen sie sonst immer verlangte. ‚Ich will nur beten,‘ sagte sie. Und sie betete, dass ihre Mutter ihr doch immer lächeln möge. Sie bewunderte sie ja so sehr, ihren schlanken Wuchs, ihr schönes Haar und ihre samtigen Augen. Niemand war so schön wie die Mutter, nur die Gottesmutter noch!

      Während Rózia noch betete, fielen ihr schon die Augen zu, und im Eindämmern sah sie plötzlich die Gottesmutter am Bette stehen. Die hatte ganz genau dasselbe Gesicht wie die Mutter und trug auch dasselbe Kleid, einen dunkelblauen Rock und eine hellrot gestreifte Bluse. Und die Gottesmutter beugte sich über sie, so dicht, dass sie deren warmen Atem an ihrer Wange fühlte — die horchte wohl, ob sie schon schliefe. Dann richtete sich die Gottesmutter wieder auf und horchte hinüber nach dem Bette, in dem Marianna längst schnarchte, und dann ging sie leise zur Tür hinaus. O, wie schön, wie schön war doch die Gottesmutter! Mit lallenden Gebetsworten auf den Lippen schlief die Kleine fest ein.

      Aber Marianna schlief nicht, wenn sie sich auch so gestellt hatte. Was hatte denn nur Frau Tiralla, dass sie bei nächtlicher Zeit durchs Haus wanderte?! Das Ohr des Landmädchens, das scharf war wie das des Waldtieres, hörte das leise Tappen treppauf, treppab — der Ruhelosen Umhergehen durch die Räume. Warum schlief die Herrin nicht? Und was hatte sie vorhin hier oben gewollt, hier oben bei ihnen in der Kammer?! Die trieb ’was um!

      Als das Kind gleichmässig und tief atmete, setzte sich die Magd aufrecht im Bett und legte die Hand hinters Ohr: nun war die Frau in der Küche — psia krew! — was rappelte die denn so mit der Kaffeemühle? Oder war es die blecherne Dose, in der sie den Zucker verwahrten, mit der sie so klapperte?!

      „Alle guten Geister!“ Marianna schlug ein Kreuz — sollte die da unten wohl dem Teufel zu Gefallen sein?! Gift hatte der Herr mitgebracht aus Gnesen — Rattengift! Die hurtigen Augen der Magd hatten die Schachtel wohl auf dem Tisch stehen sehen, die weisse Schachtel aus der Apotheke mit dem schwarzen Totenkopf darauf. Wenn die da unten nun dem Herrn ’was davon in den Kaffee mahlte oder unter den Streuzucker mischte, den er, ein ganzes Schälchen voll, in seine Tasse zu schütten liebte?! Heilige Mutter!

      Ganz klein machte sich die Magd im Bett und zog sich das Deckbett bis über die Ohren. Sie wollte nichts sehen, sie wollte nichts hören. Was ging sie’s an?! Der Herr war gut, die Herrin war aber eigentlich auch gut, es war immerhin eine schwere Sache für einen armen Dienstboten, der noch dazu zwei Kinderchen auf dem Halse hatte, sich ganz auf die eine Seite zu schlagen. Es war besser, man verhielt sich nach beiden Seiten!

      Aber obgleich Marianna zuletzt beide Zeigefinger in die Ohren steckte — das dicke Federbett genügte ihr noch nicht — so hörte sie das ruhelose Hin und Her doch. So ging’s bis gegens Morgengrauen, sie konnte darüber nicht schlafen. Das war ihr sonst kaum je passiert, dass sie eine Nacht nicht völlig verschnarcht hätte; heute krähte schon der Haushahn auf dem Mist, und die Kühe brüllten dumpf, als sie endlich eindruselte.

      Sie hatte sich gründlich verschlafen; als sie nach ängstlichen Träumen auffuhr, stand Rózyczka schon vor dem Spiegelscherben und flocht ihre beiden Zöpfchen, und vom Hofe herauf klang schon Holzschuhgeklapper, und die Kette, an der Jendrek den Wassereimer aus dem Brunnen zog, klirrte.

      „Jesus Maria!“ Ärgerlich fuhr Marianna aus dem Bett und herrschte die Kleine an: „Warum wecktest du mich nicht, du Kobold?“

      „Gerade, jetzt gerade wollte ich es tun,“ entschuldigte sich Rózia, die in ihrem kurzen Unterröckchen und den blossen Schultern noch recht unentwickelt und dürftig aussah. „Gerade wollte ich dich anstossen!“